Kapitel - 19 Gwens Sicht

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Gequält wälzte ich mich im Bett von einer Seite auf die andere, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Mittlerweile war es schon 2 Uhr und ich hatte immer noch kein Auge zu bekommen.

Leise seufzend, um meine tief und fest schlafenden Zimmergenossinnen nicht zu wecken, schlug ich die Decke zurück und kletterte vom Hochbett. Ich hoffte, nach einem kleinen Spaziergang den Kopf freizukriegen, in dem sich gerade ziemlich viel um alte Erinnerungen drehte, weil Clemént wieder da war, und auch um neue Gefühle sowie Erinnerungen und somit um Juan.

Lautlos öffnete ich die Tür und schlüpfte aus dem Zimmer in den Flur, natürlich nicht, ohne meinen Schlüssel noch mitzunehmen. Dass ich lediglich meine Schlafshorts und mein Schlaftop trug, machte mir nicht besonders viel aus, da ich nicht erwartete noch jemanden anzutreffen. Und falls ich es doch tat, war es mir eigentlich ziemlich egal.

Leise bewegte ich die nackten Füße über den Boden, wobei sie dadurch, dass im Flur in den Gängen mit den Zimmern Teppiche ausgelegt waren, kein einziges Geräusch von sich gaben. Das einzige Licht war ein kleines Lämpchen über dem Durchgang zum Flur, der zur Treppe führte. Deshalb erkannte ich auch die Person, die bewegungslos mit dem Rücken zu mir am Ende des Ganges stand, nicht.

Mit gerunzelter Stirn blieb ich stehen, da ich nicht wusste, ob ich weiter gehen sollte. Meine Neugier war jedoch einfach zu groß, als dass ich jetzt einfach hätte umdrehen können, weshalb ich einige lautlose Schritte in die Richtung der Person machte. Die Augen zusammengekniffen versuchte ich anhand der männlich aussehenden Silhouette herauszufinden, wer hier rumlungerte.

Ich machte einen weiteren Schritt nach vorne und erkannte plötzlich die Person, die regungslos dort stand. Juan. Was machte er denn bitte hier? Und dann lediglich in Boxershorts?
"Juan?" Ich sprach eher leise, da auf dem lautlosen, dunklen Flur jedes Geräusch viel lauter schien. Was machte er hier? Der Jungentrakt war am anderen Ende der Schule.

Juan reagierte in keinster Weise auf mich, was mir nicht gerade half das Fragezeichen in meinen Kopf aufzulösen. Deshalb ging ich jetzt auch einfach auf ihn zu, um ihm, als ich direkt hinter ihm stand, eine Hand auf die Schulter zu legen und mich dadurch bemerkbar zu machen. Vielleicht hatte er ja Kopfhörer auf und hörte mich deshalb nicht, im Dunklen konnte ich das ja schlecht erkennen.

Ich kam jedoch nicht mal dazu, die Hand zu heben, da er sich urplötzlich umdrehte, dabei jedoch eher durch mich hindurch, als mich ansah, und mit einem Gegenstand in seiner Hand, einem Knirps-Regenschirm, nach mir schlug. Blitzartig schlug ich ihm den Gegenstand mit einer gekonnten Bewegung aus der Hand und verpasste ihm einen Schlag in den Magen.

Es war nicht mal Absicht, da ich vollkommen aus Reflex gehandelt hatte, dadurch dass ich so perplex durch seinen Angriff war. Jedoch hatte ich den Schlag doch noch etwas abschwächen können, sodass es wahrscheinlich alles andere als angenehm gewesen war, er sich jedoch nicht vor Schmerzen auf dem Boden krümmen würde.

Juan, bei dem ich gerade überhaupt nicht wusste, was abging, reagierte auf den Schlag, indem er zusamenzuckte und mich an dem Arm packte, der immer noch an seinem lehnte, da ich ihm mit diesem den kleinen Schirm aus der Hand geschlagen hatte, und etwas zu sich zog.
Das alles passierte in wenigen Sekunden und als Juans bis eben verschleierter und abwesender Blick plötzlich klar und verwirrt durch sie Gegend huschte und an mir hängen blieb, wurde mir auf einmal klar, was eben los war. Er schlafwandelte! Beziehungsweise hatte das, bis ich ihn ziemlich unangenehm geweckt hatte.

Verwirrt sah Juan zu mir runter, wobei er weder meine Hand losließ noch zurücktrat, was mir zeigte, wie orientierungslos er gerade eigentlich war, er wäre sonst schon längst auf Distanz gegangen. Mir tat die Nähe jedoch nicht besonders gut, beziehungsweise meinem Herzschlag, der sich dadurch beschleunigte, dass sein Gesicht direkt über meinem schwebte und er dazu noch im Prinzip halb nackt vor mir stand. Den Rückzug antreten konnte ich selbst auch nicht, da ich mich bei meinem kleinen Verteidigungs-Angriffs-Manöver so gedreht hatte, dass ich fast direkt an der Wand stand. Und wenn ich ehrlich war, wollte ich auch gar nicht weg. "Du bist schlafgewandelt und wolltest mich mit einem Knirpsregenschirm angreifen, ich hab dir aus Versehen einen Schlag in den Magen verpasst, dadurch bist du aufgewacht", beantwortete ich in Kurzfassung seinen fragenden Blick, der danach so aussah, als würde ihm gerade etwas klar werden.
Juan nickte nur, wobei er noch ziemlich verwirrt und abwesend wirkte. Ich schmunzelte etwas über diesen doch für Juan ungewohnten Zustand, auch wenn meine Gedanken ganz wo anders waren. Nämlich bei der Frage wieso er mich immer noch festhielt und nicht zurücktrat. Schlecht fand ich das jedoch eindeutig nicht. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, man sah mir genau an, was ich fühlte, als ich zu ihm hoch sah.

Dass er meinen Blick sogar erwiderte wunderte mich unglaublich, selbst als er nach 5 Sekunden wieder weg sah. Sonst wand er den Blick bereits nach maximal zwei Sekunden ab.
Ohne dass ich es wirklich kontrollieren konnte, wanderte mein Blick von seinen Augen zu seinen Lippen und mir kam wieder in den Sinn, wie ich mich während des Kusses an dem Montag, als Clemént aufgetaucht war, gefühlt hatte und der war nicht mal wirklich echt gewesen. Wie würde sich da ein von Anfang an echter Kuss anfühlen?
Ohne es zu merken, hatte ich mich näher an Juan gelehnt. Mein Blick glitt wieder zu Juans Augen, die mein Gesicht zu mustern schienen. Ich würde gerade wirklich gerne wissen, was ihm eigentlich durch den Kopf ging. Dass bereits seit einer Weile keiner von uns mehr etwas gesagt hat, fiel mir nicht mal auf. Viel zu greifbar war die Spannung gerade, als dass ich überhaupt einen wirklich brauchbaren Gedanken fassen konnte.

Mein Blick glitt wieder zurück zu Juans Lippen und ich fällte eine Entscheidung. Gerade wollte ich mich noch näher zu Juan lehnen, meine Lippen auf seine legen, als plötzlich eine amüsierte Stimme aus dem Flur zu den Treppen ertönte.
"Eigentlich müsste ich euch ja ermahnen aber ich bin ein großer Anhänger der Romantik und tu einfach so, als hätte ich euch nie gesehen." Blitzartig zog ich mich wieder zurück und auch Juan sprang fast schon nach hinten, als hätte er sich verbrannt.

Nicht weit von uns direkt unter dem Licht, das den Durchgang beleuchtete, stand Herr Jacobs und sah uns mit einem wissenden Schmunzeln an.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal rot geworden war, doch gerade war ich froh, dass es so dunkel war, denn meine Wangen brannten verdächtig. Das war echt peinlich. Und unangenehm.

Juan hingegen sah eine Weile zu dem Lehrer, ehe sein Blick zum Regenschirm am Boden glitt und anschließend wieder zurück zum Lehrer. Man sah, dass er gerade gedanklich irgendetwas durchging, doch was genau in seinem Kopf vorging, blieb mir verborgen. Hatte er vielleicht vorhin gedacht er träumte noch und meine Aussage gar nicht bewusst gehört? Schließlich wusste ich nicht genau, wann ein Schlafwandler wach war und sein Verhalten, dass so anders gewesen war als sonst, sprach auf jeden Fall dafür.

Enttäuschung breitete sich in mir aus. Kurz hatte ich jegliche Bedenken und Zweifel über Bord geworfen, doch mit dem Auftauchen von Herrn Jacobs waren sie alle wieder auf mich eingestürzt. Vor allem, weil meine Vermutung sich bestätigte, als Juan sich leicht ungläubig umsah. Wer weiß wen er vor sich gesehen hatte?

Ich wusste seit Kurzem schließlich durch die ziemlich aktive Gerüchteküche, die für Schulen so typisch war, dass Juan immer noch um seine Freundin trauerte, mit der er so lange zusammen gewesen und die dann gestorben sein sollte. Da war es am Ende doch nicht schwer zu erraten, wen er vielleicht gesehen hatte.

Als auch noch Frau Feé zu uns stieß, sich neben Jacobs stellte und uns abwechselnd ansah, wurde mir das alles zu unangenehm."Ich gehe dann mal", sagte ich schließlich und ließ weder Juan noch den beiden Lehrern Zeit etwas dazu zu sagen, da ich mich sofort umdrehte und schnellen Schrittes mein Zimmer erreichte, in dem ich, ohne mich nochmal umzudrehen, verschwand.

So viel zum Thema Gefühle verdrängen, dann verschwinden sie vielleicht...

Do You Believe In Fate?Where stories live. Discover now