Kapitel 7 (Part 2)

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Die Aufregung in Willow begann wieder zu steigen. Nun war sie auf der Suche nach einem Schatz. Ja, einem Schatz. Es waren vielleicht nur alte Kleidungsstücke ihres Vaters für alle anderen, aber für Willow würden sie ein Schatz sein. Weil diese Kleidung Freiheit bedeutete. Andere Mädchen in ihrem Alter sehnten sich vielleicht nach einem Prinzen in glänzender Rüstung, mit dem sie in den Sonnenuntergang reiten konnten, aber Willow könnte sich nicht weniger um solche Dinge scheren. Sie wollte das Pferd alleine reiten. Und nicht in den Sonnenuntergang sondern in ferne Länder.

Nachdem Willow so gut wie jede Box auf dem Dachboden durchsucht hatte, hatte sie ihren Schatz allerdings immer noch nicht gefunden. Und die Vorfreude und Aufregung begannen langsam zu schwingen. Aber sie wusste, dass die Kleidung hier irgendwo sein musste.

Willow bahnte sich ihren Weg zu einem alten Schubschrank ganz hinten in dem Zimmer und betete leise, dass sie dort endlich ihren Schatz finden würde. Sie öffnete die oberste Schublade und war angenehm überrascht als sie Stoff sah. Endlich, endlich, ENDLICH! Willow zog an dem Stoff. Und zog... und zog... Und musste schließlich feststellen, dass es sich um ein altes Kleid handelte. Keine Hose.

Ob das Kleid wohl ihrer Mutter gehört hatte? Die junge Herzogin stellte sich vor, wie das Kleid wo an ihrer Mutter ausgesehen hatte, wie sich der Stoff auf ihrer Haut angefühlt hatte. Vielleicht sollte sie es mit nach unten nehmen und selbst einmal anprobieren. Vorsichtig legte Willow das Kleid beiseite und durchsuchte auch die anderen Schubladen. Aber sie waren alle nur voller Kleider. Nicht eine einzige Hose oder ein Hemd in Sicht.

Das war unmöglich. Die Kleidung ihres Vater musste hier oben sein. Willow war sich zu hundert Prozent sicher. Sie hatte schon die alten Kleider ihrer Mutter gefunden. Natürlich würde auch die Kleidung ihres Vater hier oben sein.

Willow drehte sich um und ließ ihren Blick durch den Dachboden wandern, auf der Suche nach etwas, dass erst kürzlich herauf gebracht worden sein könnte. Etwas, das vor nicht allzu langer Zeit geöffnet worden war. Etwas, das groß genug war um Kleidung darin aufzubewahren. Etwas, wie ein Kasten oder eine Truhe oder ein Koffer. Und schließlich landete Willow's Blick auf einer großen hölzernen Truhe direkt neben der Stiege.

So schnell wie möglich bahnte sich die junge Herzogin ihren Weg durch den Dachboden, das Kleid ihrer Mutter sicher in ihrer Hand. Sie würde dieses auf jeden Fall mit nach unten nehmen und anprobieren. Aber für den Moment legte Willow das Kleid auf den Ohrensessel, neben das Buch, das sie ausgewählt hatte und kniete keine 2 Sekunden später vor der Holztruhe.

Der Deckel war schwerer als erwartet und Willow musste sich ganz schön anstrengen, um ihn überhaupt öffnen zu können. Aber was ihre Augen dann zu sehen bekamen, war jede Mühe wert. Die Kleidung ihres Vaters. Wenn Willow gekonnt hätte, hätte sie einfach direkt die ganze Truhe mit nach unten genommen, aber sie wusste, dass sie sich auf ein paar wenige Teile beschränken werden müsste. Sie hatte schließlich nur zwei Arme und je mehr sie von dem Dachboden mit nach unten nahm, desto schwerer würde es werden, die Dinge vor ihrem Bruder zu verstecken.

Willow beeilte sich alles zu finden, was sie brauchte. Sie versuchte Dinge auszuwählen, die zumindest mehr oder weniger zusammenpassten. Dazu musste sie noch darauf achten, die kleinsten Kleidungsstücke herauszupicken. Ihr Vater war viel größer gewesen als sie und zumindest in den letzten Jahren auch nicht gerade der schlankste. Willow musste also ziemlich tief wühlen, um Stücke zu finden, die ihr Vater wohl getragen haben musste, als er in Philip's Alter war.

Draußen hatte es bereits begonnen dunkel zu werden und damit wurde es auch in dem Dachboden dunkel. Dunkel und kalt.

Schnell packte Willow alle Sachen zusammen und machte sich auf den Weg nach unten. Das war in der Tat leichter gesagt als getan. Ihre Hände voller Kleidung und dem Buch, der Reifrock, der sie davon abhielt die Stufen unter ihr zu sehen und die Dunkelheit machten den Abstieg alles andere als einfach.

Endlich hatte sie es geschafft und war heil unten angekommen. So leise wie irgendwie möglich öffnete Willow die Türe und spähte nach draußen in den Gang. Nach einem kurzen Blick in beide Richtungen war sich Willow sicher, dass keiner da war. Schnell öffnete sie die Tür, schlüpfte hindurch und schloss die Türe wieder hinter sich. Nach ein paar weiteren eiligen Schritten war sie dann sicher in ihrem Zimmer angekommen.

Die Kleidung war ganz hinten in Willow's Kommode verstaut und sie hatte sichergestellt, dass das Kleid ihrer Mutter ganz oben auf lag. Sollte Elise die neuen Kleider also sehen, konnte Willow immer behaupten, dass sie nur das Kleid ihrer Mutter von dem Dachboden geholt hatte, da sie es anprobieren wollte. Und das war ja schließlich auch nicht gelogen.

Zufrieden mit der geglückten Schatzsuche, ließ sich Willow auf ihr Bett fallen, um das Buch genauer zu inspizieren. Bevor sie aber überhaupt einen genaueren Blick darauf hatte werfen können, flog plötzlich die Tür zu ihrem Zimmer auf. Das laute Geräusch ließ Willow zusammenzucken. In ihrer Zimmertür stand Philip und sah so aus, als wollte er ihr den Kopf abreißen. Was hatte sie denn nun schon wieder angestellt?

"Wo verdammt noch eins warst du?", verlangte Philip eine Antwort. Es war schon das zweite Mal an diesem Tag, dass er seine kleine Schwester anschrie. "Das Abendessen war vor über einer Stunde fertig und niemand wusste wo du bist!" Er war mehr als nur wütend über ihr Verschwinden, so viel war klar.

"Ich war oben auf dem Dachboden.", erwiderte Willow in ruhigem, gelassenen Tonfall. In ihr drinnen, war sie allerdings bei weitem nicht so ruhig, wie sie sich nach außen hin gab. Wie hatte sie nur so die Zeit aus den Augen verlieren können? Ihr Bruder hätte gar nicht bemerken sollen, dass sie weg war. Gott, wie konnte sie nur so dumm sein?! Okay... okay, alles war in Ordnung. Sie konnte das wieder hinbiegen.

"Was wolltest du denn bitte auf dem Dachboden?", führte Philip sein Verhör fort, nun nicht mehr schreiend, aber immer noch lauter als es notwendig gewesen wäre.

"Ich habe nach einem neuen Buch zum Lesen gesucht.", antwortete die junge Herzogin, während sie das Buch in ihrer Hand hob, um zu beweisen, dass sie die Wahrheit sagte.

Philip's Blick wanderte ein paar Mal zwischen dem Buch und dem Gesicht seiner Schwester hin und her. Sicherlich hatte er erwartet, dass sie fortgelaufen war oder sonst etwas verbotenes getan hatte. Er schien etwas sprachlos über ihre logische Erklärung. Währenddessen war Willow sehr bemüht, das siegessichere Lächeln auf ihrem Gesicht zu verbergen.

"Na gut. Aber sei das nächste Mal gefälligst rechtzeitig zum Abendessen wieder da. Ich habe bei Gott keine Zeit für soetwas.", grummelte Philip, drehte sich um und verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort.

Kaum hatte er ihr den Rücken gekehrt, zogen sich Willow's Lippen zu einem Lächeln nach oben. Das war ganz schön knapp gewesen, aber Willow war stolz, dass sie die Situation so ruhig und gelassen gemeistert hatte. Man stelle sich nur vor, ihr Bruder wäre ein paar Minuten früher zur Tür herein geplatzt. Er hätte die Kleider gesehen und ihre ganz Freiheit wäre wieder dahin gewesen. Die Freiheit, für die sie so hart gearbeitet hatte wäre von einer Sekunde auf die andere wieder verloren gewesen.

Die junge Herzogin ließ sich nach hinte auf ihr Bett fallen, sodass sie nun quer darüber lag, während ihre Beine von der Kante baumelten. Jetzt, da sie die Kleidung ihres Vaters hatte, fühlte sie sich frei. Wann immer sie wollte, konnte sie das Cornwall Anwesen nun ungesehen verlassen. Nun gut, nicht wirklich wann immer sie wollte. Tatsächlich konnte sie wohl nur nachts gehen, um sicherzustellen, dass sie niemand sehen würde. Aber alleine die Möglichkeit, dass sie gehen konnte, machte Willow glücklicher, als sie es in einer langen Zeit gewesen war.

Und schon jetzt stand das Ziel ihres ersten nächtlichen Ausflugs fest. Die Lichtung mit dem Teich in den Wäldern hinter den Anwesen. Willow hoffte, dass sie die Lichtung wiederfinden würde. Sicherlich würde das nicht ganz einfach werden. Vor allem weil es nachts stockdunkel war. Aber die Lichtung konnte nicht allzu weit von dem Grundstück entfernt sein. Also würde sie sich schon irgendwann finden.

Es war noch immer schwer zu glauben, dass Willow nun wirklich die Freiheit hatte, das Cornwall Anwesen zu verlassen. War es nicht verrückt, wie ein paar Kleidungsstücke so viel Freiheit und Freude bringen konnten?



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Secrets of the Night (Deutsche Version)Where stories live. Discover now