2 | 1. Kapitel

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Cokeworth war kein wirklich schöner Ort. Hoch über den Häusern ragte wie ein mahnender Zeigefinger ein Fabrikschornstein auf und viele der Hausfassaden waren verdreckt. Es war zum Verzweifeln. Zum gefühlt tausendsten Mal in diesem Sommer lief ich jetzt am Fluss Mersey entlang. Die ganzen Ferien hatte ich nicht viel anderes gemacht. Mein Vater übte zwar mit mir fast jeden Abend ein paar Zauber, aber ich langweilte mich trotz allem. 

Noreen war mit ihren Eltern im Urlaub und kam erst Ende der Sommerferien zurück, Harry antwortete auf keinen meiner Briefe und Ron konnte ich eh vergessen. Inzwischen war ich fast so verzweifelt, dass ich überlegte, Malfoy einen Brief zu schreiben.

Seufzend drehte ich dem einsam dahingleitenden Fluss den Rücken zu und machte mich auf den Weg nach Hause.

Die Sonne sank tiefer, während ich mir meinen Weg durch das Viertel suchte. Es war eine Muggelgegend. Kein Zauberer außer mir und meinem Vater weit und breit. Alles verlief im Schneckentempo und jeder kannte jeden. Die wenigsten kannten meinen Vater. Doch viele kannten mich. "Caitlyn!" 

Gute Miene zum bösen Spiel. Ich zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht, dem man nicht ansehen konnte, ob es echt war oder nicht und drehte mich zu der Stimme um. "Mr. Storm. Wie geht es ihnen?" Er war ein fast kahlköpfiger älterer Muggel, der alleine lebte und in den letzten Jahren recht verbittert geworden war. Angeblich kannte mein Vater ihn schon seit er ein kleiner Junge war.

"Es geht mir ganz gut. Würdest du mir vielleicht meine Einkäufe nach Hause tragen?" Er deutete auf eine große Einkaufstasche, die er zusätzlich zu seinem Stock in der Hand hielt.

Vorsichtig nahm ich ihm die Einkaufstasche aus der Hand und ungefragt hakte er sich bei mir ein. Ich unterdrückte den Drang, ihm einen Fluch auf den Hals zu jagen und begnügte mich stattdessen damit, mit den Zähnen zu knirschen. Mr. Storm's Ohren waren nicht mehr sonderlich gut, daher musste ich mir keine Sorgen machen, ob er mich hörte.

"Wie groß du geworden bist, Caitlyn! Wo warst du denn im letzten Jahr? Deinen Vater sieht man ja eh nie, aber wenigstens du bist immer hier herumgelaufen", sagte der alte Mann mit zittriger Stimme.

Freundlich erzählte ich ihm von einem Internat, in dass ich letztes Jahr gekommen wäre und welche Chancen ich alles hätte, wenn ich es abgeschlossen hätte. Innerlich betete ich, dass wir endlich bei ihm ankommen würden. 

"Ja, die Jugend von heute. Denken immer nur an Karriere. Unsereins hat Familie gegründet ..." Ich ließ ihn reden. Hin und wieder nickte ich oder stellte eine Frage, die mir angemessen vorkam.

Endlich waren wir bei ihm. Mit zittriger Hand versuchte Mr. Storm den Schlüssel ins Schloss zu schieben, doch es wollte ihm nicht gelingen. Muggel oder nicht, das konnte ich nicht mit ansehen. "Geben sie mir den Schlüssel, Mr. Storm." Behutsam nahm ich ihm den Schlüssel ab und öffnete die Tür. 

"Danke, Mädchen." Der alte Muggel tätschelte mir die Hand und verschwand im Haus.

"Wir sehen uns sicher die Tage." Ohne eine Antwort abzuwarten, überquerte ich die Straße. Die Sonne war inzwischen fast gänzlich verschwunden und ich beeilte mich, ins Haus zu kommen.

Aus dem Wohnzimmer drangen Stimmen. Ich hängte meine Jacke an einen Haken an der Wand, stellte meine Schuhe darunter und durchquerte den schmalen Flur, um ins Wohnzimmer zu gelangen. Kurz vor der Tür hielt ich inne.

"Wieso habe ich das Gefühl, dass ich sie kenne?", fragte Dumbledore.

Ich drückte mich näher an die Wand und wartete auf eine Antwort meines Vaters. Gespräche zu belauschen, war in letzter Zeit wirklich zur Gewohnheit geworden. Über wen redeten sie? "Das kann ich mir kaum vorstellen", antwortete mein Vater mit monotoner Stimme. "Du kannst ruhig reinkommen, Caitlyn!"

Mist, wieso erwischte man mich denn immer beim Lauschen? Mit unschuldiger Miene trat ich ins Zimmer. "Hallo, Vater. Hallo, Professor Dumbledore, Sir, was machen Sie denn hier?"

Der weißhaarige Zauberer lächelte mich freundlich an und erhob sich vom Sofa, auf dem er bis gerade noch gesessen hatte. "Ich wollte mich ein wenig mit deinem Vater unterhalten und bei der Gelegenheit dachte ich mir, ich bringe dir auch gleich deinen Brief mit." Kurz kramte er in seinem Umhang und zog dann einen beigen Briefumschlag mit dem Siegel von Hogwarts aus seiner Tasche, den er mir überreichte.

Ich nahm den Brief und setzte mich neben meinen Vater.

Bevor peinliches Schweigen eintreten konnte, fragte ich: "Wer wird jetzt eigentlich der neue Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste?"

Mein Vater verzog sein Gesicht und Dumbledore lächelte. "Ich möchte dir die Überraschung nicht verderben. Obwohl ich fürchte -", der Schulleiter feixte. "- du wirst es wissen, sobald du der Winkelgasse einen Besuch abstattest."

"Ich verstehe immer noch nicht, wieso Sie immer so Stümperer einsetzten!", schnappte mein Vater.

Verwirrt blickte ich von ihm zu Dumbledore und wieder zurück. Wieso immer? "Vater, wieso stört dich das eigentlich so? Klar, es ist total doof, keinen vernünftigen Lehrer zu haben ..."

"Dein Vater möchte jetzt schon seit Längerem den Posten für das Fach", erklärte Dumbledore geduldig.

"Und wieso geben sie mir ihn nicht einfach?" Fuhr mein Vater auf. "Ich habe Erfahrung auf dem Gebiet und -" Abrupt brach er ab. 

Dumbledore warf meinem Vater einen kurzen Blick zu, bevor er, unbeeindruckt seines Ausbruchs, immer noch lächelnd erklärte: "Wissen Sie, Severus. Bisher konnte kein Lehrer die Stelle mehr als ein Jahr lang besetzten. Und ich denke, es ist sowohl in meinem Sinn, als auch im Sinne Ihrer Tochter, dass Sie noch ein Weilchen an der Schule bleiben."

"Was meinen Sie damit, dass der Posten immer nur ein Jahr vergeben werden konnte?"
Doch Dumbledore lächelte nur geheimnisvoll und gab mir keine Antwort auf meine Frage.

Abends, als der Schulleiter endlich gegangen war, kam mein Vater zu mir ins Zimmer. Ich lag schon im Bett und bekam nur am Rande mit, wie er meine Bettdecke glattstrich, mir einen Kuss auf die Stirn gab und dabei sagte: "Nächste Woche gehen wir in die Winkelgasse. Vielleicht bekommst du dann deine Eule."


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