Kapitel 10 (Part 1)

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Stöhnen zog sich Willow die Bettdecke über ihr Gesicht um das Sonnenlicht, das durch das Fenster strömte, davon abzuhalten sie zu blenden. Elise hatte wieder einmal ohne erbarmen um exakt 7:30 Uhr die Vorhänge aufgezogen und sang ein fröhliches "Guten Morgen."

Der Morgen nach einem nächtlichen Ausflug war immer etwas schwerfällig, aber dieser war schlimmer als jeder andere bevor. Willow hatte das Gefühl wenige Minuten vor dem Erscheinen Ihrer Zofe erst eingeschlafen zu sein. Aber es war tatsächlich nicht allzu verwunderlich, da ihre Gedanken auch als sie bereits im Bett lag einfach nicht stillstehen wollten. Der Fremde der auf dem Pferd ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf.

"Hop, hop! Aus dem Bett mich Euch.", war Elise's Stimme durch die Bettdecke zu hören, unter der Willow immer noch versuchte sich zu verstecken. "Wir wollen Euren Bruder doch nicht am Frühstückstisch warten lassen."

Mit einem lauten Seufzen fügte sich die junge Herzogin schließlich und warf die Bettdecke zurück. Philip würde nur misstrauisch werden, wenn sie nicht pünktlich zum Frühstück erscheinen würde und das konnte sie wirklich nicht gebrauchen. Abgesehen davon würde er ihr wohl wieder eine Standpredigt halten, wie es sich nicht gehörte zu spät zu kommen und so weiter. Ugh, er war so nervig!

Elise half Willow dabei eines ihrer Tageskleider anzuziehen, während die junge Herzogin selbst mehr damit beschäftigt war damit wach zu werden und rieb sich in diesem Prozess mehrmals die Augen.

"Da ist wohl jemand wieder lange aufgeblieben um zu lesen, hm?", fragte Elise mit einem wissenden Lächeln. Willow und ihre Zofe waren sich immer recht nahe gestanden und Elise kannte die junge Herzogin seit ihrer Geburt. Es war wohl pures Glück, dass Elise über Willow's nächtliche Ausflüge bisher noch nichts wusste.

Ein Gähnen entfuhr dem Mund der junge Herzogin, was Elise Antwort genug war und sie etwas kichern ließ, während Willow einen Schmollmund zog. Aber sie könnte Elise niemals böse sein.

Als Willow endlich mehr oder weniger präsentabel aussah, war es auch schon Zeit nach unten zu gehen um mit ihrem Bruder zu frühstücken. Willow hatte heimlich gehofft, dass er sein Frühstück heute im Arbeitszimmer einnehmen würde, aber diese Hoffnung war schnell zerschlagen, wenn sie das Esszimmer betrat und Philip bereits am Tisch saß und Zeitung las. Eine Angewohnheit, die er über die letzten Jahre entwickelt hatte. Willow selbst machte sich herzlich wenig aus Zeitungen. Für sie war all das nicht mehr als Klatsch und Tratsch.

"Guten Morgen.", murmelte die junge Herzogin vor sich hin und ließ sich, etwas weniger graziös als sonst, auf ihren Stuhl fallen. Aber in diesem Moment war ihr das absolut gleichgültig.

Das Rascheln der Zeitung wurde lauter und dann konnte man vernehmen, wie die Zeitung zusammengefaltet und auf den Tisch gelegt wurde. "Guten Morgen.", erwiderte Philip während er seine Schwester musterte. "Du scheinst müde zu sein.", stellte er fest.

Ach wirklich?, dachte Willow und unterdrückte ein Augenrollen. Aber anstatt diese Worte tatsächlich auszusprechen, versuchte sie sich ein wenig aufrechter hinzusetzen und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Ich habe gestern Nacht beim Lesen etwas die Zeit aus den Augen verloren.", log die junge Herzogin ruhig und fokussierte sich dann auf das Frühstück, dass gerade vor ihr abgestellt worden war. Sie war wirklich nicht in Stimmung für eine Befragung von ihrem Bruder.

"Ach wirklich? Es sieht nämlich so aus als ob du die ganze Nacht kein Auge zu getan hättest.", fuhr Philip fort. Er schien ihr die Lüge nicht zu so ganz abgenommen zu haben. Gott, warum konnte er diese Fragerei nicht einfach sein lassen?!

"Ich habe einfach nicht gut geschlafen.", antwortete Willow, ganz offensichtlich genervt von der Befragung ihres Bruders. Dieser wiederum zog verwundert eine Augenbraue hoch. Solches Verhalten war er von seiner Schwester sonst nicht gewohnt.

"Irgendetwas das dich beschäftigt, Schwester?", führte der Herzog seine Befragung fort. Etwas war anders heute. Philip konnte noch nicht sagen was, aber seine Schwester war noch nie so müde zum Frühstück erschienen. Sicherlich steckte da mehr dahinter.

"Nein", gab Willow in gereiztem Ton zurück. "Und selbst wenn würde es dich verdammt nochmal nichts angehen.", fügte sie noch grummelnd hinzu, zu leise, als dass ihr Bruder es hätte verstehen können.

"Wie war das?", forderte Philip seine Schwester auf diese letzten Worte zu wiederholen. Er war sich mehr als sicher, dass es Unangebrachtes gewesen war.

"Nichts.", seufzte Willow und rollte mit den Augen. Ihr Bruder war einfach unmöglich. "Überhaupt nichts." Warum war er heute nur so neugierig? War es ihr denn nicht auch einmal erlaubt ein wenig müde zu sein? Natürlich musste er gerade heute extra lästig sein. "Ich wäre dir sehr verbunden, wenn wir diese Befragung nun sein lassen könnten. Ich würde gerne in Ruhe mein Frühstück beenden."

Philip warf einen tadelnden Blick in Richtung seiner Schwester, beschloss aber, ihr jetzt keine Standpredigt zu halten. Es würde bei dem einen Ohr hinein und bei dem anderen wieder hinaus sein. Aber das hieß noch lange nicht, dass er ein solchen Verhalten einfach so dulden würde. Er würde später mit ihr darüber sprechen, wenn sie hoffentlich wach und wieder bei Sinnen war.

Willow hatte das Gefühl, dass ihr Bruder nun endlich verstanden hatte, dass er ihr mit seiner Fragerei auf die Nerven ging und die beiden Geschwister beendeten das Frühstück in Stille.

Als Willow aufstand um das Zimmer zu verlassen, ließ sie die Stimme ihres Bruders allerdings neuerlich Inne halten: "Ich sehe dich dann beim Mittagessen."

Das war alles was er sagte. In Willow's Ohren klang es beinahe wie eine Drohung. Sie nickte kurz und verließ dann das Esszimmer. Sie war sich sehr wohl darüber bewusste, was ihr Bruder mit diesem letzten Satz gemeint hatte. Er würde ihr beim Mittagessen eine Standpauke bezüglich ihres Verhaltens heute Morgen halten. Und wahrscheinlich hatte sie diese tatsächlich auch verdient. Aber sie war einfach SO müde.

Am liebsten wäre die junge Herzogin direkt zurück ins Bett gegangen. Aber sie wusste, dass das nicht wirklich eine Option war. Sie würde dann wohl nur noch müder wieder aufwachen und würde in der kommenden Nacht kein Auge zutun.

Andererseits... Wer sagte denn, dass sie in der Nacht schlafen musste? Sie könnte wieder einen kleinen Ausflug von dem Cornwall Anwesen machen. Vielleicht würde sie den Unbekannten ja wieder treffen. Wer wusste das schon?

Auf einmal hatten die nächtlichen Ausflüge einen ganz neuen Nervenkitzel. Jetzt, da sie sich mit jemandem außerhalb des Grundstücks unterhalten hatte. Jetzt, da sie wusste, dass ihre Kleidung überzeugend genug war, um jemanden glauben zu lassen, sie wäre Stallbursche. Nur der Gedanke daran sich diese Nacht wieder fortzuschleichen, hob Willow's Stimmung genug, als dass sie nicht mehr ganz so müde war.

Was, wenn sie den Fremden wirklich nochmals traf? Würde sie ihn überhaupt wiedererkennen? Und würde er sie wiedererkennen? Worüber würden sie wohl sprechen?

Willow wusste natürlich, dass das mehr als nur sehr unwahrscheinlich war. Es war zu dunkel gewesen, um mehr als nur Schemen und Umrisse ausmachen zu können. Also auch wenn sie sich tatsächlich nochmals treffen sollten, wäre es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie sich wiedererkennen würden. Und wäre es nicht auch irgendwie komisch, wenn sie sich wieder treffen würden? Wie wahrscheinlich war es schon, dass so etwas passierte. Man müsste ja fast glauben, dass es sich um Schicksal handelte.

Die junge Herzogin war ohne konkretes Ziel durch das Haus gewanderte. Sie hatte nicht einmal wirklich darauf geachtet, wohin sie ging. Aber nun hatte sie sich entschieden. Sie würde zu den Stallungen gehen. Ein bisschen frische Luft würde ihr sicherlich gut tun.

Das Wetter war atemberaubend an diesem Tag. Nicht eine einzige Wolke war am Himmel zu sehen und es war ziemlich heiß für Mitte Juni. Willow fragte sich, ob es wohl eine dieser lauen Sommernächte werden würde, die sie so liebte. Sie würde sich wieder davonschleichen müssen um das herauszufinden. Auch wenn sie niemanden traf, einfach nur in einer solchen Sommernacht draußen zu sein, war den Aufwand schon mehr als wert.




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Secrets of the Night (Deutsche Version)Where stories live. Discover now