4 | 29. Kapitel

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Wenig später stand ich vor dem steinernen Wasserspeier, der den Eingang zu Dumbledores Büro markierte. In dem Brief eben oder eher auf dem Zettel, hatte nur gestanden, dass er mich unverzüglich sprechen wolle. Und ein einzelnes Wort. 

Der Schulleiter hatte mehrmals bewiesen, dass er längst nicht so durchgeknallt war, wie es häufig den Anschein machte und auch von mir hatte er sich seinen Respekt verdient. Aber was sollte ich mit dem Namen einer Süßigkeit anfangen? "Lakritzschnapper", stieß ich abfällig hervor. Was sollte mir das bitte sagen? Zu meiner großen Überraschung nickte die Greifenstatue mit dem Kopf, breitete die Flügel aus und begann sich zu drehen.

Hastig trat ich einen Schritt nach vorne und trat auf die sich knarrend empordrehende Wendeltreppe. Keine Minute später stand ich schließlich vor der eigentlichen Bürotür. Doch ich zögerte, an die dunkle Eichenholztür zu klopfen. Aus dem Raum drangen Stimmen. "Sie verhält sich seltsam in letzter Zeit. Genauer gesagt seit Februar. Ich mache mir Sorgen, Albus." Ohne Probleme konnte ich die Stimme meiner Verwandlungslehrerin zuordnen. Die Frage war nur, um wen sorgte sie sich? Ich war nicht so selbstbezogen, um von vorneherein anzunehmen, das Gespräch drehe sich um mich. Aber gab es eine andere Möglichkeit? War McGonagall möglicherweise doch aufgefallen, wie unsicher ich mich im Umgang mit gewissen Personen verhielt?

Die Tatsache ignorierend, wie häufig ich in den vergangenen Jahren schon beim Lauschen erwischt wurde, schlich ich auf Zehenspitzen näher an die Tür und spitzte die Ohren. "Sie ist die einzige ihres Hauses, die Freundschaften zu Gryffindors pflegt. Besonders in letzter Zeit."

Unweigerlich spannte ich mich an und drückte mein Ohr noch etwas dichter an das dicke Holz. Auf keinen Fall wollte ich auch nur das unbedeutendste Wort verpassen. "Nicht ganz. Erinnere dich an ihren Vater, Minerva. Er hat selbst lange Zeit eine gute Freundschaft zu Lily Evans geführt." Hatte ich noch den kleinsten Hinweis auf ihr Gesprächsthema benötigt, so hatte ich ihn nun erhalten. Sie sprachen wirklich über mich.

"Um ehrlich zu sein, spielt Lily Evans eine tragende Rolle in meinen Überlegungen. Bevorzugt allerdings als Lily Potter." Eine Gesprächspause entstand, in der ich nur rätseln konnte, was die beiden Professoren gerade machten. Kein Geräusch drang an meine Ohren und in meinen Kopf drängte sich mir die Vorstellung auf, wie sie sich, durch einen großen Schreibtisch voneinander getrennt, ein stummes Blickduell lieferten. "Was ist, wenn ..."

"Nein, Minerva." Dumbledores Ton war schneidend, als er ihr mitten im Satz ins Wort fiel. "Harry denkt, seine Schwester sei tot. Er muss nicht erfahren, dass sie nicht mit ihren Eltern in Godric's Hollow begraben liegt, dass man ihren Körper nie gefunden hat."

"Gerade das ist die Ursache, für meine Zweifel." Erneut ein Scharren des Stuhls und eilige Schritte. Aufgeregt kaute ich auf meiner Unterlippe herum. "Was, wenn sie nicht tot ist? Wenn sie wieder aufgetaucht ist? Hier in Hogwarts?" Ihre atemlos hervorgebrachten Worte beunruhigen mich. Sie würden meinen Bruder und mich in schreckliche Gefahr bringen, wenn sie an die Ohren des dunklen Lords gelangten.

Ich musste etwas tun, die Professorin daran hindern, ihren Gedankengang zu Ende zu führen und eventuell die richtigen Schlüsse zu ziehen. Tief atmete ich durch, schloss für einen Moment die Augen und pochte gegen die Tür. Den bronzenen Türklopfer ignorierte ich. Umgehend verstummten die beiden Lehrer und Stille kehrte ein. "Herein", erklang schließlich die freundliche Aufforderung des Schulleiters.

Nachdem ich ein letztes Mal durchgeatmet hatte, drückte ich den rauen Griff der Türklinke hinunter und trat in das Büro ein. "Sie hatten mich rufen lassen, Professor?"

"Ah ja, Caitlyn. Würdest du uns bitte alleine lassen, Minerva?" 

Die streng dreinblickende Professorin nickte, nicht ohne mir einen forschenden Blick zu schenken. Vorsichtshalber zog ich meine Okklumentikschilde wieder hoch, da ich nicht wusste, inwieweit sie diese Kunst beherrschte. "Denke bitte über meine Worte nach, Albus." Beim Hinausgehen strich sie dem großen roten Phönix neben der Tür einmal über den Kopf, der ein seltsames Geräusch von sich gab, welches wohl so viel wie Genuss ausdrücken sollte.

Staunend schenkte ich nun auch dem Rest des Büros meine Aufmerksamkeit. Es war kreisrund und an den Wänden entlang standen Bücherregale, bis zum Platzen gefüllt mit Werken, die vermutlich fast genauso alt waren wie das Schloss selbst. Darüber hingen gerahmte Porträts von ehrwürdig aussehenden Hexen und Zauberern, von denen viele meinen Blick offen erwiderten und mich mit unverhohlenem Interesse musterten. Auf kleinen Tischchen standen allerlei Gerätschaften verteilt, die vermutlich nur Dumbledore selbst etwas sagten. Dieser saß hinter einem großen Eichenholztisch und musterte mich eindringlich über den Rand seiner halbmondförmigen Brille hinweg. "Danke, dass du gekommen bist. Magst du dich nicht setzen?"

Langsam und etwas steif ließ ich mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch sinken und erwiderte seinen Blick ausdruckslos, meine Okklumentikschilde noch um einiges verstärkend. "Wieso wollten Sie mit mir sprechen, Sir?"

Ohne auf meine Frage einzugehen, sagte er: "Ein Zitronenbrausebonbon? Eine meiner liebsten Süßigkeiten aus der Welt der Muggel. Ich kann dir nur raten, sie einmal zu probieren." Mein stummes Kopfschütteln schien in ein wenig zu erheitern, denn er lächelte sanft, nahm sich dann allerdings selbst eins und steckte es sich in den Mund. "Wirklich vorzüglich. Du verpasst etwas, Caitlyn."

Mir lag der Satz auf der Zunge, dass ich besonders einen Tag am See mit meinen Freunden verpasste, nur um mir das Geschwafel eines alten Mannes anzuhören, beherrschte mich jedoch. Die Zeiger der alten Standuhr in der Ecke zeigten längst drei Uhr an – wo war die Zeit geblieben? - und somit wäre es eh zu spät für mich. Die dritte Aufgabe begann bereits um siebzehn Uhr. Also in zwei Stunden.

"Hast du dich gut auf die kommenden Prüfungen vorbereitet? Du möchtest auf deinem Zeugnis doch sicher nur gute Noten?" Am Rande meines Geistes spürte ich eine andere Präsenz, eine um einiges mächtigere als meine und mir war umgehend klar, zu wem sie gehörte.

Fragend hob ich eine Augenbraue. "Hatte ich Sie nicht das letzte Mal bereits gebeten, sich aus meinem Geist fernzuhalten? Ich weiß auch so, was Sie eigentlich wissen wollen. Sicher ist es auch bereits bis zu Ihnen vorgedrungen, dass ich momentan einen weiten Bogen um Zaubertränke mache und seit November nicht mehr diesem Fach beigewohnt habe."

Er verbarg seine Überraschung gut. Nur das leise Aufblitzen dieser in seinen blauen Augen, verriet ihn. "Dann wirst du mir sicher die Frage des Warum gestatten?", sagte er freundlich, unterdessen wurde sein Blick noch eine Spur bohrender. 

"Gestatten ja -" Ich zwang ein freundliches Lächeln auf meine Lippen und erhob mich. Der Schulleiter steckte seine Nase bei Merlin häufig genug in anderer Leute Angelegenheiten und ohne das Wissen darum, welche stille Vermutung gerade McGonagall hegte, hätte ich mich ihm vielleicht anvertraut. "- was aber nicht heißt, dass Sie eine Antwort von mir erwarten können. Dies geht nämlich nur meinen Vater und mich etwas an. Wenn er es ihnen nicht mitteilt, werde ich es ganz gewiss auch nicht tun. Ich nehme an, ich bin jetzt entlassen?"

Offenbar kein bisschen pikiert von meinem, zugegeben, etwas unhöflichen Verhalten, schüttelte er den Kopf. "Noch nicht ganz. Ich habe einen Brief von Sirius erhalten."

Auf halbem Weg zur Tür erstarrte ich. Panik machte sich in mir breit. Ich hatte ihm gegenüber nur die Verschwiegenheit gegenüber meinem Bruder gefordert. Dumbledore hatte ich mit keinem Wort erwähnt. Durch zusammengebissene Zähne fragte ich möglichst gelangweilt. "Und was hat das mit mir zu tun?"

"Er meinte, du würdest durch den Streit mit deinem Vater über die Ferien sicher nicht nach Hause wollen. Er bot an, dich für die Zeit bei sich aufzunehmen."

"Hat er denn überhaupt ein Haus?" Kaum war mir die Frage entschlüpft, kam sie mir blöd vor. Er würde es mir sicher nicht anbieten, wenn dem nicht so wäre. 

Der weißbärtige Mann lächelte. "Durchaus. Das Black Anwesen war eines der schönsten seiner Zeit. Und bis heute auch eines der am besten geschützten. Mit Professor Snape habe ich bereits gesprochen. Er stimmt zu, insofern du es möchtest." Mit einem Zwinkern fügte er hinzu: "Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ihm die Vorstellung nicht sonderlich passt."

Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now