Kapitel 9 - Gwens Sicht

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Die Erinnerung an den letzten gemeinsam Tag mit Juan in Frankreich hatte mich innerlich in einen nicht ganz definierbaren Gefühlszustand versetzt, der noch am ehesten mit dem Begriff Melancholie beschrieben werden kann. Eine Mischung aus guten empfinden, weil es wirklich ein toller Tag gewesen war und schlechten, weil es eben vorbei war und darauf weniger schöne Tage folgten. Dementsprechend hingen wir beim Essen alle irgendwie unseren Gedanken nach, sodass es am Tisch ziemlich still blieb. Als die beiden Jungs dann wieder hoch fuhren, begleitete ich sie nicht, sondern sah nur noch kurz etwas besorgt Juan hinterher, der ja wieder in den Aufzug musste. Dass ich die beiden nicht begleitete lag daran, dass Mary vor 10 Minuten ebenfalls frühstücken gekommen war. Ich hatte mich, als ich sie entdeckte, von Ezra und Juan verabschiedet und war zu ihr gegangen, damit wir besprechen konnten, was wir die nächsten zwei Tage tun sollten, denn ein Pflichtprogramm gab es erst Donnerstag und Freitag wieder.

Letztendlich hatten wir die beiden Tage wirklich gut gefüllt. Den Dienstag verbrachten wir den ganzen Tag am Strand, wo wir uns einer Gruppe Mädchen anschlossen und eigentlich fast nur Volleyball spielten. Es gab nämlich glücklicherweise ein Feld, das zur Strandpromenade gehörte und das man problemlos nutzen konnte. Wenn ein Junge, egal ob aus dem Internat oder sonst woher, fragte, ob er mitspielen könnte, bekam ein in der Gruppe gerufenes 'Nein' und Gelächter an den Kopf geworfen. Keiner wollte, dass die ach so sportlichen Jungs sich einmischen und rumprahlten. Selbst Mary lachte und schien an diesem Mädelstag richtig ausgelassen zu sein. Sie überraschte so einige, da sie zwar nicht super spielte, aber eindeutig besser, als man es von dem zerbrechlichen Mädchen erwartet hätte.

Den Dienstag nutzten wir, um zu zweit die Stadt zu erkunden und shoppen zu gehen. Wir shoppten jedoch keine Klamotten, davon hatte ich meiner Meinung nach genug und brauchte auch nichts, sondern Souvenirs. Ich kaufte meiner Mutter eine große Muschel und typisch spanische Ohrringe, während meine Schwester eine CD mit spanischen Kinderliedern, die man leicht mitsingen konnte, sowie einen dieser Magnete, wo der Ort drauf war, in dem man Urlaub machte, bekam. Mary kaufte für ihren Bruder einen Fußball, auf dem der hiesige Strand zu sehen war. Andere Verwandte schien sie nicht zu haben, doch diesen traurigen Gedanken wollte ich zu dieser Zeit eindeutig nicht haben.

Die zwei Tage vergingen wie im Flug und ehe ich mich versah, war es Donnerstag und der nächste Ausflug stand an: erneute Fahrt nach Barcelona, diesmal ging es in ein Kunstmuseum. Mary gefiel das als Künstlerin natürlich, doch ich war weniger begeistert, denn ich konnte damit nicht viel anfangen. Dementsprechend unmotiviert sah ich aus, als ich gähnend neben Mary vor einem Gemälde stand, dass irgendetwas zeigte, was ich nicht erkennen konnte, was Mary jedoch faszinierend fand. "Wenn du mich suchst, ich gehe weiter, ich sehe hier nämlich gar nichts." "Alles klar, mach das, ich hol dich dann ein." Marys Antwort kam wie immer leise und halb abwesend über ihre Lippen. Seufzend sah ich mich um, entdeckte jedoch nichts, was mich wirklich interessierte. Deshalb gesellte ich mich einfach zu der nächststehensten Person, die mindestens genauso gelangweilt aussah wie ich, was in meinem Fall Juan war, der mit schief gelegten Kopf auf ein seltsames schwarz weiß Bild sah, dabei jedoch wirkte, als würde er gleich einschlafen. "Versuchst du dich vom Bild in Hypnose versetzen zu lassen? Deinem Gesichtsausdruck nach warst du nah dran an einer Trance", gab ich als Begrüßung von mir, als ich mich neben ihn stellte.

Er zuckte leicht zusammen, da es hier drinnen ziemlich leise war und meine Stimme somit selbst in leisem Tonfall ziemlich auffiel, zumindest, wenn ich so plötzlich und ohne, dass er es merkte, direkt neben ihm stand.
"Jetzt hast du mich jedoch gestört und ich muss von vorne anfangen" sagte er daraufhin mit einer ruhigen Ernsthaftigkeit, die ich ihm fast abgekauft hätte, wenn da nicht das Schmunzel auf seinen Lippen gewesen wäre, das ich sah, als er den Kopf vom Bild abwand und sich zu mir drehte. "Tut mir sehr leid. Ich habe nicht gewusst, dass du ein so tiefes Interesse an.... Ehm ich finde es hat Ähnlichkeit mit verlaufener Wimperntusche, was meinst du?"
Ich legte mir eine Hand ans Kinn und sah übertrieben nachdenklich das Bild an, während ich innerlich dem Drang widerstand, laut loszulachen.
"Nein, nein. Das ist eindeutig ein Zebrahintern, sieh doch. Hier ist sogar ein schwarzer Klecks, der nicht zu den Streifen gehört und die Hinterntheorie beweist", ging Juan auf mein Spielchen ein und zeigte mit dem Finger auf einen Punkt, an dem tatsächlich ein wenig mehr schwarz war. Leider sorgte die Vorstellung, dass das wahrscheinlich millionenschwere Bild vor mir an der Wand, ein schlecht gesäuberter Zebrahintern sein sollte, dafür, dass ich nun doch in lautes Gelächter ausbrach. Juan neben mir konnte sich da deutlich besser zurückhalten und beließ es bei einem breiten amüsierten Lächeln, wobei ich sofort sagen konnte, dass es das bisher ehrlichste Lächeln war, was ich an ihm gesehen hatte, seit wir uns wiederbegegnet waren.

Do You Believe In Fate?Where stories live. Discover now