Kapitel 19

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Die Kaiserthermen waren die Überreste einer römischen, großflächig geplanten Thermenanlage. Sie erstreckten sich über eine Fläche vom Ausmaß zweier Fußballfelder und wurde von einer langen Mauer umfriedet. Jetzt lagen sie verlassen da. Die Öffnungszeit war längst vorbei, alle Besucher hatten das Gelände räumen müssen. Niemand war zu sehen. Weder Lian noch etwaige Scuros.

Die doppelgeschossigen, fast zwanzig Meter hohen Mauern mit ihren hohen, mächtigen Rundbogenfenstern ragten weithin sichtbar in den Himmel und wurden jetzt am frühen Abend direkt von der Sonne beschienen.

Kira ließ ihren Blick nervös über das alte Bauwerk gleiten, dessen Struktur aus hellen Kalksteinquadern und roten, horizontalen, schmalen Ziegelbändern sich in zahlreichen Fotos, Infobroschüren und Werbeprospekten verewigt fand. Die weitläufigen Rasenflächen davor waren von Mauern, Gräben und vereinzelten Ausgrabungszelten durchzogen.

„Weißt du, was Lian bei den Kaiserthermen will?", fragte Joella. Ihre langen Haare lagen, zerzaust durch die Fahrt, in wilden Wellen um ihr Gesicht und sie strich sie mechanisch nach hinten.

„Nein, weiß ich nicht."

Vom schnellen Fahren außer Atem, schoben sie ihre Räder über den Gehweg zu der hohen Mauer am Rand der Thermen hinüber, warfen sie dort ins Gras und gingen an der Mauer entlang bis sie das Restaurant Fischers Maathes sahen. An einem Holunderstrauch, dessen ausladende Äste Schutz bot, hielten sie und stellten Phoes Korb unter den tiefhängenden Zweigen ab und versteckten sich daneben. Die Zweige des großen Holunders verdeckten sie halb.

„Das ist gut, so werden wir von der Straße aus nicht auf den ersten Blick gesehen", flüsterte Joella. Kira lüftete an einem Eck das Tuch des Korbes und stellte beruhigt fest, dass der Phönix tatsächlich schlief.

Joella suchte die Straße ab. „Bist du sicher, dass Lian dich nicht zum Narren hält? Hat er sich da irgendetwas eingebildet? Sollen wir nicht einfach gehen?"

„Ich weiß es doch auch nicht, was wir tun sollen!", entfuhr es Kira. Ihr Herz flatterte so nervös wie die Sommerröcke der Touristinnen in Pompeji, wenn der Schirokko wehte. Lian hatte sich so verdammt ernst angehört! Sie merkte, dass ihr das alles eine Riesenangst einjagte.

„Ist schon gut, wir warten. Andere Optionen gibt es ja auch nicht wirklich, außer wir ziehen es in Betracht, unter einer Brücke zu schlafen. Denn unsere Adresse kenne die Scuros jetzt."

Kira war verzweifelt. Sie haderte mit sich selbst. Warum hatte sie Lian nicht schon viel früher alles erzählt? Warum ließ sie sich gängeln von Regeln, die irgendjemand aufgestellt hatte und die ihr eigentlich nicht ganz ersichtlich waren?

Es vergingen nur ein paar Minuten, doch es kam ihnen vor wie eine Ewigkeit. Dann hielt ein schwarzer Opel Tigra am Straßenrand.

„Der hält da unerlaubt!", sagte Joella.

„Das ist Lian!", sagte Kira, als der Fahrer ausstieg. Ihr Herz begann aufgeregt zu klopfen.

Als Lian sich suchend umschaute, trat sie aus dem Schatten des Holunders auf die Straße und hob die Hand.

Hastig kam er zu ihnen hinüber.

„Seit wann hast du ein Auto?" Vielleicht war es nicht die wichtigste Frage in diesem Moment, aber es war die erste, die ihr in den Sinn gekommen war.

Er wirkte angespannt. Forschend sah er sie an, als könne er in ihrem Gesicht Antworten finden. Knapp entgegnete er: „Seit ein paar Monaten." Seine Augen bohrten sich in ihre. „Wurdet ihr von Krähen angegriffen? Von mehreren?" Kein Lächeln, keine Umarmung. Sie hätte sich eine herzlichere Begrüßung gewünscht.

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now