Kapitel 29: Trumpf

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Das Auto parkte wie vorab programmiert in der Tiefgarage eines modernen Apartment-Komplexes unweit des Alexanderplatzes. Hanni war noch nie hier gewesen, wusste absolut nicht, was sie erwartet. Sie war nervös, hatte unter den wachsamen Augen der beiden Sicherheitsfrauen, die sie begleiteten, ihre Hände kontinuierlich gewrungen und war sich in die Haare gefahren. Es war kein einfacher Gang, den sie nun vorhatte. Auch wenn sie sich sicher war, dass es der einzig richtige Gang war.

Die Tiefgarage war mit der modernsten Technik ausgestattet. Vor der Einfahrt waren sie durch eine Sicherheitsschleuse gefahren, zwei Roboter hatten sie umrandet und ein Kameraarm war sogar unter den Wagen gelangt und kontrollierte alles auf gefährliche oder illegale Gegenstände. Dann erst waren die Schranken hochgegangen und sie hatten passieren dürfen. Der Wagen war in der leeren Tiefgarage direkt vor den Aufzug zum Stehen gekommen und lud sie dazu ein, auszusteigen. Verborgen, zumindest vor menschlichen Augen, trat Hanni mit ihren beiden Sicherheitsfrauen im Schlepptau in den Aufzug. Die Türen schlossen sich, während sich der Wagen auf die eigenständige Suche nach einem Parkplatz begab. Eine der Sicherheitsfrauen drückte mit ihrer behandschuhten Hand den Knopf für die höchste Etage und gab in einem Touchpad daneben den Etagencode ein. Dabei fiel Hanni wieder einmal auf, wie hilflos und wie abgeschnitten sie sich in ihrer aktuellen Lage durch die Welt bewegte: Nie hätte sie den Weg alleine gefunden, hätte sie nicht in einer Kurzschlussreaktion die Hauszentrale überrumpelt und nach einem Wagen und Security verlangt. Wenn es der Kanzler also darauf anlegte, sie zu isolieren und von der Öffentlichkeit abzuschneiden, dann war ihm das ein leichtes Spiel. Dann war sie ein hilfloses, kleines Mädchen, das nur darauf wartete, in die windige Zurückgezogenheit von Burg Eltz heimzukehren. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme erneut, als sie daran dachte, wie real all die schrecklichen Worte aus dem Dossier doch waren.

Schnell setzte sich der Aufzug in Bewegung und die beiden Frauen zu ihrer Linken und zu ihrer Rechten schwiegen. Für einige Sekunden dominierte das Surren des Aufzuges und ihr viel zu wilder Herzschlag ihre Ohren. Dann bremste der Aufzug ab und die Türen öffneten sich. Sie trat in einen kleinen Flur und lief einige Meter, direkt auf eine sterile, anthrazitfarbene Wohnungstür zu.

Kein Indiz deutete darauf hin, wer hinter dieser Tür wohnte. Wer die Fäden im Hintergrund zog. Alles wirkte anonym und verschlossen. Ganz anders hatte sie sich sein Zuhause vorgestellt. Vielleicht ein repräsentatives Häuschen, mit hohen Decken, Stuck, gefüllt mit Antiquitäten. Oder ein kleines Schlösschen das irgendwie die Zeit überdauert hatte, im nun vertrockneten Speckgürtel Berlins. Doch scheinbar hatte sie auch damit falsch gelegen.

Sie starrte die Tür noch eine Sekunde länger an, atmete tief ein und versuchte all ihren Mut zu bündeln. Dann drehte sie sich zu ihren Sicherheitsfrauen um.

„Bitte bleiben Sie hier vor der Tür stehen", bat sie die beiden Frauen, die ihr professionell distanziert zunickten. „Ich weiß, dass ist im Protokoll eigentlich nicht vorgesehen, aber ich benötige in dieser Angelegenheit Privatsphäre." Erneutes Nicken. Hanni zögerte für einen Moment, dann sprach sie weiter: „Ach... und... bitte sprechen Sie mit niemandem darüber, was gleich passiert. Wirklich mit niemandem." Zögerlich verwirrtes Nicken. „Und lachen Sie nicht", ergänzte Hanni.

Bevor sie die überraschte Reaktion auf den Gesichtern der Frauen sehen konnte, drehte sie sich weg und trat auf die Tür zu. Sie atmete tief ein und aus. Sicher beobachtete er sie längst durch die Sicherheitskameras auf seinem Smartpad. Sie bündelte all ihren Mut, unterstützt von unendlicher Wut und riesigem Tatendrang. Dann klopfte sie dreimal fest gegen die Tür und drückte mit der anderen Hand auf den Klingelknopf.

„Albert, öffne die Tür." Sie klopfte erneut dreimal dagegen, ohne abzuwarten. „Albert." Sie wartete eine Minute, aber es tat sich nichts. „Ich weiß, dass du da bist. Der Geheimdienst hat es mir bestätigt", rief sie laut und deutlich, kurz befürchtete sie, dass man sie auch im unteren Stockwerk hören konnte, so laut wie sie sprach. „Öffne die verdammte Tür." Sie klopfte erneut und wartete wieder. Als sie einen Blick über die Schultern warf konnte sie sehen, wie ihre Sicherheitsfrauen verlegen von einem Fuß auf den anderen traten.

„Albert du alter Feigling. Ich dulde nicht, dass du mich ignorierst. Öffne diese Tür." Sie zögerte, überlegte und beschloss, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen: „Das ist ein Befehl."

„Du hast mir gar nichts zu befehlen", drang nur Sekunden später seine Stimme durch die Gegensprechanlage und ließ Hanni lächeln. „Und ich habe dir vor einer Stunde gesagt, dass du mich NIE wieder kontaktieren sollst."

„Adalbert, ÖFFNE DIESE TÜR." Sie legte jeglichen Nachdruck, den sie aufbringen konnten, in die letzten drei Worte. 

„Nein. Lass mich in Frieden", antwortete er durch die Gegensprechanlage. 

„Du bist ein verdammter Feigling."

Stille.

„Warmduscher."

Stille.

„Drückeberger", sie legte direkt nach, schließlich wollte sie ihn wütend machen. Wollte, dass er seine starre und fest gefügte Fassade vor lauter Wut fallen ließ.

„Schnösel."

In diesem Moment riss er die Tür auf und stand mit hochrotem Kopf und halb geöffnetem Hemd vor ihr. Hanni hörte, wie die Sicherheitsfrauen hinter ihr scharf einatmeten und einen Schritt zurücktraten.

„Na also, geht doch", sagte sie, ein Lächeln auf den Lippen.

„Du denkst also, ich lass dich hier rein? Glaubst du, deine Schimpfwörter machen diese verdammte Situation noch besser?" Er blickte über ihre Schultern zu den beiden Frauen in schwarz.

„Du Feigling", flüsterte Hanni. Sie sah seine zerzausten Haare, seine vor Wut funkelnden Augen, den Schweiß, der sich auf seiner Stirn bildete, seine geröteten Wangen.

Und dann trat sie einen Schritt auf ihn zu und küsste ihn.

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now