take twenty seven. [+ Infos!]

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Die Erde auf der wir sassen war feucht vom Schnee, der sich langsam rarmachte. Wir waren schlau gewesen und hatten eine grosse Decke ausgebreitet, auf der ich nun sass. Wir befanden uns im Park, der in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung befand. Flu hatte Feuerwerke organisiert, welche sie unbedingt nutzen wollte. Nur zugeben, dass sie dafür wirklich Geld ausgegeben hatte – das wollte die kleine Blonde nicht.

Hier sass ich nun also mit drei eigentlich vollkommen fremden Menschen im Park. Die Sektflasche hielt ich fest umklammert. Ich drückte sie an meine Brust, in der Hoffnung, sie würde mich von aussen wärmen. Zwar trug ich meinen Wintermantel und hatte eine warme Wolldecke über die Schultern gelegt, jedoch fror ich trotzdem wie noch nie zuvor.

Alle von ihnen hatten schon mindestens ein Bier intus. Schliesslich würden sie ja Flaschen benötigen, damit ihre Raketen eine Startmöglichkeit hatten. Ich seufzte lachend und konnte es nicht verheimlichen: Sie benahmen sich genauso wie Edgar, Rick und Jon damals. Ich vermisste alle drei. Edgar am allermeisten.

Ich wollte heute Abend mich an nichts erinnern und nahm deswegen einen kräftigen Schluck aus der Sektflasche. Das Getränk war eiskalt. Vermutlich kälter als die momentane Aussentemperatur.

Hi", murmelte jemand Blondes und setzte sich neben mich auf die Decke. „Frierst Du nicht?", fragte ich und musterte Attila skeptisch. Er trug nichts Weiteres als sein übliches Marcel und die Lederjacke oben drüber. Die Jeans war neu. Ich hatte sie ihm zu Weihnachten geschenkt. Er hatte sie seitdem nicht mehr ausgezogen. Irgendwie fand ich's ja süss.

„Man gewöhnt sich daran, wenn man mehrheitlich draussen ist", murmelte der Blonde und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche. Fragend reichte er sie mir rüber. Ich schüttelte den Kopf und zog die Sektflasche unter der Decke hervor. „Bin bedient. Danke."

Stumm sassen wir nebeneinander und beobachteten die beiden Mädchen, wie sie durch die Überbleibsel des Schnees tanzten und fröhlich waren. Aus der Ferne konnte man eine feierwütige Mannschaft hören, welche mit den neusten Partykrachern die gesamte Nachbarschaft beschallten. Wer solche Nachbarn hat, brauchte keine eigene Boxen mitzubringen. Auch wenn ihre Musikwahl eher fragwürdig als gut war.

„Sag mal", begann Attila. Fragend blickte ich in seine Richtung. Doch der Blonde schüttelte nur den Kopf. „Schon gut. Vergiss es." „Nein. Sag schon", lächelte ich freundlich. Doch er beharrte auf seinem Standpunkt. „War nur eine Kleinigkeit. Hab mich selbst daran erinnert. Alles also in Butter." „Okay", flüsterte ich und widmete mich wieder meiner Sektflasche.

Aus der Ferne waren Kirchglocken zuhören. Halb Zwölf. Langsam aber sicher würde sich das alte Jahr aus dem Staub machen, während das neue noch blutjung in den Startlöchern stand. Jung und unverbraucht. Unschuldig. Und trotzdem fühlte es sich nicht gut an, mit diesem Jahr abzuschliessen. Dafür war ich noch nicht bereit. Es gab noch so viel in diesem Jahr, das ich hätte tun wollen. Besser machen wollen. Rückgängig machen wollen.

Ein unangenehmer Kloss bildete sich in meinem Hals. Es war keiner dieser Klösse, welche man einfach runter schlucken konnte und gut war. Dieser wollte mich auffressen und alte Erinnerungen hervorholen. Er war dazu gedacht mich wieder dasselbe alte schwarze Loch hinunter zu werfen, aus dem ich gerade mühselig geklettert war.

Ich griff nach der Sektflasche und würgte den Inhalt in einem Zug hinunter. Das Gesöff zeigte seine Wirkung: Der Kloss löste sich und ich konnte wieder frei atmen. Ich legte die leere Sektflasche zwischen mich und Attila und schwor mir, mich in der letzten halben Stunde des alten Jahres von nichts und niemandem mehr runter ziehen zu lassen.

Ich schielte hinüber zu dem blonden Jungen. Er hatte sich eine Zigarette angesteckt und rauchte friedlich vor sich hin. Schwach lächelte ich. Allerdings bemerkte ich erst jetzt, dass er abgeschnittene Fingerhandschuhe trug. Die Stofffetzen verdeckten seine Tätowierungen an den Knöcheln. Tactless, erinnerte ich mich an die Worte, welche in krakeliger Schrift unter Attilas Haut gestochen wurden. Eigentlich war der Blonde gar nicht so Taktlos, wie man zu Beginn hätte meinen können. Vielleicht mochte er auf die Aussenwelt taff und hart wirken. Im Inneren drin jedoch war er reinste Zuckerwatte. Nichts Weiteres als ein kleines kuschelbedürftiges Schosshündchen, welches sich so viele Jahre nach Liebe und Zuneigung gesehnt hatte. Er brauchte nicht mal jemanden, der ihn von morgens bis abends verhätschelte. Nein. Alles war Attila brauchte, war jemand der nach all den Jahren wieder nett zu ihm war und ihm etwas Aufmerksamkeit schenkte.

well built shipsWhere stories live. Discover now