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Jungkook POV

Noch nie fühlte sich ein Weg so schwer und lang an, wie dieser jetzt zu Taehyungs Haus. Was ist, wenn er mich wider seinen Worten nicht sehen will? Wenn er mich gleich wieder rausschmeißt? Oder was ist, wenn er wieder so furchtbar wütend wird und mich anbrüllt?
Ich schüttele mit dem Kopf. Quatsch Jungkook, dafür hatte er sich entschuldigt und er konnte doch nicht wirklich etwas dafür.
Ich sehe sein Haus bereits in Sichtweite kommen und meine Beine werden noch schwerer, als sie eh schon sind. Auch wenn er einen Fehler gemacht hat, er mich unglaublich verletzt hat, so habe auch ich falsch gehandelt. Ich hätte ihm zuhören müssen, ihm die Chance geben, sich erklären zu können, aber in dem Moment haben die Gefühle mich so übermannt, dass ich einfach nicht mehr klar denken konnte. Ich war egoistisch und das tut mir jetzt leid.

Mit klopfendem Herzen stehe ich nun vor der Tür, mehrere Minuten lang, bis ich mich endlich dazu durchringen kann, auf die Klingel zu drücken. Ich warte eine gefühlte Ewigkeit bis mir die Tür von dem Mädchen geöffnet wird, das ich eigentlich nicht mehr sehen wollte. Warum geht sie überhaupt in einem ihr fremden Haus an die Tür? Und war die Entscheidung nun richtig, her zukommen? Mit ihrem Anblick vor meinen Augen bin ich mir da nicht mehr so sicher.

"Jungkook?", fragt sie zögerlich, als ob sie realisieren muss, dass ich tatsächlich hier stehe, oder aber sie versucht sich an meinen Namen zu erinnern, den Taehyung er vermutlich gesagt haben muss.

Ich strafe sie mit einem mehr als bösen Blick und schiebe mich wortlos an ihr vorbei. Meine Schuhe werfe ich achtlos zur Seite und steuere die Treppe in den ersten Stock an, doch diese Yuna hält mich auf. Als hätte mich ihre Hand verbrannt reiße ich mich von ihr los und blicke sie erschrocken an.

"Jungkook", sagt sie meinen Namen erneut, doch dieses mal nicht mehr fragend, sondern eher feststellend. "Es tut mir leid. Wegen mir habt ihr Streit. Das wollte ich nicht."

"Tch", ist alles was ich dazu sage und verschränke wütend meine Arme vor der Brust. Ich mag dieses Mädchen nicht und ich glaube auch nicht, dass sich das mal ändern wird.

"Taehyung redet nicht mit uns. Seit Stunden kommt er nicht aus seinem Zimmer heraus. Asuka und ich wissen nicht, was wir noch machen sollen. Ich hoffe, du kannst mit ihm reden."

"Deshalb bin ich hier", zische ich und drehe mich wieder um, trete ohne ein weiteres Wort die Treppen hinauf und bleibe vor Taehyungs Tür stehen, an die ich zaghaft anklopfe möchte. Doch ich entscheide mich kurzerhand dagegen und spaziere einfach hinein, wodurch ich ihn erschrecke und er kerzengerade auf seinem Bett sitzt. Ich lasse meine Tasche neben seinem Schreibtisch fallen und verschränke wieder die Arme vor der Brust, doch dieses mal nicht vor Wut, sondern eher abwartend und unsicher, verlagere mein Gewicht auf ein Bein und mustere ihn.

Er begreift erst später, dass ich vor ihm stehe, eben noch sah er einfach nur traurig und verletzt aus, doch als er mich erkennt hellt sich sein Gesicht auf, ich meine soetwas wie Glück und Erleichterung darin zu erkennen und eilig springt er auf, um sich vor mich zu stellen. Taehyung will mich in seine Arme ziehen, doch mit einer Handbewegung unterbreche ich ihn. Ich möchte erst einmal die Sachen loswerden, die ich so unbedingt sagen muss.

"Tae", beginne ich leise und bei dem liebevollen Blick, den er mir zuwirft, fällt es mir wirklich schwer, ihm böse zu sein. "Du kennst mich nun wirklich schon so gut, dass du wusstest ich würde deinen Livestream schauen. Du bist zwar ein Risiko eingegangen, denn ich hätte theoretisch heute alles ignorieren können, aber du hast es trotzdem gemacht und dafür danke ich dir. Ich danke dir für deine Ehrlichkeit und ich danke dir für deine Liebe. Du hast recht, du hast mich wirklich unglaublich verletzt, es fühlte sich an, als hättest du mein Herz herausgerissen, wärst darauf herumgetrampelt und hättest es mir zerschunden wieder eingesetzt. Aber wie du sagtest, ich liebe dich einfach zu sehr, als dass ich dich jetzt einfach loslassen könnte." Je mehr Worte meine Lippen verlassen, desto schwieriger fällt es mir, die Tränen zurückzuhalten. Tae gelingt es schon gar nicht mehr, oder er macht sich einfach nicht die Mühe. Stumm weint er vor meinen Augen und ihn so zu sehen, zerreißt mir nur noch mehr das Herz. "Du hast recht, ich liebe dich auch über alles. Ich werde dir zuhören und ich werde bei dir bleiben, solange du es möchtest. Ich werde mit dir gemeinsam die Box öffnen und diesen Abschnitt hinter uns bringen, damit wir nach vorne sehen können."

Gegen Ende hin bricht meine Stimme weg, auch ich beginne nun zu weinen und lasse zu, dass Tae mein Gesicht mit seinen Händen umrahmt. Zaghaft gibt er meinen einen kleinen Kuss, aber darin stecken so unglaublich viele Gefühle, die ihn so unglaublich schön machen.
Meine linke Hand löst das Armband von meinem rechten Handgelenk und ich halte es einmal hoch, mit dem Schlüssel zwischen Zeigefinger und Daumen.
Taehyung nickt verstehend, lässt mich los und geht zu dem Regal, wo er die Box hervor holt und zwischen unseren Füßen auf dem Boden platziert. Im Schneidersitz setze ich mich ihm gegenüber und nehme den kleinen Gegenstand in die Hand, betrachte ihn kurz und werfe noch einen Blick zu Tae, der mir einmal zunickt.
Mit einem Klicken öffnet sich das Schloss, als ich den Schlüssel herumdrehe und mit klopfendem Herzen drücke ich den Deckel nach hinten.
Ich weiß nicht, was ich darin erwartet habe, aber vermutlich nicht das. Zum Vorschein kommen zwei Briefe, jeweils adressiert an Yuna und Ari, womit wohl dieselbe, wie auf dem Engelsanhänger gemeint ist. Darunter kommen lediglich Fotos zum Vorschein, relativ viele.
Beim genauen Betrachten erkenne ich auf jedem davon einen jüngeren Taehyung als der, der vor mir sitzt, gemeinsam entweder mit einer jüngeren Yuna oder einem kleinen Mädchen, vielleicht um die zehn Jahre alt oder auch jünger.
Verwirrt sehe ich zu Taehyung, der mich mit einem leichten, unsicheren Lächeln beobachtet und als ich meine Frage stellen will, deutet er auf die Briefe, die in meinem Schoß liegen.

"Ich denke, die Briefe werden deine Fragen beantworten. Welchen liest du zuerst?"

Ich betrachte sie eine Weile, ehe ich mich dazu entschließe, den an Ari zuerst zu lesen, immerhin kenne ich sie nicht und es interessiert mich deutlich mehr als der an Yuna. Mit zitternden Fingern öffne ich den versiegelten Brief und hole den Zettel darin hervor. Sofort erkenne ich Taehyungs Handschrift und beginne den ersten der beiden Briefe zu lesen.

𝐕-𝐁𝐥𝐨𝐠│ᴛᴀᴇɢɢᴜᴋ ✓Where stories live. Discover now