Kapitel 15 - Gwens Sicht

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In meinem Inneren zog sich alles zusammen als ich ihn sah. Eine Mischung aus blanker Wut und schneidendem Schmerz raubte mir für einen Augenblick den Atem, sodass ich nichts weiter tun konnte, als ihn einfach nur anzustarren. "Clemént". Dass ich seinen Namen laut ausgesprochen hatte, fiel mir dabei gar nicht auf.
Wieso war er hier? Wieso hasste mich dieses verdammte Universum so sehr, dass es diesen Kerl hierher beförderte? Den, für den ich das erste Mal Liebe und somit mehr als nur Verliebtheit empfunden hatte, den Kerl, der mir vor einem halben Jahr das Herz gebrochen hatte. In Form einer beschissenen SMS. Das eingebildete Rektorensöhnchen, das gerade spöttisch grinsend meinen Blick erwiderte.
"Gwen? Wer ist das?" Juans leicht zögerlich und - wahrscheinlich Aufgrund meines Gesichtsausdrucks - besorgte Stimme riss mich aus meiner Starre heraus und ich drehte den Kopf zu ihm. "Mein Ex." Meine Stimme klang emotionslos, was daran lag, dass sie sich sonst vor Emotionen überschlagen hätte, weshalb ich diese weit, weit weg sperrte.
"Der Sohn vom Rektor?" fragte Juan nach, da ich bisher schließlich zwei Mal in einer Beziehung gewesen war. Ich nickte lediglich und beobachtete aus dem Augenwinkel Clemént, der nun selbstsicher auf uns zu kam. Gar nicht gut. Vor allem, weil ich ihm nicht mal eine verpassen konnte, da die Pausenaufsicht eine Lehrerin war, die mich mindestens so sehr hasste, wie ich Sport liebte und ich wollte Clemént nicht wieder den Triumph gönnen, dass er mich so aus der Fassung bringen konnte.
"Weißt du noch den Wetteinsatz, Juan? Ich fordere ihn jetzt ein." eindringlich sah ich Juan an, der sich nun aufsetzte, um mich aufmerksam und mit konzentriert zusammengezogenen Augenbrauen anzusehen. Wahrscheinlich überlegte er gerade, was ich denn nun von ihm fordern könnte.
"Du musst meinen Freund spielen."
Juans Augenbraue erreichte ganz neue Höhen bei dieser Aussage von vor.
"Dürfte ich dich auch fragen, wieso?"
"Weil ich ihn loswerden möchte und ihm zeigen will, dass ich über ihn hinweg bin, er keine Macht mehr hat, ich weiß nicht die klügste Lösung, aber die andere wäre, ihm nochmal die Nase zu brechen." Ich sprach schnell und als ich sah, dass Clemént mittlerweile fast bei uns angekommen war, hing ich ein leises "Bitte" hintendran. Ob es nun das Bitte, meine Verzweiflung oder einfach der Stolz, der ihn dazu trieb, meinen Wetteinsatz zu erfüllen, war, spielte letztendlich keine Rolle, denn er nickte und stimmte somit zu.

"Gwendolyn, was für ein schöner Zufall." Clemént zog das y in die Länge und baute sich mit einem breiten Grinsen sowie den Händen in den Hosentaschen vor uns auf, sodass er auf uns runter sah, da Juan und ich im Gegensatz zu ihm in Gras saßen. Doch aufstehen, nur weil er hier auftauchte, würde ich nicht. Vollkommen kalt sah ich den Neuankömmling an. "Clemént, es ist wirklich zum Kotzen dich wieder zu sehen." ich ahmte seinen übertrieben freundlichen Tonfall nach. "Hatte Papi etwa genug von dir oder was machst du hier?" spöttisch sah ich ihn an und ließ mir somit nichts von der Wut und der Verletztheit anmerken, die ich empfand.
"Ich sehe schon, du hast dich nicht verändert. Dass du die Krallen ausfahren kannst fand ich ja schon damals echt heiß."

Meine linke Hand ballte sich zur Faust. Er machte das absichtlich, von damals anfangen. Dem Sadisten machte es offensichtlich Spaß zu sehen, wie sehr er mich verletzt hatte. "Und ich konnte dir auch schon damals die Nase brechen, das können wir gerne wiederholen, wo dir dein Gesicht doch so wichtig ist." Juan hatte bisher stumm neben mir gesessen, legte nun jedoch beruhigend eine Hand auf den Arm, was mich daran erinnerte, das ich ruhig hatte bleiben wollen.
Clemént, der Juan bisher völlig ignoriert hatte, schien diesen nun auch endlich mal zu bemerken und musterte ihn abschätzig, würdigte ihn jedoch keines Blickes mehr. Wie hatte ich diese Arroganz damals eigentlich übersehen können?
"Also im Gegensatz zu dir, bin ich wirklich sehr erfreut, dass wir wieder auf die selbe Schule gehen. Vielleicht können wir ja so gewisse Dinge wiederholen, wenn du deine dumme Wut endlich einmal beiseite geschoben hast. Im Bett warst du wirklich nicht schlecht."

Hätten Blicke töten können, Clemént wäre bereits mehrere Male qualvoll gestorben. Innerlich brodelnd wollte ich aufspringen, wurde jedoch von Juan, der seinen Griff um meinen Arm verstärkte, zurück gehalten.
"Du solltest wirklich vorsichtig sein, was du im Beisein des Freundes eines Mädchens so von dir gibst." Mit seiner typischen unergründlichen Maske sah Juan Clemént an, der Con der Aussage des Portugiesen wirklich überrascht zu sein schien, was daran lag, dass er mich leider besser kannte, als mir lieb wäre.
"Du bist mit ihm zusammen? Die unnahbare Gwendolyn hat also wieder einen Freund, dabei warst du nach uns noch schlimmer als vorher schon." amüsiert sah er von mir zu Juan. "Ich glaube euch nicht. Ich kenn dich doch. Das weißt du doch, Süße." innerlich knirschte ich mit den Zähnen, während ich es nun geschafft hatte, mir äußerlich keine einzige emotionale Regung anmerken zu lassen, die ich nicht bewusst zuließ.

Stattdessen lächelte ich kalt zurück.
"Da täuscht du dich." erwiderte ich und tat etwas, was ich selbst so gar nicht von mir erwartet hätte. Ehe ich es mir noch anders überlegen konnte, drehte ich mich zu Juan, ließ meine Hände auf seinen Wangen ruhen, schloss die Augen und legte meine Lippen auf seine.
Dieser hatte das selbstverständlich nicht kommen sehen und spannte sich an, reagierte jedoch anschließend ziemlich schnell, als er sich wieder entspannte und den Kuss erwiderte, wobei ich seine rechte Hand in meinem Nacken spürte.
Was mich jedoch noch mehr überraschte als das, was ich tat, war, was ich dabei empfand. Ich fand den Kuss toll, jedoch nicht einfach weil Juan gut küssen konnte, dem war zwar auch so, aber darum ging es weniger, sondern weil mein Herz davon schneller schlug. Er sich nach Geborgenheit, Zuneigung und etwas Schönem, Warmen, Süßen, Kribbelnden anfühlte.

Juan war der erste der sich löste und mich somit an die Situation erinnerte, die ich gerade ernsthaft, wenn auch nur für wenige Sekunden, kurz vergessen hatte. Kurz sah er mir in die Augen und strich mir eine Haarsträhne zurück, während ich seinen Blick erwiderte. Danach zog ich mich wieder zurück. Das Gefühl, dass ich das eben grade gerne wiederholen würde, bereitete mir Magenschmerzen und gleichzeitig Herzrasen, doch bevor ich mich damit auseinandersetzen konnte, musste ich erst das Problem vor meiner Nase Namens Clemént klären. "Wie du siehst, hast du unrecht. Es wäre also schön, wenn du in Zukunft mich und meine Freundin in Ruhe lassen könntest." Juan besaß die Fähigkeit völlig ruhig und entspannt, aber gleichzeitig bedrohlich klingen zu können, von der er auch jetzt Gebrauch machte.
Clemént schien ernsthaft überrascht zu sein, das hatte ich genau gesehen, egal wie schnell er in der Lage dazu war, das mit einem lockeren Grinsen zu überspielen.

"Jammer schade. Aber ich finde, eine Beziehung ist kein Hindernis. Man sieht sich." Er zwinkerte uns nochmal zu, ehe er sich umdrehte, um im Gebäude zu verschwinden, wodurch wir beide hier nur noch zu zweit saßen.
"Danke." ich war die erste, die wieder sprach. Mit einem leichten aber dankbaren Lächeln sah ich Juan an. Clemént war jemand, den man nur schwer los wurde, wenn er sich vorgenommen hatte, dass er jetzt hier sein wollte und ich hätte mich ohne Juan noh viel länger mit ihm rumschlagen müssen.
"Keine Ursache. Ich wundere mich lediglich, wie du mit ihm zusammen sein konntest." Juan schien wirklich ratlos und ich legte seufzend den Kopf in den Nacken. "Er war anders, zumindest wenn ich bei ihm war und vor allem am Anfang. Außerdem macht Liebe blind." Ratlos über mich selbst zuckte ich mit den Schultern.
Danach sagte erst einmal keiner etwas, doch angenehm war die Stille nicht, zumindest für mich nicht, denn ich hatte dadurch die Möglichkeit, nochmal über den Kuss nachzudenken. Bestimmt hatte ich mir nur eingebildet, dass da mehr war. Da durfte nicht mehr sein. Ich hatte gerade einen alten Freund wiedergefunden, ich hatte keine Lust dass 'mehr' da dazwischen kam, vor allem weil das sowieso immer schlecht endete, zumindest für mich. Juan konnte eben einfach gut küssen, das war alles.
"Du kannst übrigens gut küssen." sagte ich ohne nachzudenken laut, biss mir anschließend jedoch auf die Lippe. "Ups, so direkt wollte ich das gar nicht sagen", setzte ich hinten dran, was Juan Schmunzeln ließ.

"Danke.."

Juan ließ sich wieder nach hinten fallen, sodass er ausgestreckt da lag.
"Hast du keinen Unterricht?", fragte ich, da ein Blick auf die Uhr mir verriet, dass in 3 Minuten der Unterricht begann.
"Nein, die nächste fällt aus." erklärte er mir geschlossenen Augen, die Sonne genießend.
"Dann viel Spaß, ich muss los." Mit diesen Worten stand ich auf und begab mich in meine nächste Stunde, froh, dass die Pause nicht länger war, weil ich gerade eindeutig etwas Zeit zum Nachdenken brauchte. Oder zum Verdrängen, je nachdem was das Nachdenken ergab.

Do You Believe In Fate?Where stories live. Discover now