Kapitel 27 - Gwens Sicht

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Zusammen mit meiner Zimmernachbarin Lin lief ich durch die Flure des Internats. Dass Lilli hier angekommen war, war mittlerweile 2 Tage her, drei Tage in denen ich mir vorkam wie der Nebencharakter einer schnulzigen Liebesromanze, vor allem beim Mittagessen, weshalb ich es mir da auch in den letzten Tagen nicht hatte nehmen lassen, den ein oder anderen Kommentar von mir zu geben. Natürlich waren diese nie böse gemeint und selbst wenn, auf der rosaroten Wolke auf der Lilli und Ezra zu schweben schienen, nahmen sie alles mit einem Lächeln hin. Das war fast schon gruselig.
Lin und ich hatten gleich gemeinsam Unterricht und unterhielten uns auf dem Weg zum Klassenraum. Während ich wie meistens eine einfache Jeansshorts und ein dunkelblaues Top trug, war Lin in weiß und rosé gekleidet. Wobei man sagen musste, dass der süße rosa Rock, die weiße Bluse und die hohen Schuhe ihr gut standen, das fanden vor allem die Jungs. In Verbindung mit ihren langen, blonden, offenen Haaren und das alles anderen als dezenten Make Ups unterstrich dieses Outfit jedoch eindeutig ihre Ähnlichkeit mit Barbie.

"Wer kam eigentlich auf die dämliche Idee Mathe auf die ersten beiden Schulstunden zu legen?", fragte ich laut niemand bestimmten.
"So schlimm ist Mathe doch gar nicht. Und es ist ja nicht Montag, sondern Donnerstag, das ist dann auch ein Vorteil." Beantwortete Lin meine eigentlich rhetorische Frage mit einem aufmunternden Lächeln. Die Persönlichkeit der Blondine war das komplette Gegenteil zu ihrem Aussehen. Wer nun eine eingebildete reiche Zicke oder die Schulschlampe in ihr vermutet hat, lag weit daneben, denn neben mir lief die beste Schülerin meiner Klasse und noch dazu die freundlichste und optimistischste Person, die ich kannte. So sehr konnte das Aussehen eben Täuschen, denn das Leben bestand schließlich nicht nur aus Klischees.
"Ja, für dich ist Mathe vielleicht nicht so schlimm, ich muss immer eine Woche lernen um noch eine 2 in einer Klausur zu bekommen." Schnaubend bog ich um die nächste Ecke, während Lin mir folgte.
"Ich biete dir immer wieder an, dass ich dir helfen kann, aber du lehnst ja immer ab."
"Ja, weil ich das auch alleine kann."
"Du musst lernen deinen Stolz runter zu schlucken." Sie klopfte mir lachend auf die Schulter, denn sie wusste, dass sie recht hatte. Das wussten wir genaugenommen beide, weswegen ich nur etwas unverständliches murmelte und dem nichts mehr hinzufügte.

Als wir dann in den Flur einbogen, der uns zum gesuchten Klassenzimmer führen würde, wurden Lin und ich beide langsamer, wofür wir uns nicht absprechen mussten, denn dort standen zwei, die leider genau so waren, wie sie aussahen. Traurigerweise entsprachen manche Klischees eben doch der Realität. Dazu zählten unsere Schulschlampe Ashley sowie mein Ex und Schulmacho Clement.
"Mensch, ich hab heute ja besonders Glück. Morgens zwei Stunden Mathe und davor noch die beiden." Murmelte ich in Richtung Lin, die das Gesicht daraufhin leicht verzog, was ich als Bestätigung meiner Worte ansah.

Mittlerweile hatten sie ihr Gespräch auch unterbrochen und uns bemerkt. Abschätzig und von oben herab sahen sie uns an. Alleine das ließ das Blut in meinem Inneren schon brodeln und mein Temperament ungeduldig mit den Fingerknöcheln knacksen.
"Na wen haben wir denn da. Miss Barbie-Streber und das agro Mannsweib." Ashley lacht nach ihrer ach so witzigen Bemerkung höhnisch. Lin zog den Kopf ein, sie war zu nett um zurückzuschlagen. Ich hingegen nicht.
"Besser Barbie-Streber als den IQ einer Barbie Puppe Ash. Und dass ich dir mit einer Hand mehrere Knochen brechen kann, darauf musst du nicht neidisch sein", verteidigte ich Lin und zeigte, dass ihre Beleidigung mich nicht die Bohne interessierte. Clemént sah das wohl als Zeichen dafür, sich ebenfalls einzumischen.
"Ach Chéri, schlagfertig wie immer. Aber glaub mir, dadurch wird das mit deinem Portugiesen nicht lange halten." Während ich meine Hände zu Fäusten ballte, grinste mein Exfreund vor mir mich höhnisch an und sprach weiter.
"Wir Männer mögen weibliche, hilfsbedürftige Frauen. Und wenn du dich benimmst wie der Mann in der Beziehung wird dich nie jemand lieben können, aber für einen kurzen Spaß sind Kratzbürsten echt sexy."
Clemént wusste ganz genau, wie er mir weh tun konnte, ohne auch nur einen Finger krumm zu machen. Hasserfüllt aber innerlich auch tief getroffen von seinen Worten sah ich ihn an. 'wird dich nie jemand lieben können.' Diese Worte kreisten die ganze Zeit in meinem Kopf herum und auch Lins Berührung an meinem Arm konnte nichts daran ändern. Ich war selbstbewusst und hatte großes Selbstvertrauen, doch wenn es um die Liebe ging, verlor beides an Größe und das wusste Clemént, unter anderem weil er ja zum Teil auch dafür verantwortlich war, dass ich vor Juan alle Männer und die Liebe zum Teufel gewünscht hatte.
Drohend ging ich einen Schritt auf ihn zu, während Ashley Lin und mich höhnisch kichernd und Clemént mich mit einem selbstsicheren sowie teuflischen Grinsen ansah. Meine Nägel bohrten sich schmerzhaft in meine Handfläche, so angespannt ballte ich die Hände zur Faust, doch die Möglichkeit noch einen Schritt auf Clemént und Ash zuzugehen bekam ich nicht, da ich von einer Hand an der Schulter zurückgehalten wurde, die zu groß für Lins war. Energisch und wütend darüber, dass jemand es wagte mich nach Cleménts Worten davon abzuhalten ihm meine Meinung zu sagen oder eher zu zeigen, drehte ich mich um und sah dabei direkt hoch in ein Paar mir bekannter Augen. Juan. Seine Hand legte er nachdem ich mich umgedreht hatte sofort wieder auf meinen Oberarm und hielt mich so fest, wobei er genauso so fest zudrückte um mich festzuhalten, ohne mir wehzutun.
"Juan, lass mich los." Ich sprach gezwungen leise und war mir sicher, dass er das wütende Zittern, das meinen Körper erfasst hatte, ebenfalls spürte.
"Nein", kam es vollkommen ruhig, jedoch bestimmt von Juan, während seine Hand blieb wo sie war.
"Irgendeiner muss dich ja davon abhalten, ihm an die Kehle zu springen. Wenn du ihn grün und blau schlägst schadest du nicht nur ihm sondern auch gleichzeitig dir - unnötige Zeitverschwendung" sprach er ruhig und sah über meine Schulter abschätzig zu Clemént, der mit verschränkten Armen dastand und uns amüsiert zusah, wahrscheinlich überzeugt davon, dass das hier Dank ihm und meiner Wut auf ihn in einem riesigen Streit Enden würde, auf den er auch noch stolz wäre. Lin stand ein paar Schritte hinter Lin und funkelte Ash wütend an.

"Du hast doch keine Ahnung was er gesagt hat. Ich denke, ihm das Grinsen von Gesicht  zu wischen, wäre eher eine Bereicherung." Schnaubend glitt mein Blick, nachdem er kurz wütend zu Clemént gegangen war, zurück zu Juan, doch auch wenn ich weiterhin vor Wut brodelte, so färbte alleine Juans ruhige Aura auf mich ab und das Zittern ließ etwas nach.

"Ich hab zwar von eurer kleinen Plauderei nicht viel mitbekommen, ja, aber viel Geistreiches kann ja nicht aus seinem Mund kommen, von daher kann ich mir denken, was er ungefähr gesagt hat." Seine Stimme blieb weiterhin ruhig, fast schon beruhigend dadurch. Dass Juan mit dem Daumen der Hand, mit der er meinen Arm festhielt, leicht über diesen strich, unterstützte diese Wirkung nochmal.
Dass auf diese Worte von Juan Clemént seinen Senf wieder dazugeben musste, war wohl kein Wunder.
"Was du denkst ist mir ja herzlich egal, Gwenny weiß, dass ich recht habe, nicht war Chéri?" Da ich mich wieder leicht zu Clemént gedreht hatte, als er angefangen hatte zu sprechen, ließ er es sich nicht nehmen, mir spöttisch zuzuzwinkern. 'Wird dich nie jemand lieben können.' Mir schwirrte sofort wieder dieser Teil des Satzes im Kopf herum. Jedoch war das letzte was ich wollte, dass Clemént sah, wie sehr mich diese Worte trafen, weshalb meine Wut sofort wieder anstieg. Das schien auch Juan zu merken, da sein Griff wieder etwas kräftiger wurde.

Theoretisch könnte ich mich ohne größere Probleme aus diesem Griff befreien, doch dadurch würde ich Juan weh tun müssen, was der einzige Gedanke war, der mich davon abhielt.

"Lass mich bite los Juan, ich werd ihn nicht angreifen." Der Angesprochene, der bis eben mit undurchschaubarem Blick Clemént gemustert hatte, sah nun zu mir. Sein Griff wurde zwar lockerer, doch er sah nicht ganz überzeugt aus. Klar, er kannte mich. "Versprochen." Hängte ich hinten dran, was ihn letztendlich doch dazu brachte, mich loszulassen. Ich drehte mich sofort um und ging auf Clemént zu, sodass ich mit wütend funkelnden Augen direkt vor ihm stand. "Das lass ich nicht auf mir sitzen, du kriegst die Antwort darauf, was ich von dir halte, wenn du es am wenigsten erwartest." Flüsterte ich ihm zu, danach schubste ich ihn gegen die Spinde hinter ihm und lief ohne noch ein Wort zu sagen oder jemanden anzusehen den Weg zurück, den ich vorhin mit Lin gegangen war, sonst würde ich mein Versprechen doch noch brechen. Eigentlich hätte ich Unterricht und sollte in die entgegengesetzte Richtung laufen, doch mir fehlte gerade jeglicher Nerv für Mathe.

Mein Weg führte mich aus dem Internat heraus in den angrenzenden Wald. Erst dort bremste ich meinen Gang etwas, lief jedoch weiterhin ziemlich schnell. Mein Ziel war nicht irgendeins, sondern eine Lichtung 10 Minuten vom Internatsgelände. Der Weg dahin durch den von den Geräuschen der Natur durchdrungenen, friedlichen Wald, brachte mich mehr und mehr zur Ruhe und sorgte dafür, dass die Wut abnahm. Dafür kam jedoch nun die Betroffenheit über Cleménts Worte an die Oberfläche. 'Wird dich nie jemand lieben können', geisterte erneut seine Stimme durch meinen Verstand und schürte dadurch die innere Angst davor, dass diese Worte wahr sein könnten. Eigentlich sollte sie nicht mehr da sein. Ich war glücklich mit Juan, er empfand das selbe wie ich und ich glaubte auch nicht, dass er dies spielte, doch trotzdem blieb dieses verdammte Gefühl der Unsicherheit, der Angst davor, dass man mir wieder das Herz brach und wieder und wieder. Wütend darüber dass das Arschloch von Exfreund mich dazu brachte so zu denken, schlug ich gedankenlos mit der Faust gegen den Stamm eines Baumes, was dafür sorgte, dass ich mir die Knöchel blutig schürfte. 'Das hast du ja toll gemacht' motzte ich mich in Gedanken selbst an und hielt mir die schmerzende rechte Hand, während ich weiter den Weg entlanglief.

An der Lichtung angekommen, setzte ich mich im Schneidersitz direkt in die Mitte des hohen Grases und atmete tief den frischen Geruch des Waldes ein und aus. 'Juan ist anders. Er ist ausgeglichen, mag meine kratzbürstige Art, ergänzt sie. Er versucht mich nicht zu verändern, sondern akzeptiert mich, wie ich bin. Er ist nicht nur mein Freund er ist auch mein bester Freund. Das mit ihm fühlt sich anders an.' An diesem Gedanken hielt ich mich fest während ich immer weiter zur Ruhe kam. Dies war eine Seite an mir, die eindeutig noch niemand kannte und bei der ich nicht wollte, dass sie jemand zu Gesicht bekam. Ich wollte nicht schwach oder verletzlich wirken, doch genau wie jeder andere Mensch war ich manchmal eben genau das.

Do You Believe In Fate?Where stories live. Discover now