Kapitel 6 (Part 1)

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Philip erschien am nächsten Morgen nicht zum Frühstück, was bedeutet, dass er sein Frühstück entweder in seinem Zimmer oder im Arbeitszimmer zu sich nahm. Und daraus ergab sich wiederum die Annahme, dass er entweder wahnsinnig beschäftigt mit seinen Geschäften war, oder dass er seiner Schwester aus dem Weg ging. Willow hoffte wirklich, dass es nciht letzteres war.

Zurück in ihrem Zimmer nach dem Frühstück überlegte Willow, ob sie ihrem Bruder besser in Ruhe lassen sollte, oder nach ihm sehen sollte. Nur um zu sehen, ob es ihm gut ging. Es hätte schließlich auch sein können, dass er krank war. Wobei einer der Angestellten das ihr gegenüber wahrscheinlich erwähnt hätte.

Willow wollte nicht zu aufdringlich wirken. Auch, wenn sie wirklich ziemlich neugierig war, was ihr Bruder den ganzen Tag so in dem Arbeitszimmer trieb und wer der mysteriöse Gast gewesen war. Eines war aber klar. Wenn sie wirklich zu ihm gehen wollte, musste sie sicherstellen, dass er nicht das Gefühl hatte, sie würde ihm nachspionieren.

Es war bereits nach neun Uhr und das brachte Willow zu dem Schluss, dass ihr Bruder wohl nicht mehr in seinem Zimmer war. Um diese Zeit herum tauchte er normalerweise spätestens im Arbeitszimmer auf. Sie könnte einfach so tun, als wollte sie ein neues Buch holen. Sie hatte das Buch von gestern zwar noch nicht fertig gelesen, aber sicherlich würde Philip nicht bemerken, dass sie das nur als Vorwand nahm um nach ihm zu sehen. Er würde wahrscheinlich eh schon in seine Arbeit vertieft sein.

Die junge Herzogin konnte nur hoffen, dass er nicht wütend wurde, wenn sie ihn störte. Aber wenn sie anklopfte hatte er keinen Grund wütend zu werden, richtig? Er hatte ihr schließlich nicht verboten das Arbeitszimmer zu betreten und wenn sie anklopfte, hielt sie sich auch an seine Regeln. Also auch wenn sie ihn bei der Arbeit störte, würde es keinen Grund für ihn geben wütend zu werden. Und wenn sie bemerkte, dass er in schlechter Stimmung war, konnte sie ja direkt wieder gehen, bevor das ganze in einen Streit ausarten konnte.

Und vielleicht war er ja froh über eine kleine Unterbrechung und würde es tatsächlich genießen, sich ein wenig mit seiner Schwester zu unterhalten. Das war doch möglich, oder? Gut, die Wahrscheinlichkeit war sehr gering, aber rein theoretisch wäre es möglich.

Na gut, sie würde hingehen. Sie würde ihn auch gar nicht lange von der Arbeit abhalten. Nur anklopfen, eintreten, ein kurzes "Hallo", zu einem der Bücherregale gehen und ihn ganz nebenbei Fragen, wie es ihm ging. Und von da musste sie einfach sehen, wie sich die Dinge entwickelten und in welcher Stimmung sich ihr lieber Bruder heute befand. Wenn er auf wundersame Art und Weise in der Stimmung war, sich mit ihr zu unterhalten, könnten sie die Unterhaltung noch ein wenig fortführen. Willow könnte ihm davon erzählen, wie sie plante am Nachmittag nach oben auf den Dachboden zu gehen und durch ein paar der Sachen dort zu sehen und vielleicht wollte Philip ihr dann erzählen, was er so für den Tag geplant hatte. Aber wahrscheinlich würde er das nicht tun. Wahrscheinlich würde er versuchen die Unterhaltung so schnell wie möglich wieder zu beenden und sie aus dem Arbeitszimmer zu bekommen.

Willow versuchte es nicht zu nah an sich heranzulassen, dass ihr Bruder eine so hohe Mauer um sich selbst errichtet hatte und nicht einmal seine eigene Schwester an sich heran ließ. Sie versuchte sich einzureden, dass es ihr nichts ausmachte, wenn er ihr die kalte Schulter zeigte und sie außen vor ließ. Die junge Herzogin zwang sich dazu im Kopf zu behalten, dass das seine Art war mit dem Verlust seines Vaters umzugehen. Dass er die Trauer - oder irgendwelche anderen Gefühle - nicht überhand nehmen lassen würde. Stattdessen konzentrierte er all seine Gedanken auf die Arbeit, die erledigt werden musste.

Auf eine weitere Zurückweisung ihres Bruders vorbereitet, machte sich Willow auf den Weg zu dem Arbeitszimmer. Sie war sich immer noch nicht einig, ob das alles eine gute oder eine schlechte Idee war. Sollte sie ihn nicht doch besser einfach in Ruhe lassen? Aber er konnte seine Gefühle doch nicht für immer unterdrücken. Vielleicht konnte sie es ja irgendwie schaffen, dass er sich ein wenig öffnete und sich ein paar Gefühle von der Seele reden konnte.

Secrets of the Night (Deutsche Version)Where stories live. Discover now