4 | 11. Kapitel

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"Vater, bitte." Erschöpft von den Anstrengungen der letzten zwei Stunden hob ich ablehnend die Hand und ließ den Zauberstab sinken. "Können wir nicht ein anderes Mal weitermachen? Die Delegationen aus Beauxbatons und Durmstrang sollen bald eintreffen. Abgesehen davon habe ich Kopfschmerzen."

Die Augenbrauen meines Vaters zogen sich gefährlich zusammen und seine schwarzen Augen blitzten unheilverkündend, doch er tat, worum ich ihn gebeten hatte und ließ den Zauberstab sinken. Umgehend entspannte ich mich ein wenig, was bei seinen nächsten Worten aber sofort ins Gegenteil umschlug. "Meinst du, jemand der ernsthaft an deine Gedanken – deine Erinnerungen – kommen möchte, wird darauf Rücksicht nehmen, dass du erschöpft bist?"

Resigniert schüttelte ich den Kopf und zwang meinen Körper, erneut Haltung anzunehmen, doch der Tränkemeister war noch nicht fertig. "Er wird dir dabei zusehen, wie du darum kämpfst, deine Verteidigung aufrechtzuerhalten. Vielleicht wird er dabei noch spöttisch auf dich herab lächeln und dir drei Sekunden Pause gewähren, nur um dir dann den Cruciatus auf den Hals zu hetzten und es danach wieder mit Legilimentik zu versuchen. Wenn du hinterher nicht sogar verzweifelt genug bist, ihm deine dunkelsten Geheimnisse selbst zu offenbaren. Und Caitlyn, hör mir genau zu, es gibt weitaus grausamere Flüche, als die Unverzeihlichen. Da kann der Tod manchmal eine Erlösung sein."

Während seines gesamten Vortrags war seine Stimme überaus beherrscht gewesen und mein Blick war zu der Wand hinter seinem Rücken gewandert. In meiner Vorstellung baute sich aus den Schatten ein schemenhafter Quirrel auf, der mit dem Rücken zu mir stand, den Turban abgelegt und mit kalter Stimme sprach: "Komm doch zu uns, Mädchen." Die roten, stierenden Augen blickten mir so intensiv entgegen, dass ich nicht anders konnte, als mich auf ihn zuzubewegen.

Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich nur noch einige Meter von Quirrel beziehungsweise dem dunklen Lord entfernt war und er erneut sprach: "Nun denn, magst du mir nicht deinen Namen verraten?"

An irgendetwas erinnerte mich diese Frage. Ehe ich allerdings die Ursache ergründen konnte, stand ich jäh wieder vor meinem Vater. Keuchend ging ich in die Knie, mein Zauberstab rutschte mir aus meinen verschwitzten Fingern und landete klappernd am Boden.

Wie dämlich war ich bitte? Innerlich beschimpfte ich mich mit meinem gesamten, verfügbaren Wortschatz, auch wenn in meinen Ohren nur mein eigener, hektisch gehender Atem hallte. Wieso war mir nicht aufgefallen, dass die Bilder keinesfalls den Schatten entsprungen, sondern tatsächlich so passiert waren? Damals, in der ersten Klasse im dritten Stock.

Da mein Vater immer noch nichts gesagt hatte und sich meine Atmung allmählich beruhigte, blickte ich auf. Er stand nach wie vor direkt vor mir und sah mit undurchdringlichen Blick zu mir hinunter. Da lag kein Mitleid, keine Enttäuschungen oder gar Wut in seinem Blick. Sein Gesicht war ausdruckslos und das machte mir mehr Angst, als der schlimmste Wutanfall. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich vorbereiten musste. Auch als er sprach, lag keine Gefühlsregung in seiner Stimme: "Du musst noch viel lernen."

"Folgt jetzt ein Vortrag à la Moody?", fragte ich und rappelte mich wieder auf. Mein Vater hatte mir nie etwas getan und ich war mir ziemlich sicher, dass das auch so bleiben würde. "Von wegen: immer wachsam?"

"Manchmal ist es besser, nicht immer zu sagen, was einem auf der Zunge liegt, Caitlyn." Mahnend sah mein Vater mich an und erinnerte mich dabei unweigerlich an den Schulleiter. Fehlte nur noch der lila Umhang und die Halbmondbrille. Mit Mühe verkniff ich mir ein Grinsen. "Aber ja, ich mag Moody nicht besonders -"

"Na was für ein Wunder", sagte ich gerade laut genug, damit er mich hören konnte. Eine klare Anspielung auf seinen Wunsch, Verteidigungslehrer zu werden.

"Hör auf, mich zu unterbrechen, Caitlyn!" Ich schluckte meine Frage, seit wann er mich nach dauernd mit Caitlyn ansprach, hinunter und erwiderte seinen Blick schweigend. Die langen Übungsstunden heute hatten mich erschöpft und somit unbedacht gemacht, selbst ich sah ein, dass das eine eindeutige Schwäche darstellte. "Aber ja, in mancherlei Hinsicht hat Professor Moody durchaus recht, auch wenn er unter einem ziemlichen Verfolgungswahn zu leiden scheint. Du musst immer wachsam sein. Du musst vorbereitet sein. Daran geht kein Weg vorbei."

"Aber ich habe es doch geschafft, ihn abzuwehren. Und ich hatte keine Ahnung, was er da tat." Kaum war mir der Satz entschlüpft, biss ich mir verärgert auf die Unterlippe und wartete auf die Standpauke, die unweigerlich folgen musste. Natürlich hatte ich ihm von jenem Zwischenfall im Verteidigungsunterricht erzählt. Er hatte nicht getobt. Doch die gefährliche Ruhe, die er auch vor wenigen Minuten an den Tag gelegt hatte, war auch in diesem Moment schlimmer gewesen.

Doch entgegen meiner Erwartung runzelte er lediglich die Stirn. "Dass ist um ehrlich zu sein etwas, was ich mich schon die ganze Zeit gefragt habe. Moody ist vielleicht nicht der beste Legilimentior, aber er ist immerhin ein Auror. Er wäre nicht so erfolgreich, wenn er von einer einfachen Schülerin abgewehrt werden könnte."

Nachdenklich fing er an, vor mir auf und abzugehen. "Abgesehen davon stellt sich die besagte Schülerin nicht gerade talentiert an."

Ich ignorierte den Seitenhieb in seinen Worten und setzte mich auf die Schreibtischkante. "Bei ihm fühlte es sich irgendwie falsch an. Ich weiß nicht, als ob er ein Feind ist und ich ihn um jeden Preis daran hindern müsste, in meine Gedanken einzudringen."

Schneller als ich blinzeln konnte, wirbelte der Tränkemeister zu mir herum. Sein schwarzer Umhang flatterte um ihn herum. Mir war sofort klar, dass wir jetzt erneut beim Ausgangsthema waren. Meiner Unfähigkeit, meine Gedanken zu leeren und ihn aus meinem Kopf fernzuhalten. "Und wieso bei Merlin schaffst du das bei mir nicht?" Zum ersten Mal an diesem Abend hatte er die Stimme erhoben.

"Du bist kein Feind", stellte ich kleinlaut fest.

"Woher willst du das wissen?", fauchte er und brachte mich damit zum Zusammenzucken. "Verdammt, Caitlyn. Das ist doch genau der Punkt. Du weißt nicht, welche Absichten jemand wirklich verfolgt. Du hast den letzten Krieg nicht erlebt. Freunde wurden zu Feinden, Feinde wurden – ich will nicht sagen zu Freunden – aber zu Verbündeten. Woher willst du wissen, dass der Mann, der dich gerade freundlich anlächelt, nicht nur auf einen Fehler deinerseits wartet, darauf, dass du ihm deinen wunden Punkt offenbarst? Tatsächlich gibt es sogar Zauberer, die so geschickt darin sind, deine inneren Blockaden zu umgehen, dass du nicht einmal merkst, wenn sie in deinen Geist eindringen. Der dunkle Lord ist sicherlich einer derjenigen."

"Was ist, wenn ich nichts vor dir zu verbergen habe?", warf ich ihm an den Kopf und richtete mich nun meinerseits auf. Mir war sehr wohl bewusst, dass es einiges gab, was der Vater nicht von seiner Tochter wissen musste, doch momentan war ich zu stur, das zuzugeben.

Resigniert seufzte mein Vater auf. Als habe er meine Gedanken gelesen - vielleicht hatte er das ja sogar - sagte er: "Auch du hast Geheimnisse vor mir. Oder willst du mir sagen, dass es dir lieb wäre, wenn ich jedes Detail deiner Stunden mit dem jungen Mr. Malfoy kennen würde?"

Ich spürte mein Gesicht warm werden und wandte mich ab. Mit beiden Händen fuhr ich mir durchs Haar und schob mir einige der Strähnen hinters Ohr. Um abzulenken, fragte ich: "Können wir es für heute Abend einfach gut sein lassen? Es hat wirklich keinen Sinn. Wir haben schon beinahe Viertel vor sieben. Die Ankunft der Delegationen haben wir mit Sicherheit verpasst, aber ich würde gerne zumindest noch etwas vom Festessen haben." Wenn wir das nicht ebenfalls schon verpasst haben, fügte ich im Stillen hinzu.

Zu meiner großen Freude willigte mein Vater ein und ehe er es sich anders überlegen konnte, schlüpfte ich aus seinem Büro.

Unknown Potter I - Secrets of the PastTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang