Kapitel 5: Stechen

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Als Hanni am nächsten Morgen aufwachte, trug sie noch immer die Kleider vom Vortag und war lediglich grob mit der Tagesdecke zugedeckt. Es schien so, als sei sie noch während des Vorspanns des Filmes eingeschlafen, den sie sich nach langem Überlegen in der Mediathek ausgesucht hatte. Auch war es die zweite Nacht in Folge, in der sie ohne Unterbrechung durchgeschlafen hatte. Ohne Albträume, ohne Ziepen im Rücken, ohne lästige Existenzängste, die sie dann und wann überfielen. Ihre Leben hatte sich sprichwörtlich über Nacht um 180° gedreht, doch das ließ sie ruhiger schlafen als zuvor.

So dauerte es einen Moment, bis sie ihr Smartpad zwischen all den Decken und Federkissen fand, während der Wecker ungebremst weiter Radau machte. Als sie ihn schließlich mit einem erleichterten Seufzen ausgeschaltet hatte, wusch sie sich, machte sich frisch für den Tag und ging hinab in den Speisesaal, in dem Franz Friedrich bereits mit einer Kanne Kaffee auf sie wartete.

„Guten Morgen!", sagte er fröhlich, viel zu fröhlich angesichts dessen, dass sie noch keinen Kaffee getrunken hatte und auch noch keine Zigarette rauchen konnte.

„Morgen", murmelte sie müde. Überhaupt fragte sie sich wie bereits am Abend zuvor, warum er so höflich zu ihr war. Warum er sich mit ihr so viel Mühe gab, am gestrigen Tag so viel Geduld gezeigt hatte. Schließlich war er das Oberhaupt der Hohenzollern-Hauptlinie! Die Linie, der der Thron eigentlich gebührt hätte, hätte das Grundgesetz mit seinen Anti-Diskriminierungsklauseln nicht die uralten Thronfolge-Regelungen aufgehoben und nichtig gemacht. Er müsste eigentlich stinksauer auf sie sein. Aber er war es nicht. Er war der nette, hilfreiche Onkel. Aber vielleicht war all das hier eine Show, eine Fassade? Hanni trank eine große Tasse Kaffee, aß eine Schale Micro Green Müsli und grübelte darüber nach. Dann beschloss sie ihn einfach danach zu fragen.

„Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?", fühlte sie vor. Er blickte sie an, schenkte ihr seine komplette Aufmerksamkeit.

„Natürlich dürfen Sie."

„Warum unterstützen Sie meine Ausbildung? Ich müsste Ihnen ein Dorn im Auge sein." Sein Mund verzog sich langsam zu einem Lächeln, ganz so, als hatte er nur auf diese Frage gewartet. So, als konnte er es kaum erwarten, darauf zu antworten.

„Meine liebe Prinzessin Johanna", sagte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Haben Sie jemals von Horst von Preußenstein gehört?" Hanni kramte in ihrem Kopf, erinnerte sich an das Gespräch mit dem Kanzler und dem Geheimdienst.

„Ja, das habe ich."

„Dann wissen Sie sicherlich, dass nicht wir, die Hauptlinie der Hohenzollern, sondern erst Benno von Gingen und nach seinen wenigen verbleibenden Monaten Horst von Preußenstein den Herrschaftsanspruch erben würde, wenn Sie nicht hier wären?"

„Ja", entgegnete sie.

„Sie, liebe Johanna, sind ein Geschenk des Himmels für die Monarchie, im Vergleich zu Horst von Preußenstein. Er ist der Luzifer unter den Royalisten, der Putin der Neuzeit, der Todesstoß! Er ist selbstsüchtig, rassistisch, gierig und noch dazu biegt er sich die Wahrheit so, wie sie ihm passt. Wenn er an die Macht kommen würde, wäre das der letzte Paukenschlag für die Monarchie. Sie würde kaum eine Woche überleben, bevor es zu einem gewaltsamen Staatsstreich kommen würde. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer." Er nahm einen Schluck Kaffee.

„Sie hingehen, Sie sind jung, clever, weltoffen. Sie möchten etwas bewegen, glauben an eine bessere Welt. Sie können das Aushängeschild werden, das die Monarchie braucht. Sie werden die Gallionsfigur der Hohenzollern werden, die uns den Weg in ein neues Zeitalter bereitet." Er lehnte sich nach vorne, sah ihr tief in die Augen. „Verstehen Sie, Johanna? Rechtlich gesehen wird mein Zweig der Familie nie den Thron erhalten – auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass er uns eigentlich zusteht. Aber mit Ihnen kann das Haus Hohenzollern wieder den Glanz erlangen, den es einst hatte. Und mit Ihnen können wir eine bessere Zukunft gestalten."

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now