Epilog

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Graf Egon von Greifenstein, Herrscher von Waagen und einer der mächtigsten Männer in den Shatterlands, wischte mit einer zitternden Hand Erbrochenes von seinem bereits vielfach besudelten Hausrock. Der beißende Geschmack von Magensäure und halb verdauter Brühe mischte sich mit den süßlichen Rückständen des Opiumharzes auf seiner Zunge zu einem wahrlich abscheulichen Aroma, welches sogar seine benebelten Sinne kaum ertragen konnten. Er spuckte aus, doch der Speichel klatschte nicht auf den Boden, sondern hing lediglich in einem langen Faden von seinem stoppeligen Bart.

„Hush?", keuchte der Monarch. „Hush? Bring mir ein Glas Wasser. Mit der Brühe war etwas nicht in Ordnung."

Ein verhaltenes Lachen ließ ihn herumfahren und er warf seinem in den Schatten sitzenden Sohn einen strengen Blick zu. Wie immer hatte der kleine Bengel dieses schelmische Lachen auf dem Gesicht. Es war dem seiner toten Mutter so ähnlich, dass es schon fast wehtat. Sein erster Instinkt war, die Respektlosigkeit zu ignorieren, doch er hatte seinem unehelichen Sohn in der Vergangenheit bereits zu viel durchgehen lassen.

Wie hieß es? Wer sein Kind liebt, der züchtigte es auch.

Er hob seine Hand, wie um eine Ohrfeige zu verteilen, ragte über seinem Sohn, obwohl er im Sessel saß und herrschte ihn an: „Ist irgendetwas witzig, junger Mann?"

Keine Antwort, jedoch kullerte eine Träne aus dem Auge seines Jungen: Sie war groß und weiß und fing sofort an, davon zu kriechen, als sie neben einigen anderen auf dem Tisch landete. Der Graf starrte die ungewöhnlichen Tropfen eine gefühlte Ewigkeit lang an. Sein Kopf tat weh. Ihm war, als schreie eine Stimme in seinem Schädel etwas von Maden und dass er endlich aufwachen sollte.

Der Graf schnaubte und Schnodder blies aus seiner Nase. Maden ... Lächerlich. Wo sollten denn schon Maden herkommen? Es sei denn... Hatte sein Sohn vielleicht auch von der Brühe gegessen? Hatte dieser verdammte Koch es gewagt ihnen eine Madenbrühe vorzusetzen?

Der Greif nickte, mit einem Mal besorgt um seinen Jungen. „Hush?"

Keine Antwort – was von seinem stummen Buttler auch nicht zu erwarten war – wichtiger jedoch war der Umstand, dass sich dessen hagere Gestalt nicht aus den Schatten schälte. Momente angefüllt mit Ewigkeit verstrichen und der Greif spuckte erneut aus im Versuch, seinen Mund von der Vielzahl aus widerlichen Geschmäcken zu reinigen. Das Meiste rann sein stoppeliges Kinn herunter.

„Verdammt noch mal, Hush, zeig dich endlich!"

Eine Woge aus Wut rauschte durch ihn, gab ihm Kraft und der Greif erhob sich mit einer nahezu titanischen Willensanstrengung – nur um seine Finger panisch in die Rückenlehne seines Sessels zu krallen, als die Welt sich mit einem Mal wütend zu drehen begann. Mehrere seiner überlangen Fingernägel brachen ab, doch der dumpfe Schmerz war nichts im Vergleich zur Übelkeit, die ihn befiel. Sein Mageninhalt rauschte seinen Rachen empor, unaufhaltsam wie ein gebrochener Damm, und er erbrach sich einmal mehr. Diesmal über die Innenseite der Rückenlehne seines Sessels – in den er sich einige Momente später entkräftet fallen ließ.

Schweiß floss in Strömen über sein Gesicht, Erbrochenes über sein Kinn, und Tränen aus seinen Augen, als er spürte wie sich die Rückstände des Erbrochenen durch die kostbare Seide seines Hausrocks saugte. Was für ein königlicher Herrscher er doch war. Er schluchzte herzzerreißend. Ein Teil von ihm, tief begraben unter all den Drogen und dem Berg aus Selbstmitleid, unter dem er sich verkrochen hatte wusste, was für eine jämmerliche Gestalt er abgab. Er, Egon von Greifenstein, der Herr des Harzes, Wächter der Knochensee. Ein gewiefter Stratege, großer Krieger und gerechter Machthaber ... reduziert zu einem jämmerlichen alten Mann der in seiner eigenen Kotze saß.

Wenn es doch nur alles enden würde ...

Er schluchzte und seine Gedanken wanderten zu der mit Samt ausgelegten Schatulle, die sich knapp fünf Meter entfernt an einem Ehrenplatz im Bücherregal befand. In ihr ruhte ein wunderschöner Colt Peacemaker, seit Generationen im Besitz seiner Familie. Mehr als alles andere wünschte er sich, die antike Waffe in den Händen zu halten. Er konnte den Walnussholzgriff beinahe in seiner Hand spüren, hatte mit einem Mal den Geschmack von Waffenöl und Kordit auf der Zunge. Es würde so einfach sein den Abzug zu ziehen, so einfach – das heißt, wenn er die Waffe in der Hand hätte. In seinem jetzigen Zustand hatte er jedoch nicht einmal genug Kraft um zum Regal zu kriechen, geschweige denn die Waffe zu laden und sich den Lauf des Colts in den Mund zu schieben. Er lachte verbittert. Und warum auch? Er hatte es bisher nicht geschafft, sich seinen verdammten Schädel wegzublasen und heute würde wohl keine Ausnahme sein.

ARCHETYPE 2.0Where stories live. Discover now