1 | 2. Kapitel

9.2K 469 91
                                    

Eine knappe Stunde später apparierten wir in eine kleine Nebenstraße seitlich des Tropfenden Kessels, einem kleinen schmuddelig wirkenden Pub mitten in London, den nur Mitglieder der magischen Welt sehen konnten und der somit für Muggel unsichtbar war. Da ich erst wenige Male hier war, war der Anblick recht ungewohnt und ich verharrte genau da, wo wir gelandet waren. Mein Magen rebellierte noch immer von dem raschen Ortswechsel.

Allerdings gönnte mein Vater mir keine sonderlich lange Verschnaufpause. Er zog mich rasch über die belebte Straße und schob mich durch die knarrende Holztür, hinter der die Magie lauerte, von der die Muggel auf der Straße keine Ahnung hatten. Der tropfende Kessel war berühmt und doch war der Anblick beinahe eine Enttäuschung. Dunkel und schäbig, die Luft abgestanden, wirkte der Schankraum nicht gerade einladend. In einer Ecke saßen ein paar Frauen und tranken Sherry aus kleinen Gläsern. Eine von ihnen rauchte eine lange Pfeife und paffte deren dunklen Rauch in den Raum. Ein kleiner Mann mit Zylinder sprach mit dem alten Wirt, der vollkommen kahlköpfig war und aussah wie eine klebrige Walnuss. Fenster gab es nirgends.

Kaum das wir eingetreten waren und der Wirt uns sah, veränderte sich das Verhalten meines Vaters. Seine Miene wurde ausdruckslos und seine Augen blickten dem Wirt kühl entgegen, nichts ließ darauf schließen, dass er auch anders konnte. Auch dem Wirt schien das klar zu sein, denn er wandte sich augenblicklich auf den Fersen um, als ihn der Blick des Tränkemeisters traf.

Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn in der Öffentlichkeit sah, trotzdem konnte ich nicht wirklich verstehen, wieso ihm manche Leute mit Abscheu, gar mit Angst begegneten. Natürlich kam er manchmal harsch und grimmig rüber, allerdings hatte ich in meinem bisherigen Leben gelernt, wie ich seine Miene zu lesen hatte und seine Launen geschickt umgehen konnte. Dennoch gab es Fragen, die auch ich mich nicht getraute, ihm zu stellen. Eine davon war die nach seinem Verhalten gegenüber fremden Menschen.

Mit finsteren Blicken um sich werfend, schob er mich, eine Hand auf meine Schulter gelegt, weiter. Gemeinsam traten wir auf den kleinen, von einer Backsteinmauer begrenzten Hinterhof hinaus, wo es außer einem Mülleimer und Unkraut nichts Erwähnenswertes gab. Doch der Schein trog, wie ich nur allzu gut wusste. 

Der ältere Zauberer zückte seinen Zauberstab, zählte die Steine ab und tippte schließlich auf einen. 

Der Stein, auf den er geklopft hatte, erbebte, wackelte und in der Mitte erschien ein kleiner Spalt. Knackend wurde der Riss größer, bis er schließlich einen gemauerten Torbogen formte, der den Blick auf die Winkelgasse freigab. Umgehend trat mein Vater hindurch und erst als er ungeduldig mit der Zunge schnalzte, konnte ich mich dazu bewegen, ihm zu folgen. 

Eigentlich war ich schon häufig genug hier gewesen, damit ich nicht mehr überwältigt sein müsste, doch die pure Magie, die hier die Luft erfüllte, schlug mich jedes Mal aufs Neue in ihren Bann. Hexen und Zauberer, die - den fremd klingenden Wortfetzen nach zu urteilen - nicht nur aus Großbritannien stammten, drängelten sich an die Schaufenster, um einen guten Blick auf die Auslagen erhaschen zu können. Einige in aller Seelenruhe, während andere ganz offensichtlich im Stress waren und keine Rücksicht auf ihr Umfeld nahmen.

Hastig eilte ich hinter meinem Vater her und schloss zu ihm auf, damit ich ihn in dem Gedränge nicht verlor. "Zu Gringotts müssen wir heute nicht, ich habe noch ausreichend Geld." Als er mein erleichtertes Gesicht sah, schlich sich ein kleines, kaum zu erkennendes, Lächeln in seine Mundwinkel.

Ich hatte eine Heidenangst vor diesen Kobolden, die in der Zaubererbank Gringotts arbeiteten und über all die Schätze wachten, welche in den Verliesen tief unter der Erde lagerten. Bei meinem ersten Zusammentreffen mit ihnen war ich sechs gewesen und war, den andauernden Ermahnungen meines Vaters zum Trotz, in den Gringotts Vorhallen auf Entdeckungsreise gegangen. Die Kobolde waren nicht sonderlich erfreut gewesen. Schlussendlich, als es ihnen zu bunt wurde, packte mich einer von ihnen, Griphook hieß er glaube ich, an den Ohren und schleifte mich zurück zu meinem Vater. Heute scherzte er darüber, aber damals hatte eine ziemlich heftige Standpauke gefolgt. Keine schöne Erinnerung.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now