Kapitel 2 - Juans Sicht

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Ich fühlte mich wie ein uneingeladener Gast auf einem Kindergeburtstag: hinter mir hörte ich die Stimmen nerviger kleiner Spanier, die sich darum stritten, wer zuerst springen durfte, da die Klippe nicht breit genug war, dass man nebeneinander hinunterspringen konnte, während ich vorne am Rand stand und mich bereit machte, den Boden freiwillig unter meinen Füßen zu verlieren.

Als kleines Kind war ich zwar selten am Strand gewesen, weil mein Vater sich viel lieber auf roten Teppichen aufgehalten hatte und ich somit keinerlei Urlaubsreisen miterleben konnte, aber wenn ich mit meiner Familie alleine am Meer war, hatten mich die Klippen quasi magisch angezogen. Oft hatte ich oben einfach nur gesessen und die Wellen dabei beobachtet, wie sie teuflisch in der Brandung gegen die Felsen schlugen.

Doch lange konnte ich nicht in Erinnerungen schwelgen, da ich urplötzlich durch einen Stoß in den Rücken aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ich stand zwar mit dem Rücken zu dem Geschehen, aber dennoch konnte ich durch den Stoß spüren, dass es ein Menschenkörper war, der gegen meinen Rücken traf und mich in die Wogen der Wellen - etwa 10 Meter in der Tiefe - stieß. Erschocken schnappte ich nach Luft, wobei ich sofort merkte wie mir das Adrenalin durch die Adern schoss, sodass meine Gedankengänge einem einzigen Strudel glichen. Doch trotz meines Schockes, der mir bis ins Knochenmark ging, bekam ich keinen Laut über meine Lippen. Vielleicht auch nur, weil mein Unterbewusstsein wusste, dass ich nicht auf hartem Untergrund, sondern im Wasser aufkommen würde.

Das letzte was ich spürte, bevor ich meine Augen schloss, um sie vor der salzigen Flüssigkeit zu schützen, waren zwei weibliche Hände, die sich fest um meinen Oberarm klammerten und meinen Blutfluss beinahe stoppten. Diese ließen jedoch relativ schnell von mir ab, bevor mein Körper die Wasseroberfläche zerstörte.
Bereits unter Wasser, bevor ich wieder auftauchte, schaffte ich Abstand zwischen mir und der Fremden, die sich den Spaß erlaubt hatte, mich aufgrund ihrer scheinbar existierenden Ungeduld von der Klippe zu stoßen. Als ich schließlich wieder über der Wasseroberfläche auftauchte und ein paar Mal blinzelte, erblickte ich die Jugendliche, der ich das Alles zu verdanken hatte.

Für einen Moment musterte ich die Fremde, sofern es mir durch das Wasser möglich war, welches mir den Anblick ihres Körpers unterhalb ihres Halses verbarg. Sie müsste etwa in meinem Alter sein, vielleicht ein wenig jünger.
Als ich mich schließlich von meinem Schock des Sturzes in die Wellen erholt hatte, wartete ich stumm auf eine Erklärung ihrerseits, in dem ich nur meine Augenbrauen hochzog, um sie darauf hinzuweisen, dass ich auf etwas wartete, was unseren gemeinsamen eher unfreiwilligen Fall erklären würde, während wir beide uns mit gleichmäßigen Bewegungen über Wasser hielten.
Als sie jedoch damit begann, auf Deutsch auf mich einzureden, um mir die Situation etwas genauer zu erklären, ließ ich mir nicht anmerken, dass ihr Akzent für mich in dieser Situation eine Belustigung war, denn ich konnte mir gut vorstellen, dass sie die Tatsache in irgendeiner Art und Weise kränken könnte. Stumm fixierte ich ihr Gesicht, wobei ich dem Mädchen hin und wieder in die grünen Augen sah. Ich schaffte es selten auf Dauer jemandem in die Augen zu schauen, mein Blick huschte beinahe schon automatisch zur Seite um vor dieser Intensivität zu fliehen.

"Nur weil ich südländisch aussehe, heißt das nicht, dass ich der deutschen Sprache nicht mächtig bin" antwortete ich kühl und distanziert auf der selben Sprache, ehe ich sie nachdenklich ansah. Die Fremde kam mir äußerst bekannt vor, konnte sie aber keinem Namen oder irgendwelchen Erinnerungen in meiner Vergangenheit zuordnen. Vielleicht hatte ich einfach ein Déjà-vu, nur dass mir die Person und nicht die Situation bekannt vorkam. Während ich meine Gedanken sortierte und dabei meine Stirn in Falten legte, merkte ich, dass wir uns immer noch im Wasser befanden. Weit genug vom Ufer entfernt, dass ich trotz meiner Größe von etwa 1,85 Meter noch nicht stehen konnte. Auf ihre Erklärung, warum sie mich in die Tiefe gestoßen hatte, ging ich nicht weiter ein, lieber schwamm ich mit kräftigen Kraulbewegungen Richtung Ufer, da ich nicht vor hatte, mich weiter bei der jungen Frau aufzuhalten. Denn erstens kannte ich sie nicht, zweitens gab es keinerlei Gründe, warum ich mich weiter mit ihr auseinandersetzen sollte und drittens war ich kein Fan von öden Smalltalks über Name, Herkunft und Alter.

Do You Believe In Fate?Where stories live. Discover now