2 | 3. Kapitel

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Pünktlich um halb zehn am ersten September stand ich am Bahnhof Kings Cross. Meinen Koffer hatte wieder mein Vater mitgenommen, der inzwischen sehr wahrscheinlich schon in Hogwarts war.

Ich freute mich darauf, endlich meine Freunde wiederzusehen, musste jedoch leider feststellen, dass ich nur Hermine fand. Sie saß alleine in einem der mittleren Abteile und ich zögerte, ob ich mich zu ihr setzten sollte.

Zögernd klopfte ich an. "Hallo, Hermine."

Sie blickte von ihrem Buch, Gilderoy Lockhart, auf und lächelte mich vorsichtig an. "Hallo, Cat."

"Kann ich mich zu dir setzten?"

Hastig zog sie ihre Tasche auf Seite. "Natürlich."

Ich warf meinen Rucksack aufs Gepäckgitter neben ihren Koffer, und ließ mich etwas steif auf der Bank nieder. Betretenes Schweigen entstand. "Hast du Harry und Ron gesehen?"

Erleichtert, dass sie etwas gesagt hatte, antwortete ich: "Nein. Das letzte Mal war in den Ferien bei Flourish & Blotts.

"Du warst auch da?" Überrascht musterte Hermine mich.

"Ja. Ich wünschte, das nicht. Dieser Lockhart ist so was von - dämlich ...", erwiderte ich abfällig.

Hermine sprang auf. "Lockhart ist ein brillanter Zauberer", setzte sie sich für ihn ein. Ich lächelte nur herablassend, doch beschloss, das Thema Lockhart nicht weiter zu vertiefen.

Inzwischen war der Zug angefahren und wir fuhren durch die immer grüner werdende Heidelandschaft. Ich stand auf. "Ich denke, ich werde mal Noreen suchen gehen. Eigentlich wollten wir uns im Zug treffen. Wir sehen uns dann sicher in Hogwarts." Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte ich mir meine Tasche und verließ das Abteil. Wo Noreen wohl war? Auch die anderen Slytherins hatte ich bisher nicht entdecken können.

Ich quetschte mich durch die Gänge, die seltsamerweise recht überfüllt waren und kam schließlich an ein paar Slytherins vorbei. Dummerweise handelte es sich um Malfoy und seine Kumpels. Unauffällig versuchte ich, mich an ihnen vorbeizuquetschen, aber zu meinem über aus großen Glück, drehte sich Malfoy natürlich just in diesem Augenblick herum. "Snape! Was machst du denn hier?" 

"Nicht das es dich etwas anginge, aber ich suche Noreen. Wenn du mich also bitte durchlassen würdest?"

Zu meiner großen Überraschung trat Malfoy wie schon im Buchladen zur Seite. "An deiner Stelle, würde ich mal ins vorletzte Abteil schauen. Sie heult sich die Augen aus dem Kopf", raunte Malfoy mir noch zu.

Angesichts Malfoys höflichen Hinweises, runzelte ich kurz die Stirn, flüsterte jedoch ein leises 'Danke' zurück.

Hastig drückte ich mich bis zum Ende des Zugs, bis ich an das von Malfoy beschriebene Abteil kam. Von drinnen drang in der Tat leises Schluchzen. Bedacht schob ich die Abteiltür auf und entdeckte Noreen.

Unschlüssig räusperte ich mich. "Reen?" Als sie den Kopf hob, stolperte ich vor Schreck beinahe einen Schritt zurück, was bei ihr für eine weitere Tränenflut sorgte. Dann stürmte ich auf sie zu und setzte mich neben sie.

Ihr Gesicht sah furchtbar aus. Die gesamte linke Hälfte war grün und blau angeschwollen. Ihr Auge konnte sie angesichts der Schwellung fast nicht mehr öffnen. Sie sah aus, als wäre sie verprügelt worden. "Reen, was ist passiert?", fragte ich, während ich umsichtig einen Arm um sie legte.

Statt einer Antwort vergrub die Blondine ihr Gesicht an meiner Schulter und heulte sich die Seele aus dem Leib. Überfordert, nicht wissend, was ich machen könnte, um sie zu beruhigen, tätschelte ich ihr unbeholfen den Rücken und ließ sie weinen.

Nach einiger Zeit wurde aus ihrem Tränenfluss ein abgehacktes Schluchzen, bis sie sich schließlich vollends beruhigt hatte. "Danke."

"Wofür?" Gespielt bestürzt schaute ich auf mein T-Shirt, welches mir nass an der Schulter klebte. "Meinst du für das Waschen meines Shirts? Da hättest du dir keine Gedanken machen brauchen, das hätte ich auch selbst hinbekommen."

Meine Absicht war, sie von ihren tristen Gedanken abzulenken und tatsächlich entwich ihr ein zittriges Kichern. "Ich wollte dir die Mühe ersparen."

Eine Weile scherzten wir unbeschwert herum, bis Noreen sich die Tränen aus dem Gesicht wischen wollte, dabei jedoch scharf die Luft einsog. Besorgt betrachtete ich ihr Gesicht wieder. "Reen, was ist passiert?"

Erneut liefen ihr Tränen übers Gesicht und sie wich meinem Blick aus. Hastig sagte sie: "Nichts Besonderes. Ich bin die Treppe heruntergefallen und dabei mit dem Gesicht gegen das Geländer geknallt. Du kennst mich doch, ich bin total tollpatschig." Sie rang sich ein albernes Kichern ab und sah mir immer noch nicht in die Augen.

Todernst sah ich sie an. Mir war klar, dass sie log. Offenbar schien ihr das auch zu dämmern, denn sie seufzte und sagte unter der ständigen Bemühung ihre Tränen zu trocknen: "Sei mir nicht böse, aber ich möchte nicht darüber reden."

Knapp nickte ich. "Ich hoffe wir kommen bald in Hogwarts an, ich habe so einen Hunger!" Damit war unser Gespräch größtenteils erledigt. Hin und wieder versuchten wir zwar, auf ein neues Gesprächsthema zu kommen, es wollte uns allerdings nicht so recht gelingen.

In Hogsmead angekommen, fuhren wir nicht wie letztes Jahr über den See, sondern mit pferdelosen Kutschen, die Platz für vier bis fünf Personen boten. Unentwegt hielt ich Ausschau nach Harry und Ron, konnte sie aber auch hier nicht entdecken. Zu meiner großen Verwunderung, war auch mein Vater nicht in der großen Halle. Kurz nach der Auswahlzeromonie verschwanden auch die Professoren Dumbledore und McGonagall.

Die Ursache dafür klärte sich erst am nächsten Morgen beim Frühstück, als die Posteulen hereinschwebten. Auf meiner Schulter ließ sich eine braun weiß gefleckte Eule nieder und ließ einen Brief auf meinen Teller fallen. "Na du, wem gehörst du denn?", fragte ich sie, während ich ihr über ihr weiches Gefieder strich und den Brief öffnete.

Caitlyn,
die Eule gehört dir, sie ist ein etwas verspätetes Geburtstagsgeschenk. Freitagabend, 20 Uhr, in meinem Büro?
Dein Vater

Erfreut blickte ich zum Lehrertisch hoch und deutete ein Nicken an, als am Gryffindortisch ein ohrenbetäubender Lärm ausbrach.

'RONALD WEASLEY, WIE KONNTEST DU SO DUMM SEIN DEN WAGEN ZU STEHLEN - ES HÄTTE MICH NICHT GEWUNDERT, WENN SIE DICH RAUSGEWORFEN HÄTTEN, WART AB, BIS ICH DICH IN DIE FINGER KRIEGE, NATÜRLICH HAST DU NICHT DARAN GEDACHT, WAS DEIN VATER UND ICH DURCHMACHEN MUSSTEN, ALS WIR SAHEN, DASS ER WEG WAR", schallte die laute, herrische Stimme einer Hexe durch die Halle. "DER BRIEF VON DUMBLEDORE GESTERN ABEND, ICH DACHTE DEIN VATER WÜRDE VOR SCHAM STERBEN, NACH ALLEM, WAS WIR FÜR DICH GETAN HABEN, DU UND HARRY HÄTTET EUCH DEN HALS BRECHEN KÖNNEN. ES IST EINE UNGLAUBLICHE SCHANDE. DEIN VATER HAT EINE UNTERSUCHUNGSKOMMISSION AUF DEM HALS, UND WENN DU DIR NOCH EINMAL DEN KLEINSTEN FEHLTRITT ERLAUBST, HOLEN WIR DICH SOFORT NACH HAUSE."

Die Slytherins um mich herum brachen in schallendes Gelächter aus und obwohl ich versuchte, mich zusammenzureißen, gelang es mir nicht. Nach wenigen Sekunden prustete ich los und bekam mich nicht mehr ein.

Das war also des Rätsels Lösung. Deshalb hatten Harry und Ron nicht im Zug gesessen. Immer noch lachend, machte ich mich mit Noreen auf den Weg zur ersten Stunde, Verwandlung, wobei mir immer noch die Sorge um ihr Gesicht im Hinterkopf herumgeisterte, dessen Farbe über Nacht ins lila gelbliche abgewichen war.


Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now