Kapitel 3: Schlossallee

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Hanni war in der Abenddämmerung in Berlin aufgebrochen, hatte die glitzernden Lichter der Stadt hinter sich gelassen. Nun herrschte schwarze Nacht um sie herum. Die Sonne war untergegangen und hatte alles Licht mit sich genommen. Nur die vereinzelten Lichter der Städte und Dörfer unter ihnen lenkten von der Dunkelheit ab, fingen ihren starren Blick aus dem Fenster ein. Der schwarz gekleidete Mann neben ihr sprach nicht und so tat sie es auch nicht. Sie lauschte dem einsamen Surren der Personendrohne und hing ihren Gedanken nach.

Hanni Romanow hatte an diesem Nachmittag ihr altes Leben in zwei Koffer gepackt. Die meisten ihrer Habseligkeiten hatte sie in den unangetasteten, zerbeulten Umzugskartons von Tante Peggy zurückgelassen. Sie hatte einen letzten Blick durch das kleine Zimmer schweifen lassen, in dem sie im letzten halben Jahr viel zu viel Zeit verschwendet hatte. Hatte auf dem Bett gelegen und auf ihrem Smartpad dahingezeichnet. Dann war sie die Treppe hinuntergegangen und hatte das Haus verlassen. Sie war in eine Limousine gestiegen, zum Schloss Bellevue gebracht und dort in eine Personendrohne gesetzt worden. Und wenn sie aus der Drohne aussteigen würde, dann war sie nicht mehr Hanni Romanow, sondern Regine Felizitas Johanna Peggy Prinzessin von Hohenzollern.

Vor langer Zeit hatte sie diesen Namen abgelegt. All die Jahre hatte sie so hart daran gearbeitet, diesen Namen vollends zu verdrängen. Und nun holte er sie doch wieder ein. Ihre arme Mutter und Tante Peggy würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie das wüssten. Aber es half alles nichts, die Zeiten hatten sich geändert. Ihr blieb keine andere Wahl, als sich ihrer Verantwortung zu stellen. Wenn sie es nicht tat, dann tat es jemand anders. Und das würde böse ausgehen.

So saß sie nun in einer Drohne auf dem direkten Weg in die Zukunft. An einen unbekannten Ort, an dem sie eine Ausbildung zur Monarchin erhalten würde. In der kurzen Zeit, die ihnen noch blieb. Noch immer musste sie mit dem Kopf schütteln, wenn sie daran dachte, was ihr bevorstand. War sie eigentlich verrückt geworden, in die Pläne des Kanzlers einzuwilligen? War sie komplett von Sinnen? Dann aber erinnerte sie sich an ihr altes Leben: an die Tristesse, die Hilflosigkeit, die deprimierte Perspektivlosigkeit. Daran, dass sie Teil einer gestrandeten Generation gewesen war. Und nun gab es diese eine Möglichkeit, etwas zu verändern. Etwas besser zu machen. Etwas zu bewegen. Also war sie möglicherweise doch nicht verrückt, sondern nur größenwahnsinnig?

„Machen Sie sich zur Landung bereit, Prinzessin", riss der schwarz gekleidete Namenlose sie aus ihren Gedanken. „Wir haben unser Ziel erreicht." Neugierig starrte Hanni aus dem Fenster, suchte nach Ausläufern einer Stadt, doch sie fand nichts. Die Drohne hatte aufgehört nach vorne zu fliegen und befand sich bereits im Sinkflug. Da entdeckte sie unter sich einige beleuchtete Fenster in einem einsam stehenden Haus. Das Land darum lag in schwarzer Dunkelheit verborgen.

Es dauerte eine weitere Minute, bis die Kufen der Drohne auf dem Boden aufsetzte. Ihr namenloser Begleiter stieg aus der Tür, lief um die Drohne und half ihr heraus. Dann griff er an seinen Smartcontroller am Handgelenk und setzte einen Anruf ab.

„Pik Dame gelandet", war alles, was er sagte. Dann holte er eine Lampe aus seiner Manteltasche und schaltete sie ein. Alles, was Hanni in ihrem Licht erkennen konnte, waren alte, graubraune Pflastersteine. „Lassen Sie uns gehen, Prinzessin", sagte er und lief voran. Im Lichtkegel der Taschenlampe konnte Hanni erkennen, dass sie eine altmodische Brücke betraten, die links und rechts von einer halbhohen Mauer im selben, graubraunen Stein begrenzt war.

„Wo sind wir?", fragte sie den Namenlosen.

„Sie werden gleich alles weitere erfahren, Prinzessin", antwortete er und kam schließlich zum Stehen. Der Kegel seiner Taschenlampe erhob sich vom Kopfsteinpflaster zu einem alten, runden Torbogen und einem verwitterten Tor. „Wir warten hier."

Gespannt starrte Hanni auf das Tor, während die Minuten vergingen. Dann knarrte es, die schweren Türen wurden geöffnet. Schließlich erhellte das weiße Licht der Taschenlampe einen älteren Herrn in einem grauen Anzug, der unscheinbar zwischen den mächtigen Flügen des Tores stand.

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