Kapitel 8 - Juans Sicht

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Ich saß in Jogginghose und ärmellosem Oberteil auf meinem Bett und beobachtete Ezra. Der Spanier hatte scheinbar die ganze Nacht durch mit dieser Kellnerin geschrieben, denn sein Handy lag zwischen seiner Wange und der Matratze eingeklemmt auf dem Bett. Ich hatte mir vorgenommen ihn dieses Mal zu wecken, damit er in Ruhe und nicht unter Zeitdruck frühstücken konnte, doch der Anblick dieses Jungens mit tiefen Augenringen und einem leichten Lächeln auf den Lippen hielt mich für einen Augenblick davon ab. Ich wollte auch mal wieder mit einem ungezwungenen Lächeln einschlafen können. Mit dem Gedanken, dass mir in diesem Moment alles egal war. Doch jeden Abend schlief ich mit dem Gedanken an Portugal ein. Meine Vergangenheit schien mich wirklich Tag und Nacht zu verfolgen, unter anderem, weil ich von meinem schlechten Gewissen geplagt wurde. Ich versuchte mir stets einzureden, das Richtige getan zu haben, als ich meine Familie verlassen hatte, um mein eigenes Leben aufzubauen, welches in den Fängen meines Vaters nicht möglich gewesen wäre. Nachts hörte ich die Stimme meines Erzeugers, wie er mich zurechtwies, wie er mich in mein Zimmer sperrte und mich vom Abendessen ausschloss, wenn ich nicht das getan hatte, was er wollte.

Schweigend starrte ich auf den Dunkelhaarigen herab, ehe ich mich kopfschüttelnd dazu zwang an etwas anderes zu denken. Ich weckte Ezra etwas unsanft auf, in dem ich ihn an den Schultern rüttelte. "Wenn du gemütlich frühstücken willst, solltest du jetzt aufstehen" Ich machte mich auf eine gereizte Antwort bereit, doch diese blieb aus. Stattdessen schälte sich Ezra mit seinem Handy in der Hand breitgrinsend aus seiner Bettdecke und verschwand mit einem "Dir auch einen guten Morgen, Juan" im Bad. Verwirrt sah ich ihm nach. Das war ich nicht gewöhnt - normalerweise blieb Ezra möglichst lange im Bett liegen und verpasste dadurch oft einige Unterrichtsstunden, die er anschließend nachholen musste. Misstrauisch geworden aufgrund seiner guten Laune folgte ich dem Spanier ins Bad und legte meine Stirn in Falten. "Hast du im Lotto gewonnen oder warum beschwerst du dich ausnahmsweise mal nicht darüber, dass man immer so früh frühstücken muss?" fragte ich, wobei ich mir den Grund dafür jedoch schon denken konnte: Lilli.

"Wir haben die halbe Nacht durchgeschrieben" antwortete er nur, ehe er seine Zähne zu putzen begann. Auf der einen Seite freute ich mich für Ezra, auf der anderen Seite hoffte ich, dass die beiden sich erst besser kennenlernen würden, bevor aus der Flirterei eine Beziehung wurde. "Vergeig es nicht" waren meine letzten Worte, bevor ich ihn im Bad alleine ließ und auf dem Bett darauf wartete, dass ich mit ihm gemeinsam frühstücken gehen konnte.

"Sie ist 16 und geht in Barcelona in die Schule" erzählte Ezra mir auf dem Weg zum Hotelrestaurant. "Und wenn sie ihr Abitur hat, möchte sie entweder Mediendesign studieren oder als Entwicklungshelferin nach Südamerika fliegen um dort - oh" Wir hielten in der Lobby vor der Treppe, welche runter zum Restaurant führte, an. Ein rotes Band versperrte uns dabei den Weg und hinderte uns daran, weiter zu laufen. "Kein Durchgang - Frisch gebohnert" laß ich laut vor, was auf dem Schild vor meiner Nase stand. Da wir nicht weiterlaufen konnten, mussten wir den -Nein....

Für einen Moment schloss ich die Augen um die aufkommende Übelkeit irgendwie zu unterdrücken. Auf einmal hatte ich keinen Hunger mehr und auch Ezra schien zu bemerken, dass etwas nicht mit mir stimmte. "Alles klar, Juan?" Besorgt sah er mich an, bis auch ihm ein Licht aufgehen zu schien. Er wusste nur zu gut, was mein Problem war und warum ich liebend gerne die Treppe genutzt hätte. "Wir können wieder hoch ins Zimmer gehen und uns etwas-" Schwachsinn. Ich würde ganz sicher nicht deswegen wieder hochgehen und mich verkriechen. "Nein, lass uns den Aufzug nehmen" unterbrach ich ihn und drückte etwas widerwillig den Knopf des Fahrstuhls.

Die Tür fiel ins Schloss und ich hörte, wie er die Tür hinter sich abschloss. Mein Vater. Er hatte mich wirklich in einer kalten und finsteren Besenkammer eingesperrt, nachdem ich ihm das erste Mal ins Gesicht gesagt hatte, dass ich niemals hinter der Kamera auf dem Regiestuhl sitzen wollte. Das war der Preis für meine eigene Meinung - so viel dazu, dass man ein Recht auf seine eigene Meinung hatte. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, verschnellerte sich mein Atem ungemein, während mein Blick durch die Finsternis huschte um nach irgendeinem Fluchtweg zu suchen. Doch mich erwartete, auch nachdem meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, gähnende Leere der Finsternis. Ich wusste, dass der Raum nicht gerade groß war und als ich die kühle Wand an meinem Rücken spürte, hatte ich das unwohle Gefühl, als würde sich der Raum zusammenziehen, so dass er noch kleiner wurde."Vater!" Mit geballten Fäusten trommelte ich panisch gegen die Tür, die sich jedoch weder von innen öffnen ließ noch von außen von einer fremden Kraft geöffnet wurde. Ich rief noch einige Male nach meinem Vater, bis mich die Übelkeit und die panische Angst übermannte. Mein Vater wusste nur zu gut, dass ich Platzangst hatte und doch schien er meine Angst als Waffe zu nutzen, um mich dazu zu bringen, ihm seinen Wunsch zu erfüllen: Seinen eigenen Sohn als Filmproduzenten sehen zu können. Ich hörte leise die Stimme meiner Mutter - oder vielleicht war es auch nur eine Art der Einbildung - ehe ich völlig das Bewusstsein verlor und mich das Schwarz umhüllte.

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