Kapitel 8: Marriage

28 8 7
                                    

Hanni konnte nicht schlafen. Stunde um Stunde wälzte sie sich von rechts nach links und wieder zurück. Bilder von Albert rauschten durch ihren Kopf. Bilder von ihm und ihr in einer Kirche. Bilder von ihnen beiden im Bett. Bilder, wie sie sich beide mit gezückten Messern gegenüberstanden, sein Pullunder zerfetzt. Ihr Puls raste noch immer, an Schlaf war beim besten Willen nicht zu denken.

Es war zwei Uhr in der Nacht, als Hanni mal wieder auf das Smartpad auf ihrem hölzernen Nachttisch schaute. Schlaf war weit und breit nicht in Sicht. Hanni lief eine Weile in ihrem Zimmer auf und ab, ließ die Dielenbretter unbarmherzig knarren. Dann beschloss sie, im Schutz der Dunkelheit ihr Zimmer noch einmal zu verlassen. Sie brauchte einen Tee, der ihr aufgewühltes Gemüt zumindest etwas beruhigte. Also öffnete sie vorsichtig die Tür und schlich mit nackten Füßen über den kalten, rauen Holzboden, drei Stockwerke hinab bis in die Küche. Sie schaltete das Licht an und startete den Multifunktionskocher. Das Licht für den Aufwärmprozess begann rot zu blinken. Sie kramte in einer Schublade nach Beruhigungstee, nahm sich eine Tasse und stellte beides auf die Ablagefläche des Multifunktionskochers. In diesem Moment öffnete sich die uralte Küchentür knarrend.

Vor ihr stand Albert, ohne Hornbrille, in Jogginghose, T-Shirt, mit nackten Füßen und völlig zerzausten Haaren. Für den Bruchteil einer Sekunde verfluchte sie sich selbst dafür, dass sie ihren Morgenmantel nicht übergeworfen hatte. Dann drehte sie ihm den Rücken zu und drückte die Taste für Heißwasser. Sie sah dem Strahl zu, der dampfend in ihre Teetasse floss.

„Guten Abend", sagte er mit rauer Stimme.

„Mhhh", brummte Hanni. „Was machen Sie hier?"

„Ich habe Ihre Schritte gehört und bin Ihnen gefolgt." Hanni hatte mit einer fadenscheinigen Ausrede gerechnet, überrascht drehte sie sich um, die heiße Tasse Tee in der Hand. Albert kratzte sich am Kopf. „Ich habe mit meinem Vater gesprochen...", er zögerte kurz. „Die alten Herren haben ihren schwachsinnigen Plan auf die nächste Ebene gehoben?" Hanni blickte ihn an, seufzte.

„Es ist verdammt gefährlich für Sie, mich mit einer Tasse voll kochend heißem Wasser in der Hand darauf anzusprechen." Er musterte die Tasse, kehrte dann aber zurück zu ihrem Gesicht.

„Ich fürchte, wir müssen reden", sagte er, Hanni hielt seinen Blick.

„Dann reden Sie." Wieder kratzte er sich am Kopf, sah mit den Strubbelhaaren und den normalen Kleidungsstücken beinahe aus wie ein kleiner Junge. Das Gespräch, diese Konfrontation machte ihn nervös.

„Vielleicht ist nun doch die Zeit gekommen, dass wir uns duzen. Die anstehenden Themen sind sonst eher schwierig... nun ja... zu behandeln." Sie zog die Augenbrauen hoch.

„Sind Sie das, oder steht hier jemand mit einer Deepfake-Maske vor mir?" Er schüttelte den Kopf, lächelte nicht.

„Traurig aber wahr, ich bin es nur." Er fand ihre Augen wieder. „Was sagen Sie nun. Gehen wir zum Du über?" Hanni zögerte kurz, dann nickte sie. Es half ja alles nichts. Sie war mit ihm auf der Burg gefangen, konnte nicht fort. War gezwungen, ihm wieder und wieder zu begegnen. Sollte ihn, wenn es nach dem Kanzler ging, sogar heiraten!

„Jetzt, wo wir ohnehin schon praktisch verlobt sind?" Albert ging langsam auf sie zu und streckte ihr seine Hand entgegen. Hanni stellte ihre Tasse ab und schüttelte seine Hand. Es war das erste Mal, dass sie ihn berührte. Seine Finger waren lang, sein Griff fest und seine Haut etwas zu trocken.

„Ich bin Albert", sagte er.

„Johanna." Nicht Hanni, Johanna.

Er trat wieder zurück auf seinen Platz und lehnte sich an den Küchentresen gegenüber von ihr. Schweigend musterten sie sich eine ganze Weile. Hanni wusste nicht, wohin mit ihren Händen und griff wieder nach der Tasse Tee. Dann sprach sie aus, was ihr den ganzen Abend schon auf der Seele brannte:

„Es ist jetzt nicht unbedingt ein Geheimnis, dass wir beide uns nicht sonderlich gut leiden können. Also, warum hast du diesem schwachsinnigen Plan zugestimmt?"

„Generationen von Hohenzollern haben das vor mir bereits getan. Haben das Haus dadurch stark gemacht und erhalten. Nun bin ich wohl an der Reihe."

„Ernsthaft?"

„Nun ja, wenn wir verheiratet wären und wenn du aus irgendeinem Grund ausfallen würdest, dann hätte noch immer ich eine Möglichkeit, die Zukunft mitzugestalten. Hat man dir von Horst von Preußenstein erzählt?" Hanni nickte, hätte am liebsten mit den Augen gerollt. Immer und immer wieder tauchte Horst von Preußenstein in jeglichen Gesprächen auf. Wie ein verhängnisvoller Poltergeist in einem uralten Schloss. „Dann weißt du, dass wir nur diese eine Chance haben, die Monarchie zu etablieren. Denn wenn wir mit dir scheitern, dann wird auch die Monarchie scheitern. Und eine parlamentarische Monarchie ist möglicherweise die einzige Chance, den Laden am Laufen zu halten." So sehr sie sich auch gegen seine Worte sträubte, wusste sie, dass er die Wahrheit sprach. Sie blickte direkt in seine Augen, wie er so mit zerzausten Haaren und einfachem T-Shirt lässig an den Küchentresen gelehnt dastand. „Das ist der Grund, warum ich ursprünglich zugestimmt habe, dich zu heiraten. Allerdings nur für den absolut unwahrscheinlichen Fall, dass du es möchtest."

„Ich möchte es nicht", sagte Hanni, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Er zuckte mit den Schultern, verschränkte die Arme über seiner Brust.

„Das überlasse ich dir. Du wirst von mir keine Blumen bekommen, keinen Ring, ich werde nicht vor dir niederknien und ich werde dich auch nicht anflehen." Hanni nickte. Seine Worte waren harsch, etwas unfreundlich, aber dafür sehr ehrlich. Das schätzte sie. „Gut." Er seufzte tief. „Dann ist ja alles geklärt."

„Heißt das, zwischen uns herrscht so etwas wie Waffenstillstand?" Er zuckte mit den Schultern.

„Nennen wir es doch Burgfrieden." Hanni lächelte müde.

„War das etwa ein Witz, der nicht auf meine Kosten ging?"

„Möglicherweise." Ein vorsichtiges, echtes Lächeln bahnte sich den Weg in seine Mundwinkel, sie zuckte verräterisch. Und es stand ihm gut, machte ihn jünger, entspannter. „Gute Nacht", sagte er schnell, bevor sie sich an den Anblick gewöhnen konnte. Dann ging er zur Tür. „Mach nicht mehr so lange, Johanna. Ich erwarte dich morgen früh frisch und konzentriert zu deinen Lehrstunden. Wir haben noch einiges von heute aufzuholen." Sie verdrehte die Augen, aber er konnte es nicht mehr sehen. Er war bereits durch die Tür verschwunden und ließ sie zurück in der kalten Küche.

Hanni warf den Teebeutel in den Mülleimer, umklammerte die Tasse mit beiden Händen und schlürfte ihren Tee gedankenverloren. Was für eine unerwartete Wendung, dachte sie. Sie mochte ihn noch immer nicht, würde ihm noch lange nicht vertrauen können. Aber vielleicht würde der Alltag etwas leichter werden, etwas ruhiger. Jetzt, wo die Fronten zwischen ihnen geklärt waren. Und das war doch schonmal ein erster Schritt.

Als der Wecker am nächsten Morgen viel zu früh klingelte und Hanni in den Badezimmerspiegel blickte, hatte sie lange, dunkle Augenringe. Doch es half nichts: Wenn sich Albert Mühe geben würde, und über seinen Schatten der schlechten Laune sprang, dann würde auch sie es tun. Also machte sie sich fertig und ging nach einer heimlichen Zigarette am Fenster hinunter in den Speisesaal, um sich erst einmal mit Franz Friedrich auszusöhnen. Deutlich diplomatischer als sein Sohn, verlief ihr kurzes Gespräch über einem Sojawurstbrot und einer Schüssel mit Müsli und Micro Greens gut und freundlich.

Nach dem Frühstück machte sie sich auf in den Schulungsraum, um Albert dort bereits vorzufinden. Sie war etwas enttäuscht, als sie ihn in seiner unförmigen, grauen Anzughose und einem Gruselpullunder vorfand. Er grüßte sie knapp, beinahe so, als ob letzte Nacht nur in ihrer Fantasie existiert hatte, und begann dann mit dem Unterricht. Jedoch ließ er die Witze auf ihre Kosten weg und kritisierte sie nicht übermäßig. Nur am Ende der Vorlesung legte er ihr ein kleines Päckchen auf den Tisch.

„Was ist das?", fragte Hanni.

„Anti-Rauch-Pillen, die Besten auf dem Markt. Eine Woche und du bist die Zigaretten los."

„Hast du sie besorgt?", fragte Hanni skeptisch.

„Nein. Der Kanzler hat sie heute Morgen mit einer Expressdrohne kommen lassen." Sie schüttelte den Kopf und ließ das Päckchen in ihrer Tasche verschwinden.

„Der Typ hat Nerven", sagte sie und er blickte sie durch seine bläulich schimmernden Brillengläser direkt an.

„Wenn du wüsstest."

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now