1 | 5. Kapitel

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Ein Pfiff ertönte auf dem Bahnsteig. Die letzten Schüler sprangen in den Zug, Türen wurden geschlossen, der Zug ruckte und fuhr an.

Viele Schüler winkten und manche Eltern liefen neben dem Zug her, bis er zu schnell wurde und sie stehen bleiben mussten. Schließlich fuhr der Zug um eine Kurve und ich verlor den Bahnsteig aus dem Blick. Entspannt lehnte ich mich wieder in meinen Sitz.

Plötzlich glitt die Abteiltür auf. Noch ein rothaariger Junge trat ein. Auf mich wirkte er, als könne er der kleinere Bruder der Zwillinge sein. "Kann ich mich zu euch setzten? Der ganze Zug ist nämlich voll", fragte er ein klein wenig verlegen. Ich lächelte und Harry nickte nur kurz. Der Junge schob die Abteiltür hinter sich zu, setzte sich neben Harry und blickte schweigend aus dem Fenster.

"He, Ron." Da waren die Zwillinge wieder. "Hör mal wir gehen in die Mitte. Lee Jordan hat eine riesige Tarantel."

"Macht nur", murmelte Ron.

"Harry", sagte der andere Zwilling. Der erste Zwilling hatte mich gerade erst zur Kenntnis genommen, rammte seinem Zwilling den Ellenbogen in die Seite und warf ein: "Und wer bist du eigentlich?"

Bevor ich antworten konnte, sprach der erste Zwilling weiter: "Jedenfalls haben wir uns eigentlich schon vorgestellt? Fred und George Weasley. Und das ist Ron, unser Bruder."

Der andere Zwilling, wohl Fred, rammte seinem Zwilling erneut den Ellenbogen in die Seite und gestikulierte sehr auffällig in meine Richtung. George sah mich an, nahm meine Hand und gab mir auf ebendiese einen sehr eleganten Handkuss. "Nun denn, werte Dame", sagte er mit übertrieben hochtrabender Stimme. "Verzeiht mir mein schlechtes Benehmen. Darf ich euren Namen erfahren?"

Ich zog George lachend meine Hand weg. "Ich bin Caitlyn."

"Überaus erfreut dich kennen zu lernen. Bis später dann." Und wie zwei Wirbelwinde waren sie aus dem Abteil verschwunden.

Kaum war die Tür hinter ihnen zu, sprudelte es aus Ron heraus: "Bist du wirklich Harry Potter?"
Ehrlich gesagt war mir nicht ganz klar, was sie immer mit diesem Namen hatten. Doch Harry nickte nur.

"Ah, gut, ich dachte, es wäre vielleicht wieder nur ein Scherz von Fred und George", sagte Ron. "Und, hast du wirklich ... du weißt schon ..." Er deutete auf Harrys Stirn.

Harry strich sich die Haare aus dem Gesicht und entblößte eine schmale Narbe, die an einen gezackten Blitz erinnerte. Wo er die wohl her hatte? Ron schien es zu wissen, denn seine Augen wurden ganz groß. "Also hier hat Du-weißt-schon-wer ...?"

Moment. Ich richtete mich rasch auf. Jetzt wollte ich genaueres wissen. Ob unhöflich oder nicht. "Harry, verzeih mir die Frage, aber warum kennt jeder deinen Namen?"

Als wäre den beiden Jungs gerade eingefallen, dass ich auch noch da war, wandten sie sich mir zu. Ron blickte mich ungläubig an. "Bist du nicht unter Zauberern groß geworden?" Verwirrt sah ich ihn an. "Na ja -" Ron verzog das Gesicht. "Jeder bei uns in der Zaubererwelt kennt seinen Namen -"

"Ja Ron", unterbrach ich ihn ruppig. "Aber ich kenne den Namen nicht und ich bin unter Zauberern groß geworden. Dann bin ich wohl die seltene, aber vorhandene Ausnahme!"

Jetzt war Ron an der Reihe, verwirrt aus der Wäsche zu schauen. "Aber du weißt doch, wer du-weißt-schon-wer ist, oder?" Ich schluckte gegen die aufsteigenden Tränen an und nickte, bemüht, mir nichts anmerken zu lassen.

Harry sprang ein. "Ich habe auch erst vor ein paar Tagen erfahren, wieso scheinbar jeder meinen Namen kennt. Vor fast elf Jahren, ist Voldemort verschwunden." Bei dem Namen Voldemort zuckte Ron zusammen. "Und ich -" Harry biss sich auf die Unterlippe. "- war der Grund dafür. Er hat meine Eltern getötet", sprach er mit Wut in der Stimme weiter. "Doch mich konnte er nicht töten."

Ich empfand tiefes Mitgefühl für den schwarzhaarigen Jungen mir gegenüber. Er war jedoch noch nicht fertig. "Mein ganzes Leben lang, haben meine Tante und mein Onkel mir erzählt, dass meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen. Und von Hagrid habe ich jetzt die ganze Geschichte erfahren. Das mit meinen Eltern." Er schluckte. "Und meiner Schwester." 

Ron platzte dazwischen: "Du hattest eine Schwester? Da weiß ich gar nichts von."

Ich sah ihn böse an. "Du bist sowas von gefühllos Ron!" Ich sah wieder Harry an. Er wirkte verloren und irgendwie hatte ich das Bedürfnis, ihn zu trösten. Aber ich wusste, dass es für so etwas keinen Trost gab.

Ein betretenes Schweigen entstand. Welches Harry mit der Frage, 'Wie ist es bei euch in der Familie, sind bei euch alle Zauberer?', unterbrach.

Genau das, worüber ich nicht sprechen wollte. Glücklicherweise war Ron nur allzu begierig darauf, sich mit uns auszutauschen: "Ähm, ja, ich denke schon. Wir sind zu Hause zu siebt. Dad arbeitet im Ministerium. Meine Brüder und ich gehen alle nach Hogwarts. Nur Ginny ist noch zu jung. Sie ist mit Mum zu Hause. Ich habe noch zwei ältere Brüder. Bill arbeitet in Afrika und erledigt etwas für Gringotts. Hast du das von Gringotts gehört? Es kam ganz groß im Tagespropheten, aber den kriegst du wohl nicht bei den Muggeln: Jemand hat versucht ein Hochsicherheitsverlies auszurauben."

Ja, davon hatte ich auch gehört, mein Vater war ziemlich beunruhigt gewesen. Und die ganze Zauberergemeinschaft mit ihm. Die Sache mit dem dessen Name nicht genannt werden darf, lag einfach noch nicht lange genug zurück.

Doch Ron plapperte schon weiter: "Und Charlie ist in Rumänien und erforscht Drachen. Allerdings kann es sein, dass Mum noch einen zweiten Vetter hat. Er ist glaube ich Buchhalter. Allerdings reden wir nie über ihn."

Ich schaltete ab. Entspannt lehnte ich mich erneut in meinen Sitz und schaute aus dem Fenster. Langsam lies der Zug London hinter sich und die Häuser wurden abgelöst von Wiesen und Feldern. Schließlich verstummten auch Harry und Ron und taten es mir gleich.

Um halb zwölf drang vom Gang ein lautes Geklirre und Geklapper herein, und eine Frau mit Grübchen in den Wangen schob die Tür auf und sagte lächelnd: "Eine Kleinigkeit vom Wagen gefällig, ihr Süßen?"

Ich schüttelte den Kopf, doch Harry sprang auf und trat hinaus auf den Gang.  Als er zurückkam, hatte er die Arme voll mit Süßigkeiten. Mir schien, als habe er von allem etwas genommen. Ron neben mir bekam ganz große Augen.

"Ihr auch etwas?", fragte Harry uns. Ich schüttelte erneut den Kopf, doch Ron fing an, sich mit Harry zusammen auf das Essen zu stürzen. Es war ein lustiges Bild, sie dabei zu beobachten, wie sie sich durch die Pasteten und Kuchen futterten.

Ich drehte mich wieder dem Fenster zu und beobachtete die Landschaft, die an uns vorbeiraste. Hinter mir fingen Harry und Ron an, über Schokofroschkarten und Bertie Botts Bohnen aller Geschmacksrichtungen zu fachsimpeln. Während die Landschaft, durch die wir fuhren immer wilder wurde, nickte ich langsam ein.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now