Kapitel 17

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Staunend sah sich Joella in dem ramponierten Zimmer um. „Hier sieht es echt nach mittlerer Katastrophe aus!", brummte sie. „Und wo war dein Bodyguard? Hätte er in so einem Fall nicht einspringen müssen?"

Kira konnte ihr nur zustimmen, hatte aber auch keine Ahnung, wo Albiel sich gerade aufhielt. „Ich verstehe auch nicht, warum er hier nicht aufgetaucht ist. Er hat sich ja in letzter Zeit etwas mehr zurückgehalten ..., aber ja, heute hätte ich ihn gebraucht ..."

„Und der glatte Durchschuss hier stammt tatsächlich von dir?" Joella machte ein paar Schritte, hob das Buch vom Boden auf und setzte sich damit in Kiras Hängesessel. Sie begann, sich mit den sockigen Füßen sanft von der Wand abzustoßen, schwang langsam vor und zurück und begutachtete dabei grüblerisch das Buch in ihren Händen.

Kira nickte abwesend. Das durchsiebte Buch war ihr kleinstes Problem. Sie stellte sich vielmehr die Frage, ob die Scuros, die dem Phönix nun ganz offensichtlich auf der Spur waren, neue Männer schicken würden. Sie gingen ja davon aus, dass sie den Feuervogel noch immer hatte! Plötzlich fühlte sie sich ziemlich unwohl. War sie hier in ihrem Studentenzimmer überhaupt noch sicher? Aber wo sollte sie hin? Zu ihrer Mutter? Zu Lian?

Während sie diese doch ziemlich schwerwiegenden Gedanken wälzte, steckte Joella den Zeigefinger durch das Loch in dem Buch und winkte sich selbst damit zu. Dann sah sie auf, als hätte sie die ultimative Lösung für ein schwieriges Problem gefunden. Mit Schwung sprang sie aus dem Hängesessel, ging mit dem Buch in der Hand ein paar Schritte zum Regal hinüber und stellte es vorsichtig darauf, als sei es ein überaus wertvolles Artefakt. "Das nennt man jetzt wohl einen kulturhistorischen Roman, nehme ich an", sagte sie zufrieden.

Kira sah belustigt auf. „Ja, wahrscheinlich. Einen kulturhistorischen Roman mit durchschlagendem Erfolg sozusagen."

Joella kicherte. Dann wirbelte sie plötzlich mit dem Geräusch eines ächzenden Judokämpfers herum, den Arm durchstreckend wie zum Angriff. Ihre gespreizten Finger wiesen auf die Blumen auf dem Tisch.

„Äh, ... Was machst du da, wenn ich fragen darf?", fragte Kira verständnislos.

„Ich überlege mir gerade, wie es wäre, wenn ich Blitze werfen könnte", entgegnete Joella. „So wie dieser griechische Gott, wie hieß er nochmal ...?"

„Mensch, Joella, Zeus ist der oberste Gott der griechischen Mythologie! Den musst du doch kennen!"

„Tue ich doch, tue ich doch, ich musste nur überlegen ... Sag mal, wie machst du das? Du fixierst die Stelle, die du treffen willst und landest so einen Treffer?"

Kira seufzte. „Ich bin noch nicht sehr geübt im Schleudern von Lichtblitzen", antwortete sie ehrlich, „aber ja, so ähnlich hat es funktioniert." Zum hundertsten Mal ging sie in Gedanken durch, wie sie die Pfeile aus Licht abgeschossen hatte. Es war wie ein Nebenprodukt ihrer Gefühle gewesen. Wie wenn Zorn und Wut sich einen Weg durch ihre Finger gebahnt hätten.

„Ich kann es selber kaum fassen", murmelte sie. Dann räusperte sie sich. „Wobei es ja schon auch etwas Logisches hat, finde ich. Durch das Eintreten in den magischen Strahlenkreis habe ich mir auf irgendeine abgefahrene Weise Energie von dem Feuervogel einverleibt. Energie, die ich auch wieder abgeben kann. Jedenfalls ist das die einzige Erklärung, die wenigstens so in etwa Sinn macht."

„Dabei ist aber immer noch nicht geklärt, woher der Phönix seine Energie hat ..."

„Ich weiß. Simeon hat mal gesagt „Legenden haben lange Beine, also eile. Wahrscheinlich rennen wir nur immer der Wahrheit hinterher, können sie aber nicht erreichen."

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now