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Taehyung POV

Ich umklammere das Kissen an meiner Brust fester, während ich aus dem Fenster starre und die Regentropfen dabei beobachte, wie sie sich ein Wettrennen liefern.
Meine Tränen laufen mittlerweile nur noch stumm über meine Wangen, eigentlich merke ich sie gar nicht mehr. Ich weine nun schon so lange und es ist innerhalb der letzten Stunden zur Gewohnheit geworden.
Ich habe den wichtigsten Menschen meines Lebens verloren. Und ich allein bin schuld daran.

Ich nehme das Kissen von meiner Brust, betrachte es einmal und werfe es daraufhin gegen die Wand, wo es mit einem dumpfen Geräusch auf meinem Bett aufkommt. Es ist dasselbe, auf dem Jungkook heute Nacht geschlafen hat, es riecht nach ihm, seinem Shampoo, aber ich kann es gerade nicht ertragen. Er fehlt mir so, ich durfte mich nicht einmal erklären. Woher sollte ich wissen, dass Yuna nach drei Jahren wieder auftaucht? Die Yuna, von der ich dachte sie wäre am selben Tag wie meine Schwester gestorben? Was ist nur in meinem Leben schief gelaufen, dass ich nicht einmal mit der Person glücklich sein darf, die ich liebe und die mich liebt?

Ich habe kurz darüber nachgedacht, Jungkook sofort hinterher zu laufen, doch ich hatte unterbewusst das Gefühl, es wäre nicht richtig. Er würde mich nur wieder von sich stoßen und dann hätte ich gar keine Chance mehr.
Ich weiß nicht, warum ich den Kuss mit Yuna erwidert habe. Lag es an der Vertrautheit, die wir mal hatten? An der Gewohnheit? Sie ist meine Freundin, die ich viele Jahre geliebt habe und die mir eigentlich gewaltsam aus meinem Leben genommen wurde. Vielleicht wäre ich heute noch mit ihr zusammen, wenn der Unfall nicht passiert werde. Ich war überwältigt von so vielen Gefühlen, dass ich einfach nicht nachgedacht und mich darauf eingelassen habe. Und genau damit habe ich Jungkook dann verletzt.
Ich kann ihn verstehen, würde er vor meinen Augen mit einer fremden Person rumknutschen, würde ich ähnlich reagieren. Ich habe also selbst schuld.

Langsam richte ich mich auf, werfe mich auf mein Bett und umklammere wieder das Kissen.
"Es tut mir leid", flüstere ich als kleine Entschuldigung in den Stoff hinein. Als ob er das hören würde, nur weil er auf diesem Kissen geschlafen hat.

Ich vernehme ein leises, zaghaftes Klopfen und auch ohne Hinzusehen, kann ich mir denken, wer mein Zimmer betritt.

"Geh weg, Yuna", murmele ich leise, bin weiter zur Wand gedreht und presse das Kissen noch enger an mich. Mir fällt ein Stück Stoff auf, das in der hinteren Ecke zwischen Matratze und Wand liegt und als ich es hervorhole, stelle ich fest, dass es ein T-Shirt von ihm ist. Er muss es wohl vergessen haben. Sofort greife ich danach und inhaliere den Duft, der so unvergleichbar ist. Ich rieche den Weichspüler, den seine Mutter verwendet und seinen eigenen Geruch, nichts auf der Welt riecht schöner für mich, als diese Kombination.

"Tae, ich-", beginnt Yuna leise, doch ich unterbreche sie sofort.

"Nenn mich nicht mehr so. Ich kenne dich nicht. Du bist vor drei Jahren gestorben", erwidere ich ein wenig lauter. Ich habe gerade wirklich Schwierigkeiten, meine Wut zurückzuhalten und wenn sie so weitermacht, kann ich für nichts garantieren.

Zuerst scheint sie irritiert, denn sie sagt einige Minuten nichts mehr. Ich habe sogar das Gefühl, sie hätte den Raum verlassen, aber als sie weiterspricht, wird meine Hoffnung nicht bestätigt.

"Taehyung, ich weiß, du bist sicher sehr verwirrt. Aber ich bin heute hier, an Aris drittem Todestag, um dir alles zu erklären."

Nun hat sie es geschafft. Wütend drehe ich mich um, umklammere weiterhin Jungkooks T-Shirt in meiner Hand, springe auf und bleibe kurz vor ihr stehen. Mittlerweile bin ich wirklich viel größer als sie, sie muss den Kopf richtig in den Nacken legen, um mir ins Gesicht schauen zu können. Der Unterschied war früher nicht so groß gewesen, auch wenn sie älter ist.

Ich halte ihr das Shirt vor die Nase und nun nimmt wirklich die Wut Überhand.

"Siehst du das, Yuna? Das gehört meinem Freund! Freund! Verstehst du, was das heißt? Ich habe jemanden gefunden, den ich über alles liebe und du hast alles kaputt gemacht mit einem einzigen Auftritt. Und wage es ja nicht, die Worte Ari und Todestag in einem Satz auszusprechen! Dazu hast du kein Recht! Du bist Schuld daran, dass sie tot ist und eigentlich bist du es auch! Jahrelang habe ich mit diesem Gedanken gelebt, mich damit abgefunden und nun stehst du hier, als wäre das alles nicht gewesen?" Schweratmend balle ich meine Hände zu Fäusten und betrachte sie. Bei meinen Worten beginnt sie wieder zu weinen, lautlos, aber sie lässt meinen Ausbruch über sich ergehen. Yuna hebt ihre Hand, um meinen Arm zu berühren, doch ich schlage sie weg. Dann öffnet sie den Mund, um etwas zu sagen, doch ich unterbreche sie erneut.

"Ich will keine Erklärung von dir, Yuna! Wenn du etwas erklären willst, dann von mir aus, wenn Jungkook da ist, denn ohne ihn will ich es nicht hören. Aber vermutlich wird er nie wieder mit mir sprechen. Und auch das ist deine Schuld!"

Ich schiebe sie an den Schultern zurück durch die Tür, greife schon das dünne Holz, doch den letzten Satz kann ich mir nicht verkneifen.

"Wärst du doch nur wirklich vor drei Jahren gestorben!"

Mit einem lauten Knall schließe ich meine Tür und lasse mich wieder heulend auf mein Bett fallen.
Ari, warum geht an deinem Todestag nur alles schief?
Jungkook, wo bist du jetzt? Warum bist du nicht bei mir?

Eine Weile liege ich so auf meinem Bett, kugele mich mit dem Kissen im Arm in Embryonalstellung und rieche immer wieder an dem Shirt. Wie soll ich ihm nur beweisen, dass alles ganz anders ist, als er vermutlich gerade denkt? Er wird nicht mit mir reden wollen, selbst wenn ich jetzt vor seiner Tür stehen würde. Wortlos würde er mich fortschicken, wenn er mich denn überhaupt persönlich empfangen sollte.

Doch plötzlich kommt mir eine Idee. Es ist zwar sehr gewagt, aber aktuell die einzige Möglichkeit, die ich habe. Es gibt eine Person auf der Welt, der er immer zuhören würde, egal wie wütend oder traurig er ist. V.

Sofort rappele ich mich auf und setze mich an den Laptop. Ich werde einen Livestream starten, nur für Jungkook. Ich werde ihm erklären, dass ich nichts dafür kann, dass sie hier ist, wer sie überhaupt ist, dass er mir fehlt und ich ihn über alles liebe. Das werde ich sagen und er wird es sehen, da bin ich mir sicher. Doch ob er dann wieder zu mir kommt, oder nicht, ist seine Entscheidung.

𝐕-𝐁𝐥𝐨𝐠│ᴛᴀᴇɢɢᴜᴋ ✓Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang