take thirty three

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Es war weit nach halb zwölf als ich durch den Gang der Hotellobby schlenderte. Rick wartete bereits in der Hotelbar auf mich. Zeitgleich rissen wir die Arme in die Höhe und konnten es kaum abwarten einander in die Arme zu fallen.

Gosh, hab ich dich vermisst", nuschelte Rick gegen meine Stirn als wir einander umarmten. „Du hast mich vor nicht allzu langer Zeit erst gesehen, Ricky", seufzte ich und liess mich auf dem Stuhl nieder, welcher dem Ricks Platz gegenüberstand.

„Ich hoffe es macht Dir nichts aus, dass ich bereits eine Flasche Wein bestellt habe. Schliesslich bist Du der Weinexperte von uns", zwinkerte Rick mir zu, worauf ich ihm den Mittelfinger zeigte. „Wo ist Jon?", fragte ich während ich nach der Flasche griff und mir das Glas füllte. „Zeigt Alexis seine Lieblingsplätze in Münster." Rick rollte mit den Augen, „Fast so schlimm wie Du und..." „...sag seinen Namen nicht", unterbrach ich ihn. Ich schluckte leer und nahm einen kräftigen Schluck aus meinem Weinglas. Es war rapide geleert, sodass ich nochmal nachgoss. „Und bevor Du fragst", brummte ich, während ich die Weinflasche etwas klangvoller auf den Tisch stellte, „Attila schläft bereits tief und fest. Im Hotelzimmer. Wo ich ihn eingeschlossen habe." „Du hast was?", fragte Rick mit hochgezogener Augenbraue, winkte jedoch schnell ab. „Ich will's nicht wissen. Aber Nate – sag's ihm endlich."

„Kann nicht", brummte ich und nippte mit gesenktem Blick an meinem Weinglas. „Du weisst warum", nuschelte ich. Den Kopf hatte ich weggedreht und knabberte nervös am Rand des Weinglases herum.

Rick gegenüber verdrehte seufzend die Augen. „Reitest Du wieder darauf herum, dass Du Gefühlslegastheniker bist?" „Nenn das nicht so", zischte ich.

Dass ich meine Probleme hatte, wusste ich schon lange. Ich mochte es nur nicht, wenn meine Probleme Namen wie „Alexithymie" oder „Demisexualität" bekamen.

Wenn man hört, dass ich und Edgar zwölf Jahre zusammen waren, dann stellen sich die meisten die ganze Zeit einfach nur rosig vor. Das wir süsse kleine Teenager waren, die sich praktisch jede Stunde süsse SMS geschrieben haben und einander in jeder erdenklichen Sekunde die Liebe gestanden. Waren wir nicht. Na ja, Edgar vielleicht. Aber ich nicht. Ich konnte nicht. Es dauerte mehr als ein halbes Jahr, bis ich meine Gefühle dem Rotschopf gegenüber richtig wahrnehmen konnte. Ein ganzes weiteres Jahr, bis ich endlich fähig war „Ich liebe Dich" zu sagen. Das war mit Abstand das meiste, was ich an Edgar bewunderte. Wie konnte jemand wie Edgar überhaupt jemanden der praktisch Gefühlsbehindert war nicht nach kürzester Zeit in den Wind schiessen?

Rick schnipste einen Serviettenfetzen in meine Richtung, welcher mich am Kopf traf. Verwirrt zuckte ich zusammen und schüttelte benommen den Kopf.

„Du hast nachgedacht", sagte Rick, worauf ich stumm nickte. „Über euch?" „Wann huschen seine roten Scheisshaare bitte nicht durch meine Scheissgedanken?", stellte ich die Gegenfrage und trank mein Glas aus.

„Ich hab Angst vor übermorgen", sagte Rick leerschluckend. Ich wollte etwas sagen, doch mein einstiger bester Freund schüttelte bereits den Kopf. „Na ja – ein wenig mache ich mir schon auch Sorgen um Dich. Aber ich hab Angst davor, dass ich derjenige bin, dessen Dämme brechen."

Vorsichtig streckte ich einen Arm aus. Mit meinem Zeigefinger fuhr ich den Venen unter der tätowierten Haut nach. So, wie Jon, Rick und Edgar es immer bei mir taten, wenn ich in meinem Loch versank. Irgendwann begann ich den Linien der Rose auf Ricks Handrücken nachzufahren. Ich brach ab, als ich fast den Sarg erreicht hatte, der aus Ricks Rose herausragte. Es war ein ähnlicher, wie ihn einst auch Edgar auf seinem Unterarm getragen hatte. Nur auf die Worte „die young and save yourself" aus Brand New's Song Sic Gloria Transit ... Glory Fades hatte der Latino verzichtet. Die standen nämlich auf dem Sarg-Tattoo von Edgar. Als ob dieser Trottel alles vorausgesehen hätte...


„Kannst Du bitte aufhören das Stencil so anzustarren?", fragte Edgar, während der Tätowierer sich um die Vorlage auf dessen linken Unterarm kümmerte.

Ich verkniff es mir die Augen zu verdrehen. Stattdessen starrte ich aus dem Fenster des Shops. Edgars Eltern hatten meine vollste Bewunderung, dass diese ihrem eigentlich noch minderjährigen Sohn solch eine lebenslängliche Körperverzierung erlaubten. Das mit den Piercings war ja eines. Die konnte man schliesslich immer noch rausnehmen, wenn man sie nicht mehr mochte. Aber das bisschen Tinte da an seinem Unterarm? Das würde für immer dort bleiben.

Edgars Blick durchbohrte mich förmlich, sodass ich mich doch wieder in seine Richtung drehte. „Muss mich noch dran gewöhnen, okay? Ich mein – das ist ein Sarg, den Du Dir da auf alle Zeit auf den Unterarm stichst."

Leise seufzte nun der Rothaarige. „Klar. Aber Du weisst auch, was mir dieser eine Song von Brand New bedeutet. Es geht darum, dass nichts im Leben jemals so sein wird, wie man sich es wünscht das es sein wird. Und wenn ich schon so sehr an diese Worte glaube – warum sollte ich diese denn nicht mein Leben lang durch die Weltgeschichte spazieren tragen?"


Ich liess mir die Erinnerung an Edgar und den Termin beim Tätowierer nicht anmerken. So genau konnte ich mich doch eh nicht mehr genau daran erinnern. Schliesslich war das jetzt etwas über zehn Jahre her. Was ich allerdings noch immer ganz genau wusste, war wie viel dieses dämliche Sarg-Tattoo mit dem Brand New Songzitat ihm bedeutet. Eigentlich hatte er ja recht gehabt; Nichts im Leben endet so, wie man es gerne hätte. Nicht immer ist alles für immer, was man für selbstverständlich nimmt.

O quam cito transit gloria mundi – Wie schnell doch der Glanz der Welt vergeht ...

Ich drückte die Hand des Latinos kräftig. „Wir kriegen das hin", flüsterte ich schwach. „Gemeinsam. Wie alles andere auch schon." – nur wie, dass wusste ich noch nicht wirklich.

Rick schien meinen Gesichtsausdruck zu bemerken. Dieser grinste schelmisch und bestellte eine weitere Flasche Rotwein bei der vorbeilaufenden Kellnerin. Ich runzelte die Stirn, als diese sich wieder aus dem Staub machte.

„Wir kriegen das hin – wie immer", zwinkerte mir Rick zu. „Und Pläne schmieden konnten wir beide immer gut mit einer Menge Alkohol im Blut."

Skeptisch schüttelte ich den Kopf. „Den Salat haben wir ja schon längst", murmelte ich und leerte mein letztes Weinglas. „Attila und ich sind hier. Und er weiss immer noch nicht, dass ich euch kenne. Geschweige denn, dass ich und Edgar mal ein Paar waren."

Rick setzte sein Denkgesicht auf. Spätestens hier wäre es Zeit gewesen die Beine in die Hand zu nehmen und wegzurennen.

Mon frère", grinste der Latino schief, „Ich habe einen Masterplan!"

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Es tut mir leid das es so kurz ist T_T' - aber frohe Weihnachten euch allen! <3

Mit gut Glück kriegt ihr morgen oder übermorgen noch etwas Festtagsfluff bei Scharlachrot ;)

Danke für alles, was ihr mir 2015 an Feedback und liebe mit auf den Weg gegeben habt. Danke, dass ihr mir ein kreatives wachsen möglich gemacht habt. Danke. Merci. Grazie. <3



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