Kapitel 35

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Albiel hatte ihnen Schlafsäcke besorgt.

Fünf Tage lang schliefen sie in von dem Bodyguard selbst ausgesuchten und laut ihm als sicher eingestuften Unterkünften. Wenn man es denn als Unterkünfte bezeichnen mochte. Denn es waren abgelegene Scheunen auf dem Land, baufällige Heuschober, in denen es außer Heu auch noch Flöhe und Spinnen gab, primitive, windschiefe Hütten in den umliegenden Hügeln und einmal sogar ein altersschwacher Bauwagen auf einem stillgelegten Firmengelände. Sie tranken Wasser aus Brunnen und Bächen und aßen, was immer sie finden konnten. Himbeeren und Heidelbeeren von wilden Sträuchern im Wald, Gurken und Tomaten aus Gewächshäusern, Johannisbeeren aus den Gärten und hin und wieder aus einem Hühnerstall gestohlene Eier.

Wenn Jonathan nicht gewesen wäre, wären sie wahrscheinlich nach ein paar Tagen nur noch wandelnde, um Brot bettelnde Striche in der Landschaft gewesen. Doch er versorgte sie mit Gerichten aus der Grünen Oase, brachte ihnen leckere Pizzen mit, indische Masalas oder Reste von cremigem Tiramisu. Er hatte wieder zu arbeiten angefangen, kam aber, wann immer er Zeit hatte, mit seinem Bus zu ihnen hinauf in die Hügel.

Das ständige Auf-der-Flucht-Sein machte jedem zu schaffen. Alle wurden immer nervöser und gereizter. Kira fuhr mit ihren Übungen fort und versuchte das Blitzeschleudern sogar Joella beizubringen. Die brachte aber nur ein vor Konzentration hochrotes Gesicht zustande, dafür aber nicht die Winzigkeit einer Flamme.

„Ich bin halt besser in was Anderem", sagte sie und schlang ihre Haare zu einem Knoten hoch.

„Dafür bist du meine Flamme!", ulkte Jonathan und Joella sah ihn unsicher an. Ganz offensichtlich wusste sie nicht, ob es ein Witz sein sollte oder die Wahrheit.
*

Abends, als Kira und Joella in ihren Schlafsäcken lagen und das Heu der Scheune, unter deren Dach sie diese Nacht Unterschlupf gefunden hatten, ihnen in der Nase kitzelte, flüsterterten Joella und Kira miteinander.

„Glaubst du, Jonathan kommt nur, weil Simeon ihn dazu beauftragt oder auch, weil er es selbst will?", fragte Joella, die neben Kira im Heu lag, so leise, dass die anderen es nicht hören konnten.

Die Scheune, die in einem schmalen Seitental der Mosel an einen Hügel geschmiegt lag, war fast zu klein für fünf Personen. Nachts kroch die Kälte in den Schlafsack.

Durch eine schmale Luke schienen ein paar Sterne und Kira sah zum Nachthimmel hinauf und sinnierte, ob ihre Freundin sich schon einmal so viele Gedanken über ein männliches Wesen gemacht hatte. Neben ihr auf einem Heuhaufen am Boden schlief Phoe, den Schnabel tief ins Gefieder vergraben.

„Ich bin sicher, er kommt auch deshalb, weil er einfach zu gerne mit seinem geliebten VW-Bus durch die Gegend fährt", sagte sie und drückte im Dunkeln ihr Gesicht ins Kissen, um sich ein Lachen zu verbeißen.

Joella stieß einen bekümmerten Seufzer aus, der ihre Enttäuschung so anschaulich wiedergab, dass Kira laut herausplatzte. „Glaub doch nicht alles, was ich erzähle!", kicherte sie.

„Pst, andere Leute wollen schlafen!", mahnte Albiel von der anderen Seite des Scheunendachs.

„'Tschuldigung!", sagte Kira immer noch giggelnd.

„Dumme Kuh!" Beleidigt knuffte Joella sie in die Seite. Kira unterdrückte ein dumpfes Ächzen, dem Lachen beigemischt war. Dann flüsterte sie ihrer Freundin zu: „Nein, ehrlich, ich finde schon, dass er dich immer auf so eine ganz bestimmte Art anschaut."

„Auf so eine ganz bestimmte Art?", zischelte Joella und äußerst interessiert. „Geht es etwas genauer?"

„Na, der Blick, wenn er dich anguckt ... ist eben so ... irgendwie so verdichtet."

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now