Kapitel 39

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Ein Häufchen Asche lag dort am Boden, wo Phoe niedergesunken war.

Kira stand davor. Sie fühlte sich, als hätte man gerade einen Teil ihres Körpers amputiert. Simeon trat leise neben sie.

„Er ist gestorben, weil er für mich gekämpft hat", sagte sie still.

„Er hat seine Lichthüterin verteidigt. Eine Lichthüterin, die auch ihr Leben für ihn gewagt hat", brummte der Sachverwalter.

Joella kam von der Seite angelaufen. Betroffen sah sie auf die Asche. Dann fragte sie leise: „Wann ist eigentlich diese existenziell so bedeutsame Sommersonnwende?"

Kira schaute ihre Freundin entgeistert an. Sie fand die Frage etwas deplatziert. Wahrscheinlich litt Joella immer noch unter dem Einfluss des Serums.

„Heute, in ebendieser Nacht", brummte Simeon. Er zog eine altmodische Taschenuhr hervor, hob sie dicht vor seine Nase und warf einen kurzsichtigen Blick darauf. „Oder, um präziser zu sein: sie ist in genau einer Minute vorbei. Da ist nämlich Mitternacht."

„Und was hatte es nochmal damit auf sich?", fragte Joella.

„Die Sommersonnenwende ist der Zeitpunkt, der die Wiedergeburt des Sonnenlichts und den Beginn eines neuen Zyklus symbolisiert." Simeon fuhr sich versonnen über den grauen Bart.

„Beginn eines neuen Zyklus? Scheiße, das sieht mir nicht wirklich danach aus ..." Joella wies betrübt auf die graue Asche und seufzte. Dann sah sie auf. „Aber immerhin haben wir es gerade noch geschafft."

„Was heißt hier 'gerade noch geschafft'? Phoe ist tot!", sagte Kira unter zusammengebissenen Zähnen.

Joella fasste sanft nach dem Arm ihrer Freundin. „Ich meine damit, dass es keinen Dunkelvogel geben wird, der die Welt vernichtet." Sie stockte. Dann fügte sie leise hinzu: „Ich bin auch traurig, dass er tot ist. Diese Asche ... es tut mir leid. Schließlich bin ich in gewisser Weise daran schuld ..." Schniefend beugte sie sich über das Häufchen Asche.

Auf einmal sah sie auf. „Wusstet ihr, dass Phönixasche gelb ist?", fragte sie.

„Häh?", machte Kira. „Wieso gelb?"

„Schau doch, da ist ein gelber Fleck. Sieht sogar aus, als würde er stärker werden."

Hoffnung durchzuckte Kira plötzlich wie ein aufglühender, heller Funke. „Freude, schöner Götterfunken ...", stieß sie hervor, weil die Worte, die ihr so spontan eingefallen waren, das Gefühl der Hoffnung in ihr am besten ausdrückten. Wie im Fieber kniete sie sich neben ihre Freundin nieder, die Augen auf Phoes armselige Überreste geheftet. War es möglich? Konnte es wirklich sein, dass ...? Tatsächlich schien es, als beginne sich in der grauen Asche etwas zu regen, sie sah es und die Freude darüber wurde sicherer und größer. Ein goldgelbes Etwas schien sich in der Asche zu formieren. Das Glühen wurde stärker und stärker, leuchtete mit mattgoldener Intensität, schien sich dann zu komprimieren und wurde zu einem brennenden, wirbelnden kleinen Ball. Beinahe sah es so aus wie ein Ei.

Mit leuchtenden Augen sah sie zu Simeon hoch.

Ein Lächeln breitete sich in dem alten Gesicht aus. „Das habe ich jetzt auch noch nie erlebt. Meine Lieben, ganz offensichtlich werden wir hier Zeuge einer Phönix-Geburt ..." Leise begann er zu zitieren: „Der Phönix, rotgolden, in flammender Pracht, erhebt sich aus Asche und dunkelster Nacht. Der Phönix hat den Tod überwunden."

Joella kniff ihr vor Aufregung in den Arm, aber Kira spürte es gar nicht. „Oh mein Gott!", rief sie. „Ist es Phoe?" Sie war ganz zittrig vor Freude.

„Verbinde dich mit ihm. Nur so kannst du es herausfinden!", sagte Simeon leise.

Kira sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Liebend gern!", sagte sie und schloss die Augen. Im Bruchteil einer Sekunde spürte sie, dass hier neues Leben entstand, eine unglaublich starke, neue Kraft, die nach oben strebte. Vor ihrem inneren Auge wirbelten flammende Federn auf, Phoes bernsteingoldener Blick und seine wunderschöne, langen Schwingen. Sie hatte das Gefühl, von einer plötzlichen Wärme umhüllt zu werden. Es war wie damals, als sie in Phoes Lichtkuppel eintrat. Es war die Magie des Feuervogels ...

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now