Kapitel 23: Royal Flush

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Während ihre Tage seit Monaten in aneinandergereihten Details zu einer grauen Masse verschwammen, schienen Hannis Nächte immer mehr an Bedeutung zu gewinnen. Denn obwohl ihre Macht als neue Kaiserin immer konkretere Formen annahm, Stück für Stück in elendig langen Verhandlungstagen die gesetzliche Basis dafür geschaffen wurde, so fühlten sich die Nächte nach dem wirklich interessanten Setting an.

Denn die größte Frage, die Hanni beschäftigte, war, wer hinter den Morden der Thronfolger steckte und es auch auf sie abgesehen hatte. Bei diesem brisanten Thema vertraute sie niemandem. Niemandem, außer Tomek, den sie allen Widrigkeiten zum Trotz wiedergefunden hatte. Und sie hatte seine Hilfe wirklich bitter nötig. Denn jeder in ihrem Umfeld konnte dahinterstecken oder Mitwisser sein.

Selbst, wenn sie es wagte und etwas zu lange in Alberts klare Augen hinter der Hornbrille blickte, so erinnerte sie sich immer wieder daran, wie peinlich ihre letzte Konfrontation für sie geendet hatte. Oder wie harsch ihr erstes Zusammentreffen gewesen war. Wie viele Fehltritte er sich erlaubt hatte. Er mochte es unter ihre Haut geschafft haben, ja, sie mochte manchmal aus Versehen an ihn denken, aber dennoch vertraute sie ihm nicht.

Ähnliches galt für Konstantin. In den letzten Tagen hatte er es zur Routine gemacht, die Bürotür mit einem verschmitzten Lächeln hinter sich abzuschließen, wenn er den Raum für ein Meeting betrat. Er berührte sie, küsste sie und flüsterte ihr Dinge ins Ohr, die er gerne mit ihr anstellen wollte. Aber dennoch blieb Hanni wachsam. Auch bei ihm konnte sie sich nicht völlig gehenlassen. Wenn sie mit ihm nicht gerade Vodka trank und zu hypnotischen Beats eines Underground-DJs tanzte, dann fragte sich ein winzig kleiner Teil ihres Gehirns immer, ob er nicht doch mehr wusste, als sie ihm zugestand.

Und dann waren da noch all die anderen optionalen Feinde: Mitarbeitende mit Verbindungen zu den Extremistengruppen, die die Regierung stürzen wollten. Die unergründlich große Sekte der von Hohenzollern, die nach ihrer Macht trachteten. Nicht zu vergessen: Horst von Preußenstein, der Antichrist der Royalisten-Szene. Und und und... es war eine unüberblickbare Masse an möglichen Feinden. Manche ganz nah, manche ganz weit fort. Das machte Hanni von Tag zu Tag mehr zu schaffen.

Die Menschen, die sie täglich umgaben, ließen sie zweifeln. Wirklich fallen lassen konnte sie sich nur in ihrer eigenen Gegenwart. Sonst hinterfragte sie jedes Gespräch, jede Geste. Bemerkte selbst, dass sie langsam paranoid wurde. Sie begann die hohen Mauern von Bellevue zu schätzen, die Metallbolzen in ihrer Schlafzimmertür und den geheimen Panikraum im Keller. Und da wusste sie, dass es so nicht weitergehen konnte. Denn das würde kein gutes Ende nehmen.

Nein, es war wichtig, Tomek zu treffen und mit ihm die Ermittlungen endlich aufzunehmen. Nur er konnte dafür sorgen, dass sie die Identitäten der Thronfolger-Mörder kannte und somit den verdammten Teufelskreis an Misstrauen verließ. 

So konnte Hanni Mitternacht am folgenden Donnerstag kaum erwarten. Sie zog sich ihre mittlerweile gewohnten, schwarzen Kleider an, klebte die Gelpads an Ort und Stelle und zog die Kapuze tief ins Gesicht. Mit dem Chip von Konstantin machte sie sich auf den Weg in die Nacht, rannte den gesamten Weg bis zur Mitte der Wotan-Wimmer-Gasse. Mit wild schlagendem Herzen und stockendem Atem hielt sie nach Tomek Ausschau.

Wie früher war Tomek bereits am vereinbarten Ort, als Hanni eintraf. In einen schwarzen Hoodie gehüllt saß er auf der Treppe eines verfallen aussehenden Hauseingangs und starrte auf den winzigen Bildschirm seines Smartcontrollers am Handgelenk. Sie wusste, dass er die Uhr anstarrte. Als sie vor ihn trat und er sich erhob, sagte er aus guter, alter Tradition:

„Du bist 3 Minuten zu spät." Sie lächelte, trat einen Schritt nach vorne und umarmte ihn herzlich. Er roch noch immer nach Tomek: etwas minzig, etwas zitronig und etwa verschwitzt.

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now