Kapitel 14 - Juans Sicht

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Es war wieder Montag und wir saßen in unserem Klassenzimmer an den Plätzen. In Deutschland. Samstagabend waren wir wieder zurückgekommen, jedoch war nichts Spannendes mehr passiert, abgesehen von der Tatsache, dass ich Ezra nach seinem Wink mit dem Zaunpfahl verziehen hatte. Der Genannte saß links neben mir und machte mich darauf aufmerksam, dass unser Englisch- und Klassenlehrer das Zimmer betreten hatte. Nach der erholsamen Woche in Spanien hatte ich erst recht keine Lust auf produktiven Unterricht und so schien es auch anderen zu gehen, denn unser Lehrer hatte bereits angekündigt, dass wir heute mit unserer neuen Lektüre anfangen würde.

Herr Bernardini legte den Karton unserer Lektüren auf den Tisch und stemmte seine Hände in seine Hüften. "Morgen" begrüßte er uns auf Englisch und erhielt die gewohnte, gemurmelte Antwort auf seine Begrüßung. "Wir beginnen mit einem neuen Thema und lesen dazu die Lektüre Hamlet." Er nahm die Kreide in die Hand und wandte sich der Tafel zu. Die Worte "Hamlet" und "Schicksal" zierten wenig später die Tafel unseres Klassenzimmers. "Bevor wir damit beginnen, Shakespeares Werk durchzulesen. Wer kennt die Handlung Hamlets und kann uns im Zusammenhang zu dem Begriff 'Schicksal' erzählen, worum es in dieser Geschichte geht?" Shakespeare war der Lieblingsschriftsteller meines Privatlehrers gewesen, so dass ich mich schon früh mit 'Romeo und Julia', 'Der Sturm' oder eben auch 'Hamlet' auseinandersetzen musste. Für einen Moment war es still im Klassenzimmer, ehe ich meine Hand hob, da es scheinbar kein anderer tat. "Hamlet war der dänische Prinz, dessen Vater von Hamlets Onkel getötet wurde. Während sich der Geist des verstorbenen Königs nach Rache sehnt, beginnt Hamlet eine Auseinandersetzung mit Leben und Tod um herauszufinden, was besser ist. In seinem Fall ist sein Schicksal, was übrigens von jedem anders interpretiert werden kann, dass er schlussendlich den Wunsch seines Vaters erfüllen soll, dabei jedoch selbst zum Opfer fällt." Unser Lehrer blickte mich für einen Moment schweigend an, ehe er zufrieden nickte. "So siehts aus. Ich möchte, dass ihr euch mit dem Sitznachbar für etwa 10 Minuten über das Thema Schicksal austauscht, bevor wir mit der Lektüre beginnen. Also: Glaubt ihr selbst an Schicksal oder ist euch bereits etwas Schicksalhaftes passiert? Nach dem kurzen Austausch sammeln wir einige Begriffe im Bezug zu dem Schicksal und zu der Handlung Hamlets"

"And you, Juan? Do you believe in Fate?" fragte Ezra mit einem Grinsen und vielsagend hochgezogener Augenbraue. Ich immitierte die Geste mit der Augenbraue, wobei ich jedoch einen fragenden Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. "Du klingst als wolltest du mit der Frage auf etwas Bestimmtes hinaus" - "Ich meine, deine alte Freundin Gwenny, mit der du auffallend viel Zeit verbringst seit ihr euch wieder getroffen habt." Seufzend fasste ich mir an die Stirn. "Wir hatten dieses Thema schon tausendmal, kannst du nicht einfach akzeptieren dass wir einfach nur Freunde sind?" Doch Ezra ließ nicht locker und da wir beide fließend Englisch sprechen konnten, musste keiner von uns herumrätseln, was der jeweils andere sagen wollte. "Man nennt es aber Schicksal, weil ihr euch gesucht und gefunden habt" Aufgrund dessen, dass es noch früh am Vormittag war, war ich doch etwas reizbarer als sonst, weswegen meine Antwort auch nicht ganz so freundlich klang: "Und man nennt es Karma, wenn ich dir ausversehen einen Stuhl gegen den Kopf werfe, weil du mir mit diesem Thema auf die Nerven gehst" Leider konnte ich meinem besten Freund damit nicht drohen, da er mich dafür zu gut kannte und mich grinsend ansah. Woher hatte der Spanier bitte seine gute Laune, obwohl er doch so ein Langschläfer war? "Aber du solltest dir echt mal eine Freundin suchen und Gwendolyn wär doch perfekt dafür. Ihr wärd zwar nicht wie der Rest der Welt, weil du eher der Ruhepol wärst und sie der temperamentvolle Part in eurer Beziehung aber Hey - das wär doch mal was anderes" meinte Ezra schmunzelnd.

"Ich nehm es dir ja nicht übel, wenn du Armor spielen willst aber ich dachte wirklich, dass du seit Spanien einwenig mehr Ahnung von der Liebe hast. Man sucht sich die Freundin oder den Freund nicht einfach so aus. Wenn ich eine Freundin habe, dann weil ich sie -" Herr Bernardini, welcher an unseren Tisch herangetreten war unterbrach unser Gespräch. "Ich bin euch ja wirklich dankbar, dass ihr wenigstens Englisch sprecht aber dann bitte über das Thema." - "Tun wir doch. Ich rede gerade über Juans und Gwens Schicksal" entgegnete der Spanier, worauf ich nur mit den Augen rollte. "Es gibt keine Schicksalsschläge. Das Schicksal existiert nur in Kindermärchen." Mit zusammengekniffenen Augen lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und atmete erleichtert auf, als ich sah, dass unser Lehrer bereits weitergelaufen war. Ich konnte es überhaupt nicht leiden, wenn die Lehrer auf Wanderschaft gingen.

"Außerdem ist es vielleicht auch Schicksal, dass wir Jacobs und Feé im Aufzug ertappt haben. Aber du bist einfach ein hoffnungsloser Fall, Juan." Es schien als hätte Ezra aufgegeben, doch ich wusste nur zu gut, dass das Thema irgendwann wieder fallen würde. "Ich weiß." Meine Antwort stellte den Braunhaarigen nicht wirklich zufrieden, doch das war mir momentan egal. Schweigend saßen wir an unseren Tischen und beobachteten die anderen, die mehr oder weniger der Arbeitsstellung nachgingen. Zwei Schüler aus Amerika, Damien und Isaac, saßen zum Beispiel in der hintersten Reihe und spielten Hangman, was ich daran erkennen konnte, dass Damien Isaac das Strichmännchen mit einem Stabilo auf den Oberarm zeichnete. Ein anderes Arbeitspaar unterhielt sich auf Deutsch, was wiederrum ebenfalls dem Auftrag des Lehrers widersprach. "Damien, hör auf damit. Isaac hat genug Tattoos - Ihr sollt Englisch sprechen, wie wollt ihr dann die Sprache lernen? - Leg deinen Block weg und hör auf die Kästchen anzumalen." Unser Lehrer war durch die Reihen gelaufen und hatte einige Schüler ermahnt, die dem Auftrag nicht folgten. Letztere Ermahnung war an Ezra gerichtet, der mit einem geröteten Gesicht seinen Block wegpacken wollte, hätte ich ihm diesen nicht aus der Hand gerissen. Was ich darauf zu sehen bekam, ließ mich grinsen. Er hatte einige Kästchen des karierten Blockes angemalt, so dass die farbigen Felder ein rotes Herz ergaben. "Lass mich raten - darunter schreibst du noch Lilli's Namen und schickst es ihr per Post nach Barcelona?" Ezra jedoch riss mir mit einem grimmigen Blick den Block aus der Hand und widmete sich höchst konzentriert dem Unterricht um nicht auf meine Frage antworten zu müssen.

Der Unterricht ging eher schleppend zu Ende, da wir zusammen Hamlet zu lesen begonnen hatten und einige Logikfehler ausdiskutiert werden mussten, wobei sich die halbe Klasse sehr lebhaft daran beteiligt hatte. Als jedoch die Schulklingel uns zur Pause erlöste, stand ich erleichtert auf und leihte mir von Ezra, der sich mit zwei Klassenkameraden unterhielten, sein Handy und seine Kopfhörer aus um mit Musik in den Ohren raus auf den Schulhof zu gehen. Das Schulgelände bestand aus einem kleinen und aus einem großen Schulhof, der an den Lehrerparkplatz angrenzte und Platz für verschiedene Aktivitäten wie zum Beispiel Fußball und Basketball bot. Am Rande des großen Schulhofs hinter einer niedrigen Mauer, auf die in den Pausen viele Schüler saßen, befand sich eine Wiese auf der man sich unter der alten, dicken Linde einfach einmal entspannen konnte.
Und diese steuerte ich an, wobei ich erleichtert darüber war, dass nur drei Schüler die Wiese in Besitz genommen hatten.

Etwa fünf Minuten später, nachdem ich mich unter der Linde ins Gras gelegt hatte, zog sich plötzlich einen Schatten über mein Gesicht, weswegen ich reflexartig meine Augen aufriss und mich automatisch aufsetzen wollte, bis ich sah wer sich über mich gebeugt und die Sonne vor mir abgeschirmt hatte. "Du könntest auch auf eine angenehmere Art und Weise auftauchen" murmelte ich, worauf ich ein Grinsen erntete. "Ich wollte nur sicher gehen, dass du keinen Sonnenbrand bekommst" erwiderte Gwen ironisch und ließ sich neben mir nieder, während ich mich wieder der Länge nach hinlegte. "Du wärst vermutlich die Erste, die eine rote Haut bekommen würde" entgegnete ich schmunzelnd, immerhin kam ich aus Portugal und war die pralle Sonne und die Hitze gewöhnt. Gwen jedoch ging nicht weiter darauf ein. "Wo hast du Ezra gelassen?" - "Der sitzt im Klassenzimmer und malt Kästchen an" Als bester Freund durfte man es sich hin und wieder erlauben zu spotten - vor allem wenn der Freund ein verliebtes Huhn war. Gwen, die schließlich nicht in meine Klasse ging und nichts von Ezras Malkünsten mitbekommen hatte, sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen fragend an. "Er hat im Unterricht einige Kästchen seines karierten Blockes angemalt, so dass es aussieht wie ein Herz. Meine Anmerkung auf sein Kunstwerk hat ihn glaub ich etwas gekränkt"

Gwen, die über meine Erklärung leise gelacht hatte, hörte jedoch schlagartig damit auf und starrte einen Punkt neben der Linde an, wobei sie ihre Augen augenblicklich verengte. "Clément." murmelte die Französin neben mir, worauf ich sie fragend ansah. Wer? Neugierig richtete ich mich ein wenig auf und drehte meinen Kopf zur Seite, um sehen zu können, wen oder was sie anstarrte. Das einzige Wesen, was in meinen Blickwinkel fiel, war ein junger Mann - etwa in meinem Alter - mit dunklen Haaren und einem gepiercten Ohr, der langsam auf Gwen und mich zu kam. Doch kennen tat ich ihn nicht.

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