1 | 4. Kapitel

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Den Rest der Ferien verbrachte ich lesend, abwechselnd im Wohnzimmer oder auf meinem Zimmer. Im Gegensatz zu anderen Kindern konnte ich meinen Vater auch während der Schulzeit sehen, und hatte daher nicht das Bedürfnis, noch so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen.

Am 31. August schließlich, hatte ich fast alle Bücher über Hogwarts und meine zukünftigen Schulfächer verschlungen, die ich in die Finger bekommen konnte und hatte unter der strengen Aufsicht meines Vaters auch schon den ein oder anderen Zauber geübt. Jetzt musste ich nur noch die letzten Sachen einpacken und früh zu Bett gehen. Wobei das früh zu Bett gehen so eine Sache war. Ich war viel zu aufgeregt, um sofort einzuschlafen, wälzte mich noch gefühlte Ewigkeiten von der einen auf die andere Seite und quälte mich selbst mit Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.

Den nächsten Morgen wachte ich früh auf und überprüfte noch einmal den gesamten Inhalt meines Koffers, da ich das seltsame Gefühl hatte, etwas vergessen zu haben. Mit meiner Herumrennerei machte ich auch meinen Vater ganz nervös, so dass wir früher als nötig nach London aufbrachen.

Nur wenige Sekunden später tauchten wir auf der Straße direkt vor dem Bahnhof Kings Cross auf. Für einen Augenblick kämpfte ich um meinen Stand. Nicht umsonst hasste ich apparieren.

Ohne sich um meine Gleichgewichtsstörungen zu kümmern, drückte mein Vater mir eine Fahrkarte in die Hand und sah mich streng an. "Du weißt, wo du hinmusst?"

Ich verdrehte die Augen. "Ja, weiß ich. Gleis 9 3/4, um elf Uhr fährt der Zug."

Da er als Mitglied des Lehrerkollegiums früher in Hogwarts sein musste, konnte er mich nicht bis zum Zug begleiten und wir hatten jeden Schritt genauestens besprochen. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, wer aufgeregter war.

"Wir sehen uns in Hogwarts, Vater", verabschiedete ich mich, gab ihm einen Kuss auf die Wange und überquerte die Straße. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich den Tränkemeister schon nicht mehr. Er war bereits disappariert.

Erleichtert seufzte ich. So cool und entspannt ich auch gegenüber meinem Vater getan hatte, ich war alles andere als das. Auch ich machte mir Sorgen. Glücklicherweise hatte ich noch genügend Zeit, es war erst viertel nach zehn.

Und diese Zeit würde ich brauchen. Das Bahnhofsgebäude war gewaltig - und voll. Allerdings waren wohl all die anwesenden Muggel. Sie hetzten durch ihren Alltag, auf dem Weg zu ihren nächsten Terminen oder was auch immer sie momentan sonst noch so beschäftigte. Mich andauernd umsehend, lief ich durch die Menge, betrachtete die Familien mit ihren Kindern und die ein- und abfahrenden Züge. War hier denn gar nichts ausgeschildert? Wie fanden sich die Muggel bei so einem Chaos nur zurecht?

Plötzlich erklang eine blechern klingende Stimme. "Aus Sicherheitsgründen bitten wir Sie, Ihr Gepäck nie unbeaufsichtigt stehen zu lassen, da dies Kleinkriminelle anlocken könnte und Sie sicherlich nicht zwei Ihrer Koffer hinter sich stehen haben wollen. Vielen Dank." Erschrocken sah ich nach oben und blickte, auf der Suche nach ihrem Ursprung, verwirrt umher, doch nach einem lauten Knacken war sie verstummt. Dafür fand ich jetzt, wonach ich gesucht hatte. Ich folgte den Schildern, die mir den Weg zu den Gleisen wiesen.

Gleis 1, Gleis 2, las ich und da, endlich, Gleis 9 und Gleis 10. Langsam lief ich auf die Absperrung vor den Bahnsteigen zu. Aus Erfahrung wusste ich, dass die Muggel es sowieso nicht merken würden, wenn ich mitten unter ihnen verschwinden würde, nicht solange ich nicht mit allen Mitteln auf mich aufmerksam machen würde. Abgesehen davon wunderten sie sich aber offenbar auch nicht über unsichtbare Stimmen ohne Ursprung.

Ich lehnte mich, darauf bedacht unauffällig zu wirken und mein spöttisches Grinsen im Zaum zu halten, gegen die Absperrung und war im nächsten Moment auch schon seitlich hindurchgeglitten. Am Bahnsteig, auf dem ich herauskam, stand eine scharlachrote Dampflok. Das war er, der Hogwarts-Express. Wie um meinen Gedanken zu bestätigen, stand über der Lok ein Schild: Hogwarts-Express, elf Uhr.

Der Bahnsteig war noch relativ leer. Kein Wunder, es war noch über eine halbe Stunde bis der Zug fuhr. Mein unfreiwilliger Aufenthalt im Bahnhof der Muggel war scheinbar kürzer gewesen, als er mir vorgekommen war. Vereinzelt standen Familien herum, oder halfen ihren Kindern die Koffer unterzubringen. Doch es herrschte keine Eile.

Zügig lief ich in Richtung Ende des Zuges. Ich wollte nicht in den später sicher vollkommen überfüllten Zugabteilen sitzen. Ganz am Ende der Waggons stieg ich ein und setzte mich in das vorletzte Abteil. Meine wirklich recht kleine Tasche legte ich auf den Gepäckträger. Den Rest, meinen Koffer mit den ganzen Büchern, Umhängen und anderen privaten Gegenständen, hatte mein Vater schon mit nach Hogwarts genommen. In der Tasche war nur ein Umhang, den ich kurz bevor wir ankamen anziehen würde, mein Zauberstab, einige Galleonen und ein Buch, falls ich auf der Fahrt lesen wollte.

Ich ließ mich auf die Sitzbank fallen, lehnte den Kopf gegen das Fenster und beobachtete das Geschehen auf dem Bahnsteig. Dieser füllte sich langsam und soweit ich das sehen konnte, waren die vorderen Abteile jetzt voll besetzt. Katzen in allen Farben schlängelten sich zwischen den Beinen der versammelten Hexen und Zauberer hindurch und das Kreischen der Eulen konnte ich selbst hier drinnen noch vernehmen, während ich halbherzig einen Jungen betrachtete, der offenbar heftig mit einer älteren Dame (seiner Großmutter?) diskutierte.

Plötzliche Schritte ließen mich aufschauen. Ein schwarzhaariger Junge, in der Hand einen Käfig, in dem eine große Schneeeule thronte, stand in der Tür meines Abteils und biss auf seiner Unterlippe herum. "Ist hier noch frei?", fragte er mich nervös. Ich nickte nur.

Der Junge stellte den Eulenkäfig ab, drehte sich um und verschwand wieder aus dem Abteil. Ich hatte mich erneut dem Geschehen auf dem Bahnsteig zugewandt, als der Junge wiederkam, diesmal mit seinem Koffer und in Begleitung von zwei älteren Jungs, die beide rotes Haar und Sommersprossen hatten. Sie sahen sich so ähnlich wie Zwillinge, was sie offensichtlich auch waren.

"Danke", sagte der Schwarzhaarige und wischte sich die schweißnassen Haare aus der Stirn.

"Was ist denn das?", rief einer der Zwillinge abrupt und zeigte auf die Stirn des Jungen. Ich folgte seinem Fingerzeig und erblickte eine blitzförmige Narbe. Wo er die wohl her hatte?

"Mensch!", sagte der andere Zwilling. "Bist du -?"

"Er ist es", sagte der erste Zwilling. "Oder etwa nicht?", fügte er an den Jungen gewandt hinzu.

"Wer?", fragte der Junge. Das würde ich auch gerne wissen. Kannten sie ihn?

"Harry Potter", riefen die Zwillinge im Chor. Sollte man den Namen kennen? Ich war verwirrt.

"Oh, der", sagte der Junge, der offenbar Harry Potter hieß. "Ja, allerdings, der bin ich."

Die Zwillinge starrten ihn mit offenen Mündern an und er schien sich ziemlich unwohl zu fühlen, doch eine Stimme, die durch die offene Waggontür hereinschwebte, erlöste ihn. "Fred? George? Seid ihr drin?" Mit einem letzten Blick auf Harry sprangen die Zwillinge aus dem Zug. Mich hatten sie gar nicht wahrgenommen.

Der Junge setzte sich mir gegenüber auf die Bank. Ein klein wenig missmutig sagte er: "Meinen Namen kennst du dann jetzt wohl. Wie heißt du?", fragte er mich etwas verlegen.

Ich verzog die Lippen zu einem kleinen Lächeln. "Ich heiße Caitlyn. Du kommst auch das erste Mal nach Hogwarts?"

"Ja." Zögerlich erwiderte er mein Lächeln und drehte sich dann in Richtung Fenster, von wo er den Bahnsteig beobachtete und offenbar lauschte.

Ich lehnte meinen Kopf gegen den Sitz und schloss die Augen. Da ich nicht lauschen wollte, hing ich meinen Gedanken nach. In welches Haus ich wohl kam? Würde ich schnell Freunde finden?

Aus dem Augenwinkel sah ich zu dem Jungen hinüber. Vielleicht hatte ich ja schon einen gefunden. Er schien nett zu sein. Besonders gespannt war ich allerdings auf den Unterricht bei meinem Vater.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now