4 | 6. Kapitel

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Gelangweilt kritzelte ich mit meiner Feder Muster aufs Pergament. Noch verdammte zwei Stunden, bis mein Vater mich in sein Büro bestellt hatte und das am ersten Schultag, wo wir bis auf einen Aufsatz von McGonagall nichts zu tun hatten. Jetzt saß ich hier in der Bibliothek, an einem der kleineren Tische im hinteren Bereich, und musste mich langweilen, beziehungsweise stumpfsinnig versuchen, Informationen aus diesem Text zu gewinnen:

"Die Kunst der Verwandlung hängt sehr stark mit der Zauberkunst zusammen und diese Zauber müssen mit ebenso großer Sorgfalt ausgeführt werden. Ein falsch ausgeführter Zauber kann hierbei verheerende Folgen haben. Der einzige Unterschied, zwischen diesen beiden Themengebieten, besteht darin, dass eine Verwandlung nicht die Eigenart eines Gegenstands oder Wesens verändert (beispielsweise aufzuführen wäre hier der Schwebezauber, der die Gravitationskräfte außer Kraft setzt), sondern seine Gestalt oder auch nur einen Teil davon. So können Gegenstände und Tiere unsichtbar gemacht werden oder Menschen von einem anderen Zauberer in einen Gegenstand oder ein Tier verwandelt werden. Eine höhere Kunst der Verwandlung ist es ..."

Entnervt fuhr ich mir mit beiden Händen durchs Haar. Was brachte es, uns einen Aufsatz über die genaue Definition von Verwandlungszaubern schreiben zu lassen? Dieser Stoff war Material für Erstklässler.

"Cat. Merlin sei Dank finde ich dich noch!" Schlitternd und vollkommen außer Atem, kam Noreen neben mir zum Stehen. "Du hast mein Buch eingepackt."

Wortlos griff ich nach meiner Tasche und zog die beiden enthalten Bücher hervor. Tatsächlich war eins davon ihres. "Wieso lässt du das auch einfach bei meinen Büchern liegen?"

Empört stemmte sie die Hände in die Hüften. Mir gefiel ihre neue Art. Ihr neues Selbstvertrauen passte viel besser zu ihr, als ihre seltsame Schüchternheit und Verschrecktheit. Eventuell würde ich sie später mal danach fragen. "Ich habe mein Buch nicht bei deinen liegen lassen. Jedenfalls nicht mit Absicht. Apropos Bücher – ich würde mich mit deinem Exemplar nicht freiwillig unter die Augen von Madam Pince begeben. Ist das Tinte?" Neugierig beugte sie sich nach vorne und inspizierte die aufgeschlagenen Seiten.

Sie hatte recht, wie ich mit leichtem Bedauern feststellte. Entweder müsste ich mich jetzt an etwas anderes setzen oder aber Gefahr laufen, von Madam Pince erwischt zu werden, dass ich seltsam verschlungene Muster in eines ihrer teuren Bücher gemalt hatte. Ich bezweifelte stark, dass sie mir mein Buch weiterhin überlassen würde. Am Ende würde sie noch einen Antrag bei Professor Dumbledore einreichen, mir meine Bücher wegen schlechter Haltung wegnehmen zu lassen. So ähnlich wie bei Tieren.

Ich schüttelte den Kopf und stand auf. "Dann werde ich jetzt wohl in den Gemeinschaftsraum gehen müssen. Musstest du nicht ursprünglich in den Unterricht, Reen?"

"Schon ..." Beiläufig half sie mir meine Sachen zusammen zu packen, bevor sie in munterem Ton fortfuhr: "Aber wieso sollte ich nicht einfach mal einen auf dich oder diese Granger machen und ein Fach schwänzen? Wahrsagen ist dermaßen unnötig und abgesehen davon wird Trelawney meine Abwesenheit nicht einmal bemerken."

Strafend sah ich sie an, während wir Seite an Seite hinunter in die Kerker liefen. "Ich habe Wahrsagen nie geschwänzt oder geschmissen. Ich habe dieses Fach einfach gar nicht erst gewählt."

"Zurecht. Wen interessiert es denn auch, wie die Monde zu seiner Geburt standen und welche großartigen Möglichkeiten daraus folgen?", fragte Noreen missmutig.

"Mich, Miss Smethwyck", ertönte eine monotone Stimme. Wir wirbelten herum. Hinter uns, beinahe im Schatten des Fackelscheins untergehend, stand mein Vater und funkelte uns an. "Wenn Sie jetzt die Freundlichkeit besäßen, entweder in den Unterricht oder aber in den Gemeinschaftsraum zu gehen?"

"Klar. Kein Problem. Sehen wir uns beim Abendessen, Cat?"

Ihr ungezwungener Ton überraschte mich und ich brauchte einige Sekunden, um mich wieder daran zu erinnern, was ich sagen wollte. Diese jedoch nutzte mein Vater und sagte in derselben monotonen Stimme, bei der man den Eindruck hatte, dass er die Zähne fest aufeinandergebissen hatte: "Meine Tochter wird in meinen Gemächern speisen. Sind somit alle Ihre Fragen geklärt?"

Kaum war sie um die nächste Ecke verschwunden, wandte ich mich erzürnt an meinen Vater: "Du bist wirklich einmalig unmöglich."

Er erlaubte sich ein kleines Lächeln. "Man sollte nicht meinen, dass du mich seit Beginn der Sommerferien nicht mehr gesehen hättest. Begleitest du mich bitte?"

"Wie kommt es, dass du schon mit dem Unterricht durch bist?", fragte ich neugierig, während ich neben ihm herlief.

"Die Weasley-Zwillinge hielten es offenbar für amüsant, den Kerker beinahe in die Luft zu sprengen und dabei einen riesigen Schaden anzurichten. Sie haben ihren Trank so versaut, wie es nicht einmal Potter fertigbringen würde."

Zwar entging mir der abfällige Ton nicht, in dem er über Harry sprach, dennoch hatte ich Mühe, mein Lachen mit einem Husten zu kaschieren. Die hochgezogenen Augenbrauen des Tränkemeisters, bewiesen mir jedoch zweifelsohne, dass mir dieser Versuch missglückt war. Wie bei einem übergelaufenen Kessel, den es eben wohl auch gegeben hatte, blubberte das Lachen nur so aus mir heraus und hallte von den Kerkerwänden wieder.

Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte und mich mit einem kleinlauten Blick bei meinem Vater entschuldigte, brach er die eintretende Stille: "Miss Smethwyck scheint es ja zumindest augenscheinlich besser zu gehen?"

Mir war klar, dass er auf die letzten zwei Jahre anspielte, in denen Noreen nach den Sommerferien immer mit einem grün und blauen Gesicht zurück zur Schule gekommen war. Ihre persönliche Erklärung dafür, war ein angeblicher Treppensturz gewesen, den ich ihr allerdings nicht abgenommen hatte und mich somit an meinen Vater gewandt hatte. Er hatte mir versprochen, die Sache im Auge zu behalten, war bisher allerdings noch nicht gezwungen gewesen, einzuschreiten.

"Sie ist auch viel munterer", pflichtete ich ihm bei. Wir hatten sein Büro erreicht und wie wir jetzt vor der Tür standen, das stetige Geräusch unserer Schritte auf dem Steinboden verklungen, war es beinahe unheimlich leise. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken, als ich daran dachte, was sich in den letzten paar Jahren hier im Schloss alles getummelt hatte. Ganz vorne der riesige und ebenso tödliche Basilisk.

Um die drückende Stille zu durchbrechen, fügte ich rasch hinzu: "Letztes Jahr hatte sie noch furchtbare Angst vor dir. Gesamt gesehen, hat sie glaube ich auch deutlich mehr Selbstvertrauen entwickelt."

"Das ist doch gut?" Fragend sah mein Vater mich an. "Tee?"

Ich verneinte und ließ mich auf dem unbequem aussehenden Stuhl vor seinem Schreibtisch sinken. "Ich habe nur Angst, dass sie zu übermütig werden könnte. Wenn der Weg fortgesetzt wird, den die Todesser bei der Weltmeisterschaft eingeschlagen haben, könnte ein neuer Krieg ausbrechen."

Mit einem Klirren stellte mein Vater seinen typisch englischen Tee vor sich auf den Tisch und sah mich an. Unter seinen Augen hatten sich tiefe Ringe gebildet und er wirkte um Jahre gealtert. "Du klingst viel älter, als du bist, Caitlyn. Und du hast auch schon den Punkt angesprochen, weshalb ich mit dir sprechen wollte."

Erschöpft, aber entschlossen strich er sich mit zwei Fingern über die geschlossenen Augenlider, dann blickte er mir fest in die Augen. "Sobald der dunkle Lord zurückgekehrt ist, werden dunkle Zeiten über uns hereinbrechen. Und du solltest gewappnet sein. Erstens möchte ich von dir, dass du wieder daran arbeitest, deine Gefühle zu verbergen. In den letzten Jahren hast du dieses Talent stark vernachlässigt und du weißt, Gefühle bedeuten ..."

"... Schwäche. Und wenn jemand diese Schwäche erkennt, kann er sie gegen dich einsetzten", fiel ich ihm unsanft ins Wort, was er mit einem missbilligenden Stirnrunzeln überging.

"Zweitens, werde ich dich Okklumentik lehren. Eine überaus nützliche Fähigkeit, sofern man sie richtig beherrscht. Der dunkle Lord persönlich ist ein Meister in dieser Kunst."

Okklumentik. Die Kunst des Gedankenlesens, die ich letztes Jahr bei Sirius Black hatte anwenden wollen, um dahinter zu kommen, was er mir verschwieg? Spannung strömte durch meine Adern und ich setzte mich ein wenig aufrechter hin und rutschte an die Stuhlkante. Ehe ich meiner Begeisterung jedoch Luft machen konnte - wobei ich vermutlich lieber so tun sollte, als wäre es mir gleichgültig - klopfte es an der Tür.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now