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Jungkook POV

In seinen Armen bin ich wie erstarrt, von 0 auf 100 zu einer Salzsäure geworden. Ich spüre, wie ich zu zittern beginne und mir wieder schwindelig wird. Zum zweiten mal an diesem Tag erwartet mich eine Panikattacke und normalerweise müsste ich ihn von mir stoßen, ihn anbrüllen und aus meinem Zimmer schmeißen. Doch aus irgendeinem Grund kann ich nicht. Ich kann es einfach nicht.

Taehyung senkt seinen Kopf, vergräbt ihn in meiner Halsbeuge und verstärkt seinen Griff noch ein wenig. Auch wenn ich mich unglaublich unwohl fühle, vermischt sich dieses Empfinden noch mit einem anderen. Nur kann ich es nicht deuten. Ist es Freude? Begierde? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass, je länger die Umarmung dauert, das Unwohlsein mehr und mehr schwindet und ich tatsächlich beginne sie zu genießen.

Es fühlt sich gut an, seinen warmen Körper so nah bei mir zu spüren, seine starken Arme um mich zu haben, sein Haar meine Haut kitzeln zu lassen.

"Es tut mir leid, Jungkook." Seine Worte sind nur ein Flüstern und als sein heißer Atem auf meine Haut trifft, durchfährt mich ein Schauer. Er umarmt mich noch ein wenig fester, vergräbt sein Gesicht noch weiter an meiner Haut und ich spüre dadurch seine Lippen über meinen Hals streichen. Meine Atmung beschleunigt sich, mein Herz rast wie verrückt, fast schmerzhaft gegen meine Brust. Was ist das nur? Was macht er mit mir?

Plötzlich verstärkt er den Druck seiner Lippen auf meiner Halsschlagader und das ist der Moment, in dem ich aus meiner Starre erwache.

Ich lege meine Hände auf seine Brust und drücke ihn von mir, fast schon zu fest, denn er stolpert rückwärts über seine Füße und kann sich nur so gerade eben auf den Beinen halten. Perplex sieht er mich an, kann wahrscheinlich selbst nicht fassen, was das gerade zwischen uns war. Ich sehe Verwirrung in seinen Augen, die wegen der aktuellen Lichtverhältnisse dunkel erscheinen. Vielleicht rede ich mir das auch nur ein, denn wenn ich genau hinsehe, kann ich auch Verlangen darin erkennen. Jedenfalls stelle ich es mir so vor, dass diese Emotion sich so widerspiegelt.

Taehyung blinzelt einmal mehrere Male, wirkt wie gerade aus einem Traum erwacht, seiner Trance und nun gesellt sich Reue in seine Augen dazu.

"J-jungkook...ich..."

Er will wieder auf mich zukommen, doch ich hebe meine Hand. Diese Geste reicht, um ihn daran zu hindern, mir erneut näher zukommen, vielleicht etwas zu machen, was wir beide bereuen könnten.

"Taehyung...ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst." Ich senke meinen Blick, finde meine Bettdecke auf einmal unglaublich interessant, dabei ist das Interessanteste im Moment in diesem Raum einzig Taehyung. Doch das will ich ihm nicht zeigen, will ihm keinen Einblick in mein Inneres gewähren. Ich beiße auf meiner Unterlippe herum, so doll, dass ich bereits nach kurzer Zeit Blut schmecke, doch das ist mir egal. Mein Kopf ist noch immer benebelt von dieser intensiven Umarmung und von diesem kurzen Kuss, den Taehyung auf meine wahrscheinlich glühende Haut gedrückt hat.

"Es tut mir leid, Jungkook", sagt er noch einmal, ehe er sich umdreht und mein Zimmer verlässt.

Nun kann ich endlich wieder richtig durchatmen, starre eine Ewigkeit auf die Stelle, an der eben noch Taehyung stand und sinke schließlich hinunter auf meine Knie.

Er verwirrt mich so sehr, macht aus mir einen komplett anderen Menschen, der ich zwar immer sein wollte, aber nie werden konnte. Ich hasse meine Krankheit, verfluche mich dafür, finde mich abstoßend, doch dagegen tun kann ich nichts. Sie ist nicht heilbar, es gibt keine Medikamente, die ich dagegen nehmen könnte oder sonstige Therapiemöglichkeiten.

Und dann ist da Taehyung. Schon als ich nur seine Videos schaute, löste er etwas in mir aus. Erst war da Bewunderung, die sich langsam zu Verehrung und Schwärmerei wandelte, allein still für mich, unsichtbar für alle anderen. Auch für Jimin. Ich habe mit ihm nie darüber geredet, habe ihm nie verraten, dass der attraktive Youtuber mich ungewollt verändert.

Und nun ist er mein Mitschüler. Ich dachte, mein Traum wird wahr, mit ihm persönlich sprechen zu können und eine Freundschaft zu ihm aufzubauen. Doch das klingt alles leichter als es ist. Meine Krankheit hindert mich daran, ich wollte nie gemein zu ihm sein, wollte ihm so viel anderes sagen, als die Dinge, die tatsächlich meinen Mund verließen. Doch ich kann es nicht mehr rückgängig machen.

Und er versucht es weiter, versucht weiter, an mich heran zukommen, meine Gefühle für ihn zu entlocken, doch ich kann es einfach nicht. Mein Kopf aktiviert automatisch einen Schutzmechanismus, damit ich ja nicht verletzt werden kann. Denn tatsächlich ist das meine größte Sorge überhaupt. Ich möchte nicht so etwas grausames wie Schmerz fühlen. Lieber bleibe ich ein gefühlsloses Etwas und werde von anderen gemieden.

Doch Taehyung sieht das nicht so. Taehyung möchte mein Freund sein, möchte für mich da sein, wenn es mir schlecht geht. Und das, obwohl ich so ein Arschloch zu ihm war. Ich habe ihn nicht verdient.

Er ist so ein herzensguter Mensch und sucht sich ausgerechnet mich aus, dem er seine Aufmerksamkeit schenkt.

Ich verspüre plötzlich den Drang aufzuspringen und ihm hinterher zu laufen, ihm zu sagen, dass es doch eigentlich mir leid tun sollte, dass er absolut nichts falsch gemacht hat und dass ich es gerne mit einer Freundschaft versuchen würde. Doch auch das schaffe ich nicht.

Ich blicke auf meine zitternden Hände und spüre, wie sich eine Träne aus meinem Augenwinkel stiehlt, an meiner Wange herunterläuft und schließlich auf meiner Handinnenfläche landet. Doch es bleibt nicht bei dieser einen Träne. Noch viele weitere kommen heraus, nun auch gepaart mit passenden Schluchzgeräuschen, die meine Kehle verlassen. Ich weine tatsächlich, das zweite mal innerhalb von zwei Tagen.

Ich habe vorher nie in meinem Leben geweint. Natürlich als Kind mal, wenn man sich beim Spielen das Knie aufgeschrammt hat oder bei den Eltern nicht den Willen bekommen hat, doch dieses Weinen ist anders. Ich bemitleide mich selbst so sehr wie noch nie, dazu kommen die neuen, verwirrenden Gefühle, die Taehyung in mir hervorruft und meine Angst, sie einfach zuzulassen.

Wie lange ich dort am Boden sitze und heule weiß ich nicht, doch irgendwann kommt meine Mutter herein, hockt sich zu mir herunter und nimmt mich zaghaft in den Arm. Ich lasse es zu, bin viel zu schwach, um mich dagegen zu wehren, während sie beruhigend über meinen Rücken streicht.

Taehyung verändert mich, ob ich das will oder nicht. Und ich weiß nicht, ob es mir gefällt.

𝐕-𝐁𝐥𝐨𝐠│ᴛᴀᴇɢɢᴜᴋ ✓Where stories live. Discover now