Kapitel 27: Renonce

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Es dauerte ganze drei Tage, bis sich Albert wieder bei ihr blicken ließ. Drei Tage, in der ihre Wut ungehindert wachsen konnte. In denen sie bei dem Gedanken an ihren Kuss von einer Gänsehaut überzogen wurde, aber angesichts seines schnellen Verschwindens am liebsten mit der geballten Faust auf den Schreibtisch hätte schlagen wollen. Denn während die Deadline ihrer Krönung unaufhaltsam näher kam, da machten ihr nicht nur ihre verwirrten Gefühle für Albert zu schaffen, sondern ebenfalls die Sorge um Tomek. Zunehmens fühlte sie sich hilfloser. So war sie ausnahmsweise dankbar für ihren vollen Kalender, denn er hielt sie davon ab, all ihre ungaren Gedanken zu Ende zu denken.

Als Albert nach drei Tagen plötzlich und unangekündigt die Tür zu ihrem Büro öffnete, da stellte die Wut auf seinem Gesicht ihre eigene Wut bei weitem in den Schatten. Zunächst blieb er im Türrahmen stehen, erstarrte und blickte sie nur an, wie sie so hinter ihrem Schreitisch saß. Hanni konnte erkennen, wie sein Kiefer vor Wut malte. Wie seine Muskeln in den Wangen angespannt waren und wie sie zuckten.  

„Du", zischte er sie an, setzte sich in Bewegung, knallte die Tür hinter sich und lief in langen Schritten auf sie zu. „Du wagst es!" Hanni sog überrascht die Luft ein, war komplett aus dem Konzept gebracht, völlig überrumpelt. Hatte sie nicht eigentlich vorgehabt, ihm eine Standpaukte zu halten? Ihn dafür anzufahren, dass er sie erst geküsst und sich dann für Tage aus dem Staub gemacht hatte, ohne jegliche Möglichkeit, ihn zu kontaktieren?

Alberts Haare waren strubbelig, sein dunkles Hemd war falsch zugeknöpft und erlaubte einen Blick auf seine Brust. Selbst seine hässliche Hornbrille hatte er vergessen. Es schien, als sei er zuhause in Eile aufgebrochen. So, als hätte er keine Zeit gehabt, die sonst so mühsam gemauerte Fassade aufzubauen.  

„Du wagst es!", donnerst er erneut, baute sich vor ihrem Schreibtisch auf und stützte sich beängstigend mit seinen Fäusten auf der hölzernen Tischplatte ab. Auf der Tischplatte, auf die er sie noch vor wenigen Tagen gesetzt hatte, um sie dann leidenschaftlich zu küssen.

„Was ist heute dein Problem?", fragte Hanni, gab sich große Mühe dabei, ruhig zu bleiben und die Augen möglichst theatralisch zu verdrehen. Dann fanden ihre Augen die seinen. Sie sah Enttäuschung darin, Enttäuschung und Schmerz. Und unendliche Wut. Seine Stirn war in Falten gelegt.

Er griff sich den kleinen Geräusch-Canceller auf Hannis Schreibtisch und schaltete ihn mit vor Wut zitternden Händen an. Dann richtete er sich wieder auf, zog eine weiße Aktenmappe aus der Innentasche seines schwarzen Mantels und knallte sie auf den Schreibtisch. Das Geräusch hallte durch den Raum, wie eine Ohrfeige. Ließ Hanni zusammenzucken. All seine Energie und sein unruhiges Temperament entluden sich in dieser Bewegung. Er, der er sonst so reserviert, so beherrscht war. Mit dem Knall war sein Geduldfaden gerissen.

„Bevor du mir deine Spitzel auf den Leib hetzt, mach deine Hausaufgaben."

„Wie bitte?" Hanni war verwirrt, konnte Albert nicht folgen. Sein aufbrausender Auftritt hatte sie so überrumpelt, dass sie nicht richtig klar denken konnte. 

„Du hast den Nerv, mir einen Hacker auf den Leib zu hetzen? Mir? Hast du gedacht, ich bemerke nicht, wenn sich ein dahergelaufener Stümper in meine digitale Infrastruktur hineinschleicht?" Er holte tief Luft, schien sich selbst dran erinnern zu wollen, nicht zu laut zu schreien. Dann stützte er sich wieder auf dem Schreibtisch ab und starrte ihr direkt in die Augen.

„Sag mir, Prinzessin Regine, hast du oder hast du nicht einen Hacker damit beauftragt, seine Nase in mein Leben zu stecken?"

Tomek, kam es Hanni in den Sinn. Natürlich. Albert hatte Tomek erwischt. Hatte herausgefunden, dass er ihn durchleuchtete.

Verdammt.

„Was sagst du dazu?" Sie wollte ihn nicht länger warten lassen, hatte Angst, dass die Wut in Form von Dampf aus seinen Ohren schießen würde.

„Ich... es ist... Albert", stotterte sie, versuchte die richtigen Worte zu finden. Schließlich hatte das misslungene Attentat und der Kuss danach so viel verändert. Das erste Gespräch nach dem Kuss hatte Hanni tagelang beschäftigt, niemals wäre ihr in den Sinn gekommen, dass es so ablaufen würde.

„Was denkst du dir dabei? Glaubst du nicht, dass ich die nötigen Mittel habe, das zu verhindern? Hast du in meinem Unterricht denn überhaupt gar nicht aufgepasst? Weißt du denn gar nichts über mich?" Nein.

„Albert", versuchte sie ihn etwas zu beschwichtigen. „Versteh mich doch! Ich war hilflos. Wusste nicht, wem ich vertrauen sollte, wem ich vertrauen konnte!"

„Und da hetzt du ausgerechnet mir deinen mittelmäßig guten Hackerfreund auf den Hals? Ich habe dein Leben gerettet, verdammt, Johanna!"

„Lass mich erklären, Albert!"

„Das musst du nicht. Ich habe deinen kleinen Freund gefangen genommen, ihn befragt. Genau wie den Verräter Konstantin Müller. Beide sitzen in Hochsicherheitszellen und warten darauf, dass sich die Justiz mit ihnen beschäftigt." Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken.

„Albert, verstehe mich doch! Ich bin hier hinter diesen Mauern eingesperrt, abgeschirmt von der ganzen Welt. Ich weiß nicht, was ich noch glauben soll. Tomek war die einzige Möglichkeit für mich, an Informationen zu kommen."

„Hättest du deine verdammten Hausaufgaben gemacht, Hanni." Er schlug mit der Handfläche auf die Mappe, die noch immer unbeachtet vor ihr lag. Dabei verzog er sein Gesicht, vermutlich hatte er sich dabei wehgetan. „Wenn du wüstest, was ich riskiert habe für dich! Bereits vor Wochen habe ich Informationen unter deinen Papierkram geschmuggelt. Verdammt nochmal! Würdest du deinen Job ernst nehmen, dann wüsstest du längst Bescheid! Würdest du das tun, was ich dir sage, und nicht immer gegen mich rebellieren, hättest du längst Klarheit! Stattdessen schläfst du mit dem Feind und vergraulst den einzigen Menschen in diesem verdammten Land, der dir zumindest halbwegs wohlgesonnen ist." Er fuhr sich mit der Hand in das ohnehin schon wuschelige Haar, raufte es gewaltsam. „Verdammt! Du treibst mich in den Wahnsinn", stieß er erneut aus, blickte ihr ein letztes Mal in die Augen. Funken der Wut sprühten ihr entgegen. Dann drehte er sich um. „Ruf mich nicht an. Kontaktiere mich nie wieder. Egal, wer und was du bist. Alles was wir sind, waren oder hätte sein können ist Geschichte", flüsterte er vor sich hin, während er zur Tür lief. Ganz ohne sich noch einmal umzudrehen.

Wie vom Donner gerührt saß Hanni auf ihrem Stuhl und starrte ihm nach. Er öffnete die Tür, trat hindurch und knallte sie zum Abschied mit aller noch verbliebener Kraft zu. Zum zweiten Mal an diesem Tag zuckte sie zusammen, Tränen traten in ihre Augen. Diese verräterischen, kleinen Biester. Was wollten sie hier in dieser Situation? Was hatten sie hier verloren? Waren sie nicht fehl am Platz? Hanni schniefte, wischte sie mit ihrem Ärmel fort und ließ ihren Blick zur blütenweißen Aktenmappe wandern.

Ihre Hand zitterte, als sie den Pappdeckel hob und sie öffnete. Operation Pik Dame war in einer unbekannten, makellosen Handschrift auf ein weißes Blatt Papier geschrieben. 

Operation Pik Dame? Eine Gänsehaut überzog ihre Arme und breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus. Die Tränen versiegten, wurden durch Adrenalin in ihren Adern ersetzt. Hanni setzte sich aufrecht hin, befeuchtete ihren Zeigefinger und Daumen und begann zu blättern. Etwa fünf hauchdünne und eng beschriebene Din A4 Seiten befanden sich in der Aktenmappe. Etwas zerknittert. Ohne Prägung, ohne Siegel. Ganz einfaches, nicht nachverfolgbares Papier. Offensichtlich Kopien eines unbekannten Originals. Hastig und heimlich erstellt.

Von Albert.

Sie legte das Deckblatt zur Seite und begann zu lesen.

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now