· one ·

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Ryan

"Es geht mir gut, wirklich.", versicherte ich Jake zum was weiß ich wie vielten Mal innerhalb von den letzten 20 Minuten.

Wir saßen in seinem dunkelblauen Mercedes und hörten irgendeinen übertriebenen Miles Cyrus - Song, nur um einer unangenehmen Stille zu entkommen. Und doch hörte ich ihn ungläubig aufatmen.

Seufzend starrte ich aus dem Fenster, um seinem 'Ich sagte dir doch das so etwas passieren wird' - Blick nicht auch noch begegnen zu müssen.
Er hatte mich davor gewarnt auf Patrouille zu gehen, da sich einfach zu viele Streuner in den Wäldern befanden. Und ich hatte eben nicht auf ihn gehört, da mir die Wahrscheinlichkeit angegriffen zu werden doch sehr gering vorgekommen war - OK, ich hatte mich geirrt.

Die ganze Innenstadt war bedeckt mit einer glänzenden, weißen Schneeschicht, und ich hasste es.

Ich wollte die strahlende Sonne zurück, die Wärme, einen blühenden, grünen Wald und lange, helle Tage. Nicht zu vergessen natürlich einen blauen Himmel ... bei diesem Gedanken kam ich nicht drum herum, mir diese intensiven, blauen Augen in Erinnerung zurückzurufen. Blau wie ein klarer Himmel an einem wundervoll warmen Tag, wie die schimmernde Wasseroberfläche des Ozeans. Die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte - in einem bleichen Vampirgesicht.

Sie hatten direkt in meine geblickt, und es war als hätte er in mehr als nur meine Augen gesehen. Direkt in meine Seele.

Weshalb hatte er mich eigentlich gerettet ? Waren Kreaturen wie er nicht dazu bestimmt, uns genau so sehr zu hassen wie wir sie ? Ich war auf ihrem Territorium gewesen, also hätte er mir die Hölle heiß machen, mich mit seinem Gift infizieren müssen, wie er es bei meinem Angreifer getan hatte.
Doch er hatte mir geholfen.

Aus welchem verrückten, hirnverbrannten Grund auch immer, er hatte mich gerettet.

"Warum hat der Streuner dich verfolgt?", wollte Jake wissen und riss mich aus meinen Gedanken.

"Ich habe keine Ahnung. Er kam aus dem Nichts und begann, mich zu bekämpfen.", antwortete ich und warf ihm einen kurzen, unsicheren Blick zu.

Seine Augen waren konzentriert auf die Straße gerichtet, doch ich kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war. "Irgendeine Vermutung wer es war?"

Ich sank tiefer im Leder des Beifahrersitzes ein und rollte mit den Augen, weil mein von starken Komplexen befangener großer Bruder wieder diesen gewissen Ausdruck auf dem Gesicht hatte. Als müsse ich ihm nur einen anständigen Namen nennen, und er würde diese Person finden und zerfleischen.

"Höchstwahrscheinlich einer dieser Streuner. Du weißt ja, was mit den Wölfen ohne Clan geschieht.", bemerkte ich und erinnerte mich an so manche verzweifelte Gesichter, die ich in dem Zusammenhang schon erblickt hatte.

Jake zuckte mit den Schultern.
"Warum sollten sie sich so aggressiv verhalten ? Selbst dieser Vampir war ziemlich lässig dafür, dass wir ihr Land betreten haben."

Darauf hatte ich ihm keine Antwort , also starrte ich nur wieder schweigend aus dem Fenster um ungestört an ihn denken zu können. Bleiche Haut, schwarzes Haar, blaue Augen. Ich bedauerte ihn nur so kurz gesehen zu haben. An sein Gesicht konnte ich mich kaum noch erinnern - oder an die Person, die bei ihm war.

Ein seltsames Gefühl, sich zu einem männlichen Vampir, welchen man nur so kurz erblickt hatte, so sehr hingezogen zu fühlen.

"Von denen zieht es immer mehr in diese Stadt.", meinte Jack wieder und fuhr sich durch sein gestuftes, dunkles Haar. Ich hob den Kopf uns sah ihn lange an. "Was willst du tun?"

"Wir werden deshalb wohl wieder eine Rudelversammlung starten müssen.", entgegnete er und legte die Stirn in Falten.

"Jake ... !", jammerte ich und lehnte meinen Kopf erneut gegen die kalte Fensterscheibe. Bei jeder Wölbung der Straße schlug mein Schädel dagegen aber ich brauchte eben etwas zum Kopfablegen. Der reinen Dramatik zuliebe.

Ich verabscheute Rudelversammlungen. Ein Haufen angespannter Wölfe und schlechte Stimmung.
Doch da unser Vater, der Alpha des Rudels, gerade nicht in der Stadt war und Jake der nächste Alpha werden würde, war es an ihm sich darum zu kümmern. Und ich als jüngstes Familienmitglied würde ich natürlich mal wieder dabei stehen und eine möglichst ernste und voll konzentrierte Miene aufsetzen.

"Da musst du nun mal durch."

Seine Worte bewirkten bei mir nur eine doppelt so finstere Miene. "Muss das wirklich sein?"

Wir bogen in unserer Einfahrt ein und Jake blieb still während er elegant ( und vielleicht etwas ruckartig ) sein Auto parkte. Er drehte den Schlüssel heraus und blieb noch einen Moment sitzen. Seufzend wandte er sein genervtes Gesicht dann zu mir, und ich hob vetreidigend die Hände.
"Schon gut. Ich verstehe schon.", damit stieg ich aus dem Auto und schlug kräftig die Tür hinter mir zu.

Als lachte mich das Schicksal gerade aus stand ich auch noch bis zu den Kniehen im Schnee.
Wahnsinn.

Ich watete abenteuerlich zur Haustüre, wo ich mir den Schnee von der Jeans klopfte und auf Jake wartete. Die dunklen Wolken am Himmel rissen ein Stück auf und entblößten den Sonnenuntergang.

"Bald ist wieder Vollmond.", teilte Jake mir mit, als auch er kurz in den Himmel blickte. Er stampfte durch den Schnee zu mir und schloss endlich die Türe auf. "Stell' dich schon mal drauf ein."

Ich nickte wohl wissend. "Unsere Gefühle spielen verrückt, die Stimmungsschwankungen, die plötzlichen Verwandlungen, Nachtjagen - ich weiß.",erwiderte ich. Die Türe öffnete sich klickend und ich betrat unsere Wohnung.

"Scheint so.", Jake drängte sich an mir vorbei und lief geradewegs in die Küche. "Soll ich uns Abendessen machen?"

Ich wollte gerade auf mein Zimmer gehen und blieb kerzengerade stehen, als er mich das fragte. Langsam drehte ich mich ihm zu und setzte meinen 'Ernsthaft?' - Blick auf.
Jakes Essen schmeckte scheußlich und jeder wusste das außer ihm. Ich dachte allmählich würde er mal begreifen, dass es nicht normal war, wenn sein Hühnchen nach Fisch schmeckte.

"Wie wäre es mit ... ", Jake verschwand hinter der offenen Kühlschranktüre und ich hörte ihn eilig darin herumkramen, "... Hühnchen ?"
Ich unterdrückte ein Würgen. "Vielleicht morgen.", damit zog ich mich in mein Zimmer zurück und hörte Jake noch 'Abgemacht!' rufen, ehe meine Türe hinter mir zufiel. Morgen würde ich woanders essen müssen.

Stöhnend warf ich mich aufs Bett und schloss für einen Moment die Augen, um dann wieder seine Augen zu sehen. Würde ich ihn wiedersehen ?
Denn das wollte ich, mehr als alles andere.

Als ich die Augen wieder öffnete starrte ich auf das langweilige Weiß meiner Zimmerdecke. Da wir erst hier her gezogen waren musste ich das Zimmer dringend noch streichen. Alles war von einem langweiligen, leeren weiß. In der Ecke verstaubten die Kartons, zu denen Jake mich ständig drängte sie endlich auszupacken. Aber ich tat es nicht, aus innerem Protest heraus.
Die ganzen Sommerferien über hatte ich nur das Wichtigste aus einen heraus geholt, das ich zum überlebenden brauchte. Also meine Bücher, Hygieneprodukte und natürlich die Schreibmaschine. Gut, vielleicht auch noch die PlayStation.

"Ryan?", Jake klopfte an der Türe und ohne eine Antwort abzuwarten, kam er herein und musterte mich rätselnd. "Alles OK?"
Ich setzte mich in meinem Bett auf und seufzte ironisch. "Nur herein spatziert."

Er grinste. "Hier ist dein Anmeldeformular für die neue Schule.", meinte er und reichte mir ein Blatt Papier. "Vergiss das morgen nicht."

"Ah.", unbeeindruckt nahm ich das Blatt entgegen. Nach diesem Wochenende war ich schon in der 11. Klasse. Nicht mehr weit entfernt von der Universität meiner Träume. Ich lächelte in Gedanken verloren.

Dieses Jahr durfte einfach nichts schief laufen. Nichts sollte mich an meinem Ziel hindern. Nicht die Streunger, nicht die neue Schule und nicht diese blauen Augen.

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Bild : Ryan

Gefährliches Spiel |BoyxBoyTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang