3 | 4. Kapitel

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"Noreen." Viel mehr brachte ich bei dem Anblick, der sich mir bot, nicht hervor.

Das Gesicht der Blondine war verschrammt und schillerte in allen Farben des Regenbogens. Eins ihrer Augen war zugeschwollen und wie es aussah, war ihre Nase gebrochen. Einige wenige Tränen liefen ihr übers Gesicht. "Sieht schlimmer aus als es ist - wirklich. Ich sollte inzwischen gelernt haben, dass das Treppengeländer stärker ist." Sie versuchte ein Lachen, scheiterte jedoch kläglich.

Mit unbewegter Miene zog ich sie am Ärmel in eine der eben angekommen Kutschen und bedeutete Draco und den anderen, auf die nächste zu warten. Erst als sich die Kutsche ruckelnd in Bewegung setzte, fing ich an zu sprechen: "Was ist passiert?"

"Das weißt du doch schon - das doofe ...", fing Noreen an. Ich unterbrach sie: "Komm mir nicht wieder mit dem Treppengeländer! Was. Ist. Passiert?" Angesichts meines wütenden Blicks schrumpfte die Blondine in sich zusammen. Fest presste sie die Lippen zusammen und ein gehetzter Ausdruck huschte ihr übers Gesicht. Sie machte keine Anstalten mir zu antworten. "Hör mal, Reen. Sag mir was los ist! Sonst werde ich mit meinem Vater reden - und das wird echt unangenehm für dich. Ich mache mir doch nur Sorgen!"

Ohne Vorwarnung fing Noreen an zu weinen. "Du würdest es nicht verstehen."

Innerlich aufseufzend rutschte ich neben sie auf die Sitzbank und nahm sie in den Arm. "Versuch es, bitte."

Schluchzend vergrub sie ihren Kopf an meiner Schulter und sagte sehr leise: "Mein ... Mein Vater hat mich ... geschlagen."

Ich erstarrte. Zwar hatte ich so etwas in diese Richtung vermutet, es jetzt aber von ihr bestätigt zu bekommen war etwas anderes. "Er hat dich so zugerichtet?" Anstelle einer Antwort schluchzte sie nur noch heftiger. Ich ließ sie weinen.

Allmählich nahm die Kutsche Fahrt auf und ich beobachtete, wie das Schloss und seine Türme immer näherkamen. Dabei registrierte ich mehrere vermummte Gestalten die entlang der Grenzen zu Hogwarts schwebten. Dementoren. Ein Schauer lief mir über den Rücken, bei dem Gedanken, sie das ganze Jahr um mich zu haben. Nur wegen eines einzigen Mannes.

"Noreen - sieh mich bitte an." Meine Freundin hob den Kopf und schaute mich aus verheulten Augen an. Es bestätigte, was ich vermutet hatte. "So kannst du nicht als Slytherin auftreten. Ich kann dir weder dein Gesicht noch deine Nase vollständig richten - das muss Madam Pomfrey nachher machen, aber ich kann zumindest dafür sorgen, dass du wieder normal aussiehst, ok?"
Dankbar nickte sie. Rasch zog ich meinen Zauberstab hervor und reinigte ihr Gesicht erst von den Tränenspuren, dann legte ich einen Tarnzauber über die blauen Flecken in ihrem Gesicht. "So, fertig. Aber eins fehlt noch."

Verwirrt sah Noreen mich an. "Was sollte fehlen? Ich sehe doch hoffentlich wieder normal aus?"

Beruhigend lächelte ich sie an. "Keine Sorge, du siehst vollkommen normal aus. Es fehlt nur noch ein Blick, der alle in Grund und Boden rammt."

"So?" Bei ihrem Versuch einen tödlichen Blick aufzusetzen, musste ich Lächeln. Ich neigte leicht den Kopf: "Fast. Du kannst ihn gleich ausprobieren, wir sind da."

Tatsächlich hielt die Kutsche just in diesem Moment und wir schlossen uns den Scharen von Schülern an, die zum Schloss hinaufgingen und durch das mächtige Eichenportal die Eingangshalle betraten und weiter in die große Halle strömten.

"Cat, Reen!" Überschwänglich kam Pansy Parkinson auf uns zu gerannt und umarmte erst Noreen und dann mich. "Wie waren eure Ferien?", begann sie uns mit Fragen zu bombardieren, während sie uns zum Slytherintisch zog. "Was haltet Ihr von den Dementoren? Habt ihr gehört, dass Potter im Zug ohnmächtig geworden ist?"

Ich runzelte die Stirn. Einmal, angesichts der Tatsache, dass Pansy in den gesamten letzten zwei Jahren vielleicht drei Sätze mit mir gewechselt hatte und zweitens irritierte mich die Aussage über Harry. "Was hast du über Harry gesagt?", fragte ich scharf.

Aus dem Konzept gebracht hielt sie inne. "Potter?"

"Ja - Potter. Was ist mit ihm?", hakte ich ungeduldig nach.

"Na, der ist im Zug ohnmächtig geworden. Behauptet zumindest Longbottom." Kurz schwieg sie, bevor sie in alter Frische weiter plapperte. "Jedenfalls war ich in den Ferien in ..."

Glücklicherweise hatten sich inzwischen alle gesetzt und so konnte ich vorgeben, mich brennend für die Einteilung der neuen Erstklässler zu interessieren, die gerade von Professor McGonagall in die große Halle geführt wurden. Von Pansys Gerede konnte man Kopfschmerzen bekommen.

In Wahrheit bekam ich jedoch nicht sonderlich viel davon mit. Ja, ich klatschte, wenn der Hut Slytherin rief und tat dabei jedes Mal total begeistert, eigentlich grübelte ich aber immer noch über Noreens Geheimnis. Dass ihr Vater sie schlug, war schon schlimm genug, ich hatte allerdings das seltsames Gefühl, dass sie mir noch etwas verschwieg. Wieso sollte er sie regelmäßig so zurichten? Wenn jemand Wind davon bekommen würde, würde damit der Name Smethwyck in den Schmutz gezogen.

Nachdenklich schaute ich zu der Blondine, die augenscheinlich von Pansy ziemlich genervt war. Auch so eine Sache. Diese Arroganz, Pansy einfach zu ignorieren, besaß sie nicht, dabei wurde sie den meisten Reinblütern quasi in die Wiege gelegt. Ebenso ihr Unglaube und ihre Ehrfurcht gegen den Reichtum, der sich tief in den Kerkern in unseren Schlafräumen verbarg. Irgendwas an dem Ganzen passte nicht ins Bild.

Erneut warf ich einen Blick nach vorne und stellte erstaunt fest, dass Dumbledore inzwischen aufgestanden war. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, wie er angefangen hatte zu sprechen: "Wie ihr mitbekommen habt, ist der Hogwarts-Express durchsucht worden, und ihr wisst inzwischen, dass unsere Schule gegenwärtig einige der Dementoren von Askaban beherbergt, die im Auftrag des Ministeriums hier sind."

Daher wehte also der Wind. Das Ministerium. Ich stellte keineswegs in Frage, dass wir gerade hier Schutz benötigten, jedoch zweifelte ich ein wenig an den Absichten unserer Führungsetage. Auch Dumbledore schien nicht wirklich glücklich über die Anwesenheit der Dementoren zu sein.

Langsam ließ er den Blick über uns Schüler schweifen, bevor er eindringlich fortfuhr: "Sie sind an allen Eingängen zum Gelände postiert und ich muss euch klar sagen, dass niemand ohne Erlaubnis die Schule verlassen darf, während sie hier sind. Dementoren dürfen nicht mit Tricks oder Verkleidungen zum Narren gehalten werden - nicht einmal mit Tarnumhängen. Es liegt nicht in der Natur eines Dementors, Bitten oder Ausreden zu verstehen. Ich mahne daher jeden Einzelnen von euch: Gebt ihnen keinen Grund, euch Leid zuzufügen. Ich erwarte von unseren Vertrauensschülern und von unserem neuen Schulsprecherpaar, dass sie dafür sorgen, dass kein Schüler und keine Schülerin den Dementoren in die Quere kommt."

In der Halle herrschte Totenstille.

"Und nun zu etwas Angenehmeren." Dumbledore klatschte in die Hände und sämtliche Anspannung schien aus der Halle zu weichen. "Ich freue mich, dieses Jahr zwei neue Lehrer in unseren Reihen begrüßen zu können. Zunächst Professor Lupin, der sich freundlicherweise bereit erklärt hat, die Stelle des Lehrers für Verteidigung gegen die dunklen Künste zu übernehmen."

Ungewollt huschte mein Blick in Richtung meines Vaters und was ich sah, ließ mich zum zweiten Mal heute erstarren. Sein Blick strahlte pure Mordlust aus und war gegen niemand anderen als den neuen Lehrer gerichtet. Das konnte dieses Schuljahr ja lustig werden.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now