Kapitel 3

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Den Sachverwalter Simeon Romano hatte sie bereits kennengelernt, als sie zu Beginn ­ihres Aufenthaltes wegen ein paar Formalitäten bei ihm im Büro gewesen war.

Alle kannten ihn. Er galt als die gute Seele der Ausgrabungsstätte, hatte für jeden ein offenes Ohr und konnte jede Frage zu Pompeji, sei es zu einem Ausstellungsstück, zu einem bestimmten Gebäude oder auch zu zeitgeschichtlichen Daten beantworten. Er war schon so lange Sachverwalter in Pompeji, dass manche witzelten, er hätte seinen Posten sicher schon seit über hundert Jahren inne und würde bald mit der Ausgrabungsstätte verschmelzen.

Sein Büro lag hinter dicken Mauern in einem niedrigen Bau. An der nur angelehnten Tür war ein Schild mit einem wedelnden Hund und einer Sprechblase angebracht: „Bitte eintreten, ich beiße nicht".

Zögernd schob sie die Tür auf. Kühle Luft schlug ihr entgegen. Unwillkürlich nahm sie einen tiefen Atemzug. Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an das Dämmerlicht im Raum zu gewöhnen.
Durch ein seitlich liegendes Fenster fiel im schrägen Winkel Abendlicht und ließ die Staubkörnchen vor dem Bücherregal und hinten an der grob verputzten Steinwand tanzen. Unzählige Aktenordner standen dort aufgereiht, von einer dicken Schicht Staub bedeckt. Daneben in einer Ecke fristeten ein paar Gerätschaften ihr Dasein, sie konnte im Halbdunkel Schaufeln, Hacken und die Umrisse einer Klappleiter erkennen.
Im vorderen Teil des Raumes, wo es nur geringfügig heller war, saß Simeon. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihn entdeckt hatte. Er saß hinter einem Sammelsurium an Tonscherben und Papierstapeln an einem überdimensionalen Schreibtisch, den Kopf dicht über etwas gebeugt. Interessiert machte sie ein paar Schritte in den Raum hinein. Der Sachverwalter war so vertieft in seine Arbeit, dass er sie nicht kommen hörte. Mit der Lupe untersuchte er etwas Schwarzes und blickte erst auf, als sie ein verlegenes Räuspern hören ließ.

Ein waches Augenpaar schaute ihr durch eine Hornbrille mit runden Gläsern entgegen. Sein altes, von vielen Falten durchzogenes Gesicht, blickte freundlich. „Oh, guten Tag, ich habe dich gar nicht bemerkt." Seine Stimme war tief und brummig. Umständlich schob er die Brille auf seiner Nase zurecht und blickte sie mit einem warmem Lächeln an. „Weißt du, wie man herausfinden kann, wie alt dieses Fundstück ist?", fragte er und hob zwischen Zeigefinger und Daumen ein angekokelt aussehendes Stück Holz in die Höhe. An seinem Zeigefinger blitzte kurz ein kantiger Siegelring mit einer Flamme auf.

Sie wies auf die ausgeschaltete Schreibtischlampe. „Indem man erst mal das Licht anmacht?"

Simeon ließ ein leises Glucksen hören. Die Falten um seine Augen schienen sich zu vervielfachen. Er legte das Holzstück vor sich auf dem Tisch ab.

„Recht hast du", brummte er. „Man könnte in der Tat das Licht anmachen. Wie die Zeit vergeht! Ich vergesse immer, dass wir heutzutage elektrisches Licht haben." Immer noch sichtlich amüsiert knipste er die Schreibtischlampe an.

„Noch irgendwelche Einwände?", fragte er.

„Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein. Die beste Methode wird wohl die Radiokarbonmethode sein, nicht wahr? Da es sich um ein organisches Produkt aus Kohlenstoff handelt, ist diese Methode die geeignetste, denke ich."

„Ich sehe schon, du kennst dich aus", nickte Simeon. „Sehr gut, genauso ist es. Ich für meinen Teil verlasse mich allerdings neben der doch sehr wissenschaftslastigen Gemengelage immer auch auf meinen Riecher." Er tippte sich an die Nase. "Das intuitive Gespür ist wichtig, weißt du. Aber nun gut ... Wie kann ich dir helfen, mein Kind?"

Kira schluckte. „Ich möchte ein Fundstück deklarieren. Aus dem nördlichen Bereich B7", brachte sie ihr Anliegen zögernd vor.
„Im neuen Bereich? Da wo die Studenten arbeiten?"

„Ja, genau. Ich bin eine von den deutschen Studienteilnehmern."

„Hut ab, du sprichst gut Italienisch!", sagte Simeon anerkennend.

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now