Kapitel 29 - Gwens Sicht

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In diesem Kapitel wird auf verschiedenen Sprachen gesprochen!
Kursiv = Portugiesisch
Fett = Französisch
Normal = Deutsch
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Juan spannte sich merklich an und stand auf, was mich sofort ebenfalls wachsam werden ließ, weshalb ich in eine sitzende Position wechselte. Wer sollte das denn sein? Einer von Juans Mitbewohnern würde nicht klopfen und vor allem nicht so energisch und von den Lehrern hatte meines Wissens nach auch niemand einen Grund hier anzukommen. Außerdem würde Juan weder bei Mitschülern noch bei Lehrern so seltsam reagieren.

Der Moment, in dem ich das dachte, war der, in dem die Person am anderen Ende die Sache auch schon selbst in die Hand nahm und aufschloss.
"Seit wann klopfen deine Mitbewohner?", fragte ich und bekam kurz darauf die Antwort  von Juan, der mit zusammengebissenen Zähnen "Das ist keiner meiner Mitbewohner", knurrte, während er mit seinem typischen Pokerface, das dieses Mal jedoch fast beängstigend aussah, die Person in der  Tür fixierte, die nun das Zimmer betrat. Nein, das war keiner der Kerle, die hier sonst ein und aus hingen, es war ein groß gewachsener finster dreinblickender Mann und obwohl ich ihn noch nie in meinem Leben gesehen hatte, wusste ich, wer vor uns stand, denn Juans Reaktion sagte schon viel aus und die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Vor uns stand Juans Vater.

"Guten Abend, mein Sohn. Schön, dass ich dich endlich wiedersehe." Juans Vater sprach portugiesisch, weshalb ich kein Wort von dem, was gesagt wurde verstand. Der Tonfall jedoch war herablassend und klang nach 'Da kannst du sehen, ich finde dich überall.' Mir schenkte er lediglich einen Blick, als wäre ich die nervige Fliege, die beim Essen um einen herumschwirrt. Neben ihm stand völlig reglos, wie eine Statue, ein in schwarz gekleideter Mann, oder eher gesagt ein Schrank, denn seine Schultern waren gefühlt drei Mal so breit wie meine und die Muskeln auf seinen Armen sah man selbst durch den Anzug hindurch deutlich, ein Wunder, dass dieser überhaupt passte. Noch offensichtlicher konnte ein Bodyguard nicht nach einem Bodyguard aussehen, lediglich, wenn er noch ein Schild mit seinem Beruf um den Hals hängen hätte. Ich hielt Frechdachs zurück, der seitdem wir ihn gekauft hatten wirklich merklich in die Länge geschossen war. Er hatte die Fremden zweifelnd beschnuppern wollen, da er schließlich die Anspannung deutlich spürte. Nun sah er mit aufgestellten Ohren angespannt neben mir.

"Das sehe ich anders, ich hab dich nicht sonderlich vermisst." Juan antwortete netterweise und wahrscheinlich auch als Zeichen der Rebellion, auf Deutsch. So kalt hatte ich seine Stimme bisher noch nie gehört. Ich wusste um das Problem zwischen den beiden, wusste es noch von damals, als er mir erzählte, weshalb er bei seinem Onkel wohnte. Deshalb konnte ich jetzt schon sagen, dass ich den Mann vor mir nicht leiden konnte. Dazu hätte jedoch auch alleine sein bloßes arrogantes Auftreten gereicht.
"Du hast mir mir gefälligst auf deiner Landessprache zu reden." Schon wieder portugiesisch, diesmal klang es etwas angesäuert und als würde er Juan anfahren. War es ihm egal, dass ich hier ebenfalls stand? Ich war doch nicht unsichtbar. Doch für ihn anscheinend schon, denn er fuhr weiterhin ohne mich zu beachten auf portugiesisch fort. "Dass du so eine Einstellung hast, dachte ich mir. Doch du wirst deine Meinung noch ändern. Schließlich ist deine Ansicht lediglich den Flausen, die dir dein nutzloser Onkel oder Gören aus der Unterschicht in den Kopf gesetzt haben, zu verdanken." Das ich seine Worte nicht verstand, war wohl besser so, denn dann wäre ich richtig wütend geworden und wütend im Allgemeinen war ich auch so schon. Ich wusste, dass irgendetwas von dem, was er gesagt hatte, sich auf mich bezog. Schließlich galt die abschätzige Handbewegung eindeutig mir, genauso wie der Blick, der deutlich zeigte, dass er der Meinung war, er wäre etwas besseres als ich und ich sollte mich schleunigst stumm in eine Ecke setzen. Was bildete sich dieser arrogante Schnösel eigentlich ein?! Ich setzte die Füße auf den Boden und stand auf, sodass ich nun einen Schritt hinter Juan stand, was jedoch nicht so bleiben würde.
"Was denken sie eingebildeter Macho im Anzug eigentlich, wer sie sind?" Ich war während der Frage nicht nur vom Deutschen ins Französische gewechselt, weil ich fassungslos war, von so viel Arroganz, sondern hatte auch einen Schritt weiter nach vorne gemacht, sodass ich nun direkt neben Juan stand, wurde jedoch von diesem davon abgehalten den Abstand zu seinem Vater noch weiter zu verringern, indem er mich zwar sanft aber doch mit klarer Aussage am Handgelenk festhielt.
Der eingebildete Macho im Anzug ließ sich von dieser Aussage nicht groß aus der Ruhe bringen und schmunzelte lediglich, wobei dieses Schmunzeln genauso herablassend war, wie der Rest seiner Handlungen.
"Ich bin Francisco Goncalo Joaquim Viana de Aguilar, einer der, berühmtesten, wenn nicht der berühmteste Regisseur Portugals. Und wenn du unerzogene, kleine Möchtegern-Rebellin weiterhin die Dreistigkeit besitzt, so mit mir zu reden, geschweige denn, dich überhaupt nochmal in die Konversation zwischen meinem Sohn und mir einzumischen, dann begleitet dich Alessio gerne hinaus. Denn, eher müsste ich fragen, was glaubst du eigentlich, wer DU bist?" Der werte Herr konnte also auch französisch und trieb mich mit seinen Worten zur Weißglut. Noch nie war ich einem Menschen begegnet, der so abgehoben, egozentrisch und arrogant war. Und ich kannte Ashley und meinen Ex also musste das schon etwas heißen. Er kam hier ohne Einladung rein und beleidigte mich nicht nur, nein, er drohte auch noch, mich von seinem Bodyguard aus dem Zimmer meines Freundes zu schmeißen! Doch das war nicht mal das schlimmste. Die Höhe war für mich, dass er dachte, er könnte mir den Mund verbieten, denn damit kam ich überhaupt nicht klar. Was bildete er sich ein? Dass ich nur weil ich nicht rein und eine Frau war nichts zu melden hatte?! Ich kochte vor Wut und biss wütend die Zähne zusammen, was der einzige Grund war, weshalb ich nicht sofort antwortete. Das übernahm Juan.
"Und was erlaubst du dir, hier einfach aufzukreuzen und meine Freundin so anzuschnauzen, obwohl sie eindeutig mehr Recht hat hier zu sein als du? Ich bin 18, erwachsen und du schon lange nicht mehr mein Vater. Und wenn du der Meinung bist, dich wichtig zu machen, nur weil du ein paar Nullen mehr auf deinem Konto hast als irgendein anderer Mensch, behalt ich mir das Recht vor, dich aus meinem Zimmer rauszuschmeißen. Ich werde nicht mit dir nach Portugal kommen" Juan wurde nicht laut, das war nicht seine Art. Stattdessen war seine Stimme trotz Zimmerlautstärke eiskalt, schneidend und voller Hass. Franciscos Blick verfinsterte sich und ich sah Wut in seinen Augen aufblitzen, die er jedoch anschließend sofort mit einem spöttischen humorlosen Lachen kaschierte.
"Deine Freundin also. Eine Französin hast du dir angelacht, bitte, sicher ein angenehmer Zeitvertreib für zwischendurch, Französinnen sind meisterhafte Liebhaberinnen." Dass er diese Worte auf Französisch sagte zeigte mir, dass er wollte, dass ich sie hörte, dass er mir wohl zeigen wollte, welchen Stellenwert ich bei ihm hatte. Solche Personen widerten mich an.
"Und nun sei nicht albern. Du kannst das hier doch nicht ernsthaft wollen mein Sohn." Ich verstand nicht was er sagte, doch es war mir auch egal.
"Ich lasse mich doch nicht von einem reichen, selbstverliebten Schnösel so beleidigen. Sie kennen mich nicht und ich will Sie auch nicht kennenlernen, Juan möchte dass Sie verschwinden, also tun sie das gefälligst und vergeuden sie nicht unsere Zeit hier, denn egal was Sie von sich halten, ich kenne tausend Dinge, die sinnvoller und angenehmer sind, als mich mit Ihnen zu unterhalten. Eine Darmspiegelung zum Beispiel." Ich schnaubte und grinste am Ende provozierend. Sollte er doch versuchen seinen Bodyguard auf mich loszuschicken, ich war mir sicher ich war ihm gewachsen, zwar nicht an Kraft uns Größe, dafür jedoch an Technik, Schnelligkeit und Intelligenz. Kurz sah es auch so aus, als würde er genau das tun wollen. Juan neben mir blieb stumm, sah jedoch von seinem Vater zum Bodyguard und wieder zurück, da natürlich auch er das sah.

Doch erst mal tat Francisco nichts. Ziemlich angepisst funkelte er mich an, da er es wohl nicht gewohnt war, dass man so mit ihm sprach. Ich wendete den Blick nicht ab, hielt seinem stand, wobei meine sicher nicht minder wütend funkelten.
Plötzlich änderte sich jedoch sein Gesichtsausdruck. Innerhalb eines Augenblicks wechselte er von nachdenklich, zu erkennend und letztendlich zu triumphierend. Das verunsicherte mich nun, was ich jedoch nicht durchblicken ließ.
"Sag mal, Mädchen, wie heißt du? Du erinnerst mich da an jemanden."
"Gwendolyn Marchand, französische und deutsche Landesmeisterin im Kickboxen." Konnte ich es erst mal nicht lassen seine überhebliche Vorstellung von vorhin nachzuäffen. "Und dass ich Sie bereits irgendwo getroffen habe, bezweifle ich. An ein Arschloch wie Sie würde ich mich sicher erinnern."
Fügte ich anschließend noch hinzu und verschränkte meine Arme vor der Brust. Jedoch hatte meine Antwort nicht den Effekt, den ich erwartet hatte. Franciscos Grinsen wurde etwas breiter und er sah selbstzufrieden von Juan zu mir, wobei sein Blick etwas länger an der Hand hängen blieb, die Juan vorhin auf meinen Rücken gelegt hat, ob als Beruhigung, als Unterstützung oder um seinem Vater zu zeigen, was Sache war, konnte ich nicht so genau sagen, vielleicht stimmten auch alle drei Annahmen.
"Marchand also, dachte ichs mir doch. Du bist deiner Muttter wie aus dem Gesicht geschnitten Mélanie sah mit 17 genauso aus. Nur die Haare waren blond." Mit einer solch konkreten Aussage über meine Mutter, die auch noch komplett der Wahrheit entsprach, warf er mich vollkommen aus der Bahn. Meine Mutter? Was hatte die damit zu tun? Und woher kannte sie Juans Vater? In meinem Kopf herrschte Chaos, dass ich mir nicht anzumerken versuchte. Ein Blick zu Juan zeigte, dass dieser ebenso wenig verstand, was nun abging. Er sah kurz zu mir, wahrscheinlich um zu sehen, ob die Worte seines Vaters der Wahrheit entsprechen. Dass dies der Fall war schien ihn jedoch nicht zu beruhigen, was nicht verwunderlich war, denn anscheinend hatte Juans Vater ein Ass im Ärmel, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Er grinste immer noch.
"Woher kennst du Gwens Mutter." Die Frage kam von Juan, der als erstes seine Sprache wiedergefunden hatte, es ging ja auch nicht um seine Mutter.
Und es war offensichtlich die Frage, auf die Francisco gewartet hatte.
"Ich hab sie vor 18 Jahren auf einer Party in Frankreich in Nizza kennengelernt. Eine wirklich hübsche Frau, schlagfertig und selbstbewusst und dazu noch Französin." Das großkotzige Arschloch vor mir so über meine Mutter reden zu hören, sorgte dafür, dass ich ihn fast unterbrach, doch ich beherrschte mich, da ich wissen wollte, worauf das hinauslief, denn mir schwante Böses. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe, sie um den Finger zu wickeln, doch ein wenig Charme und genug Alkohol können wahre Wunder vollbringen." Bitte was?! Ich wusste ja, dass die Männerwahl meiner Mutter bisher miserabel gewesen war, doch anscheinend litt sie im Alter von 17 an einer vollkommenen Geschmacksverirrung. Doch ich glaubte kaum, dass es das war, war Francisco uns damit sagen wollte und wie erwartet kam es noch schlimmer, denn er war noch nicht fertig.
"Es blieb natürlich eine einmalige Sache, denn ich musste am nächsten Tag zurück nach Portugal, ich war schließlich schon damals ein vielbeschäftigter Mann, doch ich hätte nicht gedacht, dass ich heute jemanden gegenüberstehen würde, der mich an diese Nacht erinnert. Die Haare und der Teint passen zumindest und der Zeitraum ebenfalls."  Ich spürte, wie Juans Hand von meinem Rücken rutschte, während ich kreidebleich wurde, da mir alles Blut aus dem Gesicht wich. Ich versuchte zu verarbeiten, was mir da gerade gesagt wurde. Das... das konnte doch nicht sein? Die tonnenschweren Beweise sprachen jedoch dagegen. Der Mann mir gegenüber hatte bis eben nicht mal meinen Namen gekannt und alleine durch mein Aussehen und meinen Nachnamen Fakten genannt, die er gar nicht hätte wissen können, wäre das, was er geschildert hat, nicht so passiert.

Es war für einen Moment, der sicher nur einige Sekunden andauerte, sich aber wie Stunden anfühlte, totenstill im Raum. Die verschiedenen Erkenntnisse prasselten auf mich nieder, wie Backsteine, die jemand von einem Hochhaus auf mich herunter warf. Ich war 17 und hatte keine Ahnung wer mein Vater war. Francesco hatte vor rund 18 Jahren einen One Night Stand mit meiner Mutter. Er behauptete, er wäre mein Erzeuger - den Begriff Vater würde ich sicher nicht mal in Gedanken für ihn benutzen. Er war der Vater von Juan. Juan... mit dem ich zusammen war.
Während dieses Moments, in dem die Welt kurz stillzustehen schien, brach in meinem Inneren das Chaos aus. Diese Beziehung würde keine Zukunft haben, denn ich führte sie mit meinem Halbbruder...

Do You Believe In Fate?Where stories live. Discover now