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Alexander

Schon als ich das Krankenhaus betrete, höre ich jemanden laut schreien und bin irritiert. Es sind keine Schmerzensschreie, nein, es klingt eher nach jemandem, der sehr aufgebracht ist. Ich eile schnell in die Umkleide, um mich umzuziehen und gehe dann zu der Station, auf der ich arbeite. Gezielt mache ich mich auf die Suche nach Dr. Loss, werde aber von Dr. Morgenstern aufgehalten. "Lightwood, sind Sie auch endlich mal da." Unauffällig werfe ich einen Blick auf eine der Wanduhren und stelle fest, dass ich pünktlich bin. Gerade will ich ihn darauf aufmerksam machen, als er weiter spricht. "Wird Zeit die Bettpfannen zu leeren und danach bringen Sie Mr. Baker zum Röntgen. Nun schauen Sie mich nicht so dämlich an, sondern fangen Sie an." Ich balle meine Faust und würde sie ihm am Liebsten in sein Gesicht schlagen. "Und bevor ich es vergesse, als Erstes gehen Sie in Zimmer 210. Da hat jemand neben sein Bett gekotzt. Genau das Richtige für Sie." sagt er gehässig und lässt mich stehen. Fassungslos sehe ich ihm nach und hasse ihn noch mehr als sonst. Ich atme noch einmal tief ein und mache mich dann an meine Arbeit. Als ich nach einer Stunde all die unangenehmen Dinge erledigt habe, hebe ich Mr. Baker in einen Rollstuhl und fahre mit ihm los zur Röntgenabteilung. Dort wird er von einer Krankenschwester entgegen genommen und ich werde angewiesen mich zu setzten und zu warten. Dankbar für eine kurze Verschnaufpause, lasse ich mich auf einen der Stühle im Wartebereich fallen. Plötzlich höre ich wieder die aufgebrachte Stimme, die mich schon im Eingang begrüßt hatte. Neugierig stehe ich auf und gehe auf das Zimmer zu, wo ich die Stimme vermute. "Das darf alles nicht wahr sein. Tu doch etwas Cat." höre ich die männliche Stimme nun schreien. In diesem Moment geht die Tür auf und Dr. Loss kommt heraus gestürmt und knallt sie hinter sich zu. Ich kann gerade noch verhindern, dass wir zusammen stoßen und halte sie am Oberarm fest. Sie hat eindeutig geweint und das wundert mich sehr. Dr. Loss ist keine von der emotionalen Sorte, jedenfalls nicht, was ihre Arbeit betrifft. "Dr. Loss ist alles in Ordnung?" frage ich sie, aber sie schaut mich nur an und bricht in Tränen aus. Besorgt führe ich sie zu einem der Stühle und setze mich neben sie. Sanft ziehe ich sie in meine Arme und warte geduldig, bis sie sich beruhigt hat, dabei streichle ich ihr immer wieder über den Rücken. Nach einer Weile zieht sie ein Taschentuch aus ihrem Kittel und putzt sich geräuschvoll die Nase. "Entschuldigung Alec. Ich wollte mich vor dir nicht so gehen lassen" Mit hochgezogenen Augenbrauen sehe ich sie an. "Dr. Loss, dass ist doch nicht schlimm. Im Gegenteil, Gefühle zu zeigen ist nur menschlich. Darf ich Sie fragen, was passiert ist?" Dankbar lächelt sie mich an. "Danke, du bist wirklich sehr freundlich. Gestern Nachmittag wurde ein Freund von mir nach einem Verkehrsunfall hier eingeliefert und es geht ihm sehr schlecht. Er war mit meinem besten Freund zusammen im Auto unterwegs, als die Beiden von einem LKW gerammt wurden. Dieser Idiot hat einfach eine rote Ampel überfahren." Wieder füllen sich ihre Augen mit Tränen und ich tätschle beruhigend ihre Hand. "Er hat die Seite von Ragnor, so heißt mein Freund, mit voller Wucht gerammt und er war eingequetscht. Er hat großes Glück gehabt, aber seine Verletzungen an der Wirbelsäule sind so schlimm, dass er vielleicht nie wieder laufen kann." Entsetzt sehe ich sie an. "Dr. Loss, dass tut mir wahnsinnig leid. Und was ist mit ihrem anderen Freund, der auch im Auto saß?" Freudlos lacht sie auf. "Magnus? Der hatte mehr als einen Schutzengel und außer einer Platzwunde am Kopf und einer gebrochenen Hand, hat er nichts abbekommen. Er macht sich nur große Vorwürfe, an dem Unfall Schuld zu sein." Erstaunt sehe ich sie an. "Aber haben Sie nicht gesagt, der LKW Fahrer ist Schuld?" Sie vergräbt ihren Kopf in den Händen. "Ja, das ist auch so, aber Magnus will das nicht einsehen. Vielleicht hast du ihn gehört, er tobt herum und ich musste ihm etwas zur Beruhigung geben." Erschöpft sieht sie mich an und sie tut mir leid. Wir bleiben noch eine Weile schweigend sitzen, bis ich von einer Schwester gerufen werde, weil Mr. Baker zurück auf sein Zimmer muss. Ich streiche Dr. Loss noch einmal über den Rücken und sie sieht mich dankbar an. Kurz drückt sie meine Hand. "Danke Alec. Es wäre mir lieb, wenn mein Ausbruch unter uns bleiben würde." Ich nicke schnell. "Natürlich. Ich werde niemandem etwas sagen. Ich wünsche ihren Freunden alles Gute." Damit drehe ich mich um und schnappe mir den Rollstuhl von Mr. Baker.

3 Wochen später

Erschöpft sitze ich in der Umkleide und schließe einen Moment meine Augen. Die letzten Wochen waren hart. Dr. Morgenstern hat mich nur hin und her gescheucht und ich musste mir seine Beleidigungen anhören. Irgendwer hat ihm gesteckt, dass ich schwul bin und das war für ihn ein gefundenes Fressen. Oft war ich kurz davor, alles hinzuschmeißen und aufzugeben. Ich bin am Ende meiner Nerven und gerade im Moment würde ich sogar lieber wieder bei meinen Eltern wohnen, als mich ständig von dem Casanova ärgern zu lassen. Noch während ich darüber nachdenke, was meine Eltern wohl als Bedingung stellen werde, wenn ich wieder angekrochen komme, öffnet sich die Tür und Dr. Loss kommt herein. Sie lässt sich neben mich fallen und sieht mich an. "Alec, du tust mir so leid und ich wünschte ich könnte dir helfen. Ich habe es versucht, dass musst du mir glauben, aber Dr. Morgenstern hat mich nur ausgelacht." Ich sehe sie von der Seite an und will gerade etwas sagen als sie weiter spricht. "Ich habe sogar versucht mit unserer Personalabteilung zu sprechen, dass man dich mir zuteilt, aber keine Chance." Ich sehe ihr an, dass es ihr wirklich leid tut. "Danke für ihre Mühe Dr. Loss aber ich denke, ich werde kündigen und mir etwas anderes suchen." Sie dreht sich zu mir um und lächelt. "Das ist eine gute Idee finde ich." Etwas irritiert schaue ich sie an. Will sie mich los werden? "Nun schau mich nicht so an. Alec, du bist gut in dem was du tust, aber hier wirst du weiter nur Bettpfannen leeren und dich schikanieren lassen. Ich habe dich beobachtet, dein Verhalten den Patienten gegenüber ist großartig. Du bist liebevoll, aufmerksam und hast ein offenes Ohr. Das sind Qualitäten, die nicht jeder besitzt." Ich nicke. "Danke das bedeutet mir viel, aber....." Sie hebt die Hand um mich zu unterbrechen. "Erinnerst du dich an meinen Freund Ragnor? Es geht ihm besser, aber er kann nach wie vor nicht laufen. Allerdings möchte er nicht mehr hier bleiben und mein bester Freund Magnus, hat ihm angeboten bei sich zu wohnen. Und nun sucht er jemanden, der ihm hilft sich um Ragnor zu kümmern und dabei habe ich an dich gedacht." Überrumpelt sehe ich sie an. "Dr. Loss, ich weiß nicht, ob ich der Richtige für diesen Job bin und überhaupt, wie soll das Ganze denn von statten gehen? Ich habe nicht mal ein Auto, um zu ihren Freunden zu fahren und..." Wieder unterbricht sie mich. "Alec, dass ist alles geregelt. Magnus Haus ist riesig und er hat mehr als ein Gästezimmer. Du könntest dort wohnen, kostenfrei und du wirst obendrein noch hervorragend bezahlt. Alles weitere, wie die Arbeitszeiten musst du direkt mit Magnus klären." Kurz hält sie inne. "Aber du musst das nicht sofort entscheiden. Nimm dir Zeit und denk darüber nach.". Ich sehe sie an und meine Gedanken driften ab. Ich denke an die schlechte Bezahlung hier, an die Gemeinheiten von Dr. Morgenstern und an meine schäbige Behausung. "Nein" antworte ich schnell, bevor ich es mir anders überlegen kann. "Ich mache es. Ich nehme den Job" Überrascht klatscht Dr. Loss in die Hände und zaubert einen Zettel mit einer Adresse hervor. "Dort findest du Magnus Haus. Sei morgen um 15 Uhr dort." Ich sehe sie an. Anscheinend hat sie fest mit meiner Zusage gerechnet. Bevor ich noch etwas sagen kann, hat sie mir den Zettel in die Hand gedrückt und die Umkleide verlassen. Also stehe ich am nächsten Tag pünktlich um 15 Uhr mit schweißnassen Händen vor einer Villa, die mich schon von außen nervös schlucken lässt. Unsicher hebe ich die Hand um zu klingeln und im nächsten Moment wird die Tür auch schon aufgerissen. Ich schnappe nach Luft, als ich den Mann vor mir betrachte. Er ist der schönste Mann, den ich jemals gesehen habe und für einen Moment versinke ich in seinen Augen, die mich fragend anfunkeln.

Bittersweet SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt