3 | 2. Kapitel

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Vor Schreck fiel mir sowohl der Karton als auch das Bild aus der Hand. Innerlich fluchend richtete ich mich auf. "Vater, ich -"

"Raus!"

"Aber -" Ein Blick auf den vor Wut zitternden Zauberer sorgte dafür, dass ich verstummte. Er schien sich nur mit Mühe zurückzuhalten und die Hand, die seinen Zauberstab hielt, war weiß, so fest hatte er ihn umklammert.

"Raus hier!", wiederholte er. "Ich will mich nicht wiederholen müssen."

Schnell senkte ich den Kopf und trat den Rückzug an. Ihm zu diesem Zeitpunkt irgendetwas zu erklären, wäre Zeitverschwendung. Aber wieso hatte er so heftig reagiert? Für einen kurzen Augenblick hatte ich tatsächlich befürchtet, er könne mir einen Fluch auf den Hals hetzen. So musste sich wohl Harry manchmal fühlen, dachte ich bitter.

Hinter mir fiel die Bürotür mit einem lauten Knall ins Schloss. Ich drehte mich nicht um, stattdessen beeilte ich mich in mein Zimmer zu kommen. Die Frage, ob ich mit Harry in die Winkelgasse gehen konnte, erübrigte sich wohl. Seufzend schloss ich die Tür hinter mir und rutschte an eben dieser zu Boden. Gerne hätte ich geweint, doch die Tränen wollten einfach nicht kommen. Zu lange hatte ich geübt, zu lange hatte ich keine einzige Träne vergossen. Wer war die Frau mit den zwei Babys? Meine Mutter konnte sie nicht sein. Aber wieso sollte mein Vater ein Bild von einer fremden Frau aufbewahren?

Ich tastete nach dem Medaillon um meinen Hals und zog es unter meinem T-Shirt hervor. Es sah noch genauso aus wie vor zwei Jahren. Das gleiche angelaufene Silber, die gleichen Bilder im Innern. Auch das Bild meiner Mutter war da. Wie sie wohl vom Charakter gewesen war? Tief in Gedanken versunken, schlief ich schließlich mit der Kette in der Hand gegen die Türe gelehnt ein.

***

Gemächlich schlenderte ich eine Woche später den überfüllten Bahnsteig entlang und beobachtete die zahlreichen Hexen und Zauberer, die sich von ihren Kindern verabschiedeten. Mein Vater hatte seit diesem verhängnisvollen Nachmittag kein Wort mehr mit mir gewechselt. Oder vielmehr ging er mir aus dem Weg. Er kam erst spät abends nach Hause und war morgens schon weg, bevor ich erwachte. Ich war schon überrascht gewesen, dass er mich heute zum Bahnhof gebracht hatte. Aber selbst dabei hatte er nicht mit mir gesprochen. Seufzend verdrängte ich sämtliche Gedanken an ihn und das seltsame Bild aus meinen Gedanken und kletterte stattdessen in den Zug.

Ob ich Noreen wohl dieses Jahr finden würde? Letztes Jahr hatte ich sie schließlich ewig suchen müssen. Ich hoffte nur, dass ich nicht wieder so eine unangenehme Überraschung erleben würde. Für diesen Sommer hatte ich davon echt genug gehabt.

Ein schriller Pfiff ertönte auf dem Bahnsteig und die Türen knallten der Reihe nach zu. Ruppig drängte ich mich an einer Gruppe Rotschöpfen vorbei, die sich alle winkend aus dem Fenster lehnten, als jemand meinen Namen rief.

Überrascht drehte ich mich um. Kein Wunder, dass mir die Gruppe irgendwie bekannt vorgekommen war. Es waren die Weasleys. Und in ihrer Mitte stand Harry. Er war es auch gewesen, der mich angesprochen hatte. "Caitlyn", wiederholte er. "Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Und Hermine und Ron auch - stimmt doch Ron?"

Gespannt sah ich den sommersprossigen Jungen an. Harry hatte etwas in die Richtung angedeutet.

"Na ja -", fing Ron widerwillig an.

"Ronald?" Unter Hermines mahnendem Blick schrumpfte Ron in sich zusammen. "Wir haben uns zwar nie so wirklich gut verstanden - und vielleicht waren manche meiner Anschuldigungen etwas unter der Gürtellinie ..." Ich zog die linke Augenbraue hoch. Etwas unter der Gürtellinie war noch untertrieben. Nur ungern dachte ich an manch eine der Beleidigungen zurück, die er mir im letzten Jahr an den Kopf geworfen hatte. "Jedenfalls bist du möglicherweise nicht so wie die meisten anderen Schlangen."

Abwartend sah ich ihn an. Aber offenbar war das alles, was ich erwarten konnte. Ron unterdessen trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Das Schweigen dauerte an und ich hatte nicht vor, ihn allzu bald aus dieser Situation zu erlösen. Stattdessen starrte ich ihm weiterhin mit ausdrucksloser Miene ins Gesicht. Wenn er erwartet hatte, seinen Hals mit diesen Worten aus der Schlinge zu ziehen, hatte er sich geirrt. Dafür war ich viel zu genervt von der vergangenen Woche. Wieder wanderte das Bild der Frau vor meinem inneren Auge entlang. Wer bei Merlins pinker Unterhose war sie? Vom Aussehen konnte es nur meine Mutter sein, das konnte ich drehen und wenden wie ich wollte. Abermals schob ich den Gedanken beiseite. Im Moment hatte ich andere Probleme.

Schließlich brach einer der Zwillinge die Stille: "Wie wäre es, wenn wir uns jetzt alle ein Abteil suchen? Ich hatte nicht vor, die ganze Zugfahrt im Gang zu stehen. Du, Georgie?"

Der andere Zwilling - George - nickte bestätigend. "Ich auch nicht, Freddie. Wir sehen uns Leute!" Und wie schon beim ersten Mal, als ich ihnen begegnet war, verschwanden sie wie zwei Wirbelwinde.

Auch die anderen Weasleys verschwanden nach und nach. Zurück blieben nur die drei Gryffindors und ich. "Also - sollen wir uns auch ein Abteil suchen? Kommst du mit, Caitlyn?", fragte Hermine vorsichtig.

Mit eisigem Blick schüttelte ich den Kopf. "Ihr könnt alleine gehen. Ich wollte mich mit einer Freundin treffen."

Schon wollte ich mich auf dem Absatz umdrehen, als Harry mich aufhielt: "Warte bitte noch kurz, Cat. Hermine, Ron, geht schon einmal vor. Bitte."

"Was ist, Harry? Hast du erwartet, ich würde ihm einfach so verzeihen?", fauchte ich ihn an.

"Nein. Habe ich nicht. Darum geht es auch gar nicht."

"Worum dann?"

"Nicht hier. Komm mit", sagte er und zog mich am Ärmel hinter sich her.

Unwirsch machte ich mich los. "Danke, ich bin sehr wohl in der Lage, alleine zu gehen."

Harry ignorierte meine Aussage und schob mich in ein leeres Abteil. Ohne Umschweife begann er: "Hast du mitbekommen das Sirius Black im Sommer geflüchtet ist?" Emotionslos sah ich ihn an und nickte nur leicht. Er fuhr sich unterdessen nervös durchs Haar. "Ich weiß selbst nicht, wieso ich dir das jetzt sage, aber ich glaube, du kannst so etwas am Ehesten für dich behalten." Erneut ließ er keine Antwort zu, sondern sprach weiter: "Black - er ist hinter mir her."

Ich behielt meine emotionslose Miene nur mit Mühe bei. Es bestand kein Zweifel daran, wie er das meinte. Black wollte ihn töten. Aber wieso? "Woher willst du das wissen?", wollte ich leise wissen.

"Mr. Weasley hat es mir gesagt. Er arbeitet im Ministerium. Und er hält es für möglich, dass Black versucht, in Hogwarts einzudringen." Wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und sorgte somit dafür, dass es noch verwuschelter war, als ohnehin schon.

"Mach dir keine Gedanken, Harry. Solange Dumbledore da ist ...", versuchte ich ihn zu überzeugen. Tatsächlich war ich mir zumindest in diesem Punkt sicher. Niemand würde unbemerkt in Hogwarts eindringen können.

Harrys Schultern entspannten sich ein wenig und er lächelte leicht. "Danke. Ich meine, dafür dass du mir zugehört hast und alles. Ich glaube, ich gehe dann mal zu Ron und Hermine." Kurz lächelte er mich noch einmal an, dann schob er die Abteiltür hinter sich zu.

Was sollte ich davon halten? Wieso hatte er sich ausgerechnet mir anvertraut? Nichts als Fragen auf die ich keine Antworten wusste. Und wie ich es im Moment mit allem machte, stopfte ich diese Fragen in Gedanken in eine Schublade, schloss ab und warf den Schlüssel weg. Bei Gelegenheit würde ich darauf zurückkommen. Aber jetzt würde ich erstmal die anderen Slytherins, und vor allem Noreen, suchen gehen.

Draußen auf dem Gang spähte ich nacheinander in die Abteile. Allerdings entdeckte ich kein bekanntes Gesicht. Immer weiter wanderte ich den Gang entlang und zog mir irgendwann meine Jacke eng um die Schultern. Es war furchtbar kalt.

Schließlich kam mir Draco entgegengerannt und zog mich ins nächste Abteil. Das Abteil der Weasley Zwillinge. Doch Draco beachtete sie nicht. "Spürst du das auch?", fragte er mit vor Schreck geweiteten Augen.

"Was soll ich spüren?" An Stelle einer Antwort weiteten sich die Augen des blonden Slytherin, insofern das möglich war, noch weiter. Ein Ausdruck der Angst huschte ihm übers Gesicht, während er das Fenster hinter mir fixierte. Ich wirbelte herum. Eiskristalle krochen langsam die Scheibe hinauf und eine undurchdringliche Dunkelheit senkte sich über uns. Jede Faser meines Körpers wurde gelähmt vor Angst. Wir hatten ein Problem.

Unknown Potter I - Secrets of the PastWhere stories live. Discover now