Kapitel 27

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Betroffen schaute er sie an. „Ich war schon immer ...", begann er, schlug dann aber den Blick nieder und brach ab. Von seiner früheren selbstzufriedenen, frechen Art war nichts mehr zu spüren. „Ich bin ein Idiot", murmelte er fast unhörbar.

So verletzlich wie er plötzlich wirkte, hätte sie in einem plötzlichen Reflex am liebsten seine Hand genommen, zog sie jedoch im letzten Moment zurück. „Das bist du wirklich ...", brummte sie und versuchte, das kleine Gefühl, das in ihr leise flatternd mit den Flügeln zu schlagen begann, zu verdrängen. Spinnst du?, mahnte sie sich selbst, die Brandblasen und den benebelten Kopf hast du nicht von ungefähr! Er hat mitgeholfen, dich an den Käfig zu hängen!

Ich wusste nicht, dass ein federleichter Vogel Tonnen wiegen kann!", brummte sie und bewegte ihre Arme, die sich, von dem Gewicht des großen Feuervogels befreit, anfühlten, als würden sie gleich davonschweben. Gleichzeitig schmerzte jeder einzelne Muskel darin. Sie stöhnte.

„Gib mir Phoe!", sagte sie dann.

Lian rührte sich nicht. Ein von der Zeit losgelöster Moment entstand. Sie wusste, wenn er ihr Phoe jetzt nicht gab, würde sie ihm nie wieder auch nur das kleinste bisschen Vertrauen schenken können. Kalter Schweiß brach ihr aus und lief ihren Rücken hinunter. Sie sah ihn an und wurde sich des Moments plötzlich überdeutlich bewusst. Sie spürte den Rand der Kapuze an ihrer Stirn, das unangenehm feuchte Rinnsal von Schweiß am Rücken, roch den Geruch der sich verflüchtigenden, umherwabernden Rauchschwaden und war plötzlich von fieberhafter Unruhe ergriffen. Ein paar Sekunden verstrichen, die ihr sehr lange vorkamen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf.

Lian kniff die Augen zusammen. „Vertraust du mir nicht?", fragte er.

Sie sah ihn an. Sah in seine grünen Augen, die sie so gut zu kennen geglaubt hatte.

„Nein", sagte sie dann bestimmt und zog die Kapuze des schwarzen Hoodies ein Stück weiter in die Stirn. „Jetzt gib ihn mir schon!" Auffordernd streckte sie die Arme aus.

Er seufzte und legte ihr Phoe zurück in die Arme. „Ich bin wohl selbst schuld", brummte er missmutig.

Erleichterung rann an ihr herunter wie kühles Wasser.

„Was ist mit dir? Kommst du nicht mit?", fragte sie und blickte ihn nervös an.

„Dein Bodyguard und Simeon sind wahrscheinlich nicht besonders gut auf mich zu sprechen. Für sie bin und bleibe ich ein Scuro. Mach dir keine Sorgen, ich schlag mich schon durch. Nun geh schon! Du schaffst das."

Sie presste kurz die Lippen zusammen, überlegte. Irgendwie gefiel es ihr nicht, dass er hier einfach so verschwinden wollte. Wenn jemand gesehen hatte, wie er ihr geholfen hatte, schwebte er vielleicht in Lebensgefahr. Hatte er das verdient? Die Antwort war ja. Die Frage war, ob sie das wirklich wollte.

Langsam zog sie mit einer Hand das Messer aus ihrem Gürtel, während sie mit der anderen Phoe festhielt.

„Du wirst es besser gebrauchen können als ich", sagte sie und reichte es ihm.

Wortlos nahm er es an sich.

Dann lief sie los, Phoe an sich gepresst.

Lians vertrauten Geruch in der Nase, schaute sie sich mit klopfendem Herzen nach der nächsten Treppe um. Sein Hoodie umgab sie wie warm und weich, und obgleich sie wusste, dass dies eine äußerst trügerische Sicherheit war, mummelte sie sich schutzsuchend in ihn hinein.

Ihr Puls hämmerte wie ein überschnelles Uhrwerk, während sie ein paar Stufen hocheilte und einen schmalen Steg entlangging. Sie schlang die Arme fest um Phoe und versuchte, das schwache Leuchten seiner Federn mit den überlangen Ärmeln zu verdecken

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now