Kapitel 17: Cold Deck

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„Hanni", erklang die Stimme des Kanzlers augenblicklich, nachdem sie ihn über ihr Smartpad angerufen hatte. „Ich habe nicht viel Zeit", sagte er atemlos. „Aber Sie müssen wissen, dass der rechte Flügel in diesem Moment versucht, den Bundestag zu stürmen."

„Mitten in der Nacht?", fragte Hanni entsetzt, spürte, wie ihre Magen vor Panik zu rumoren begann. Kurz verfluchte sie ihr üppiges Abendessen.

„Offensichtlich. Ich koordiniere zusammen mit der Verteidigungsministerin die Sicherheitskräfte, um die Attacke abzuwenden. Aber wir müssen auch Sie in Sicherheit bringen, nur für den Fall, dass dies hier ein Ablenkungsmanöver ist." Hanni stockte der Atem. Sie lehnte sich nach vorne und steckte ihre Finger in den Spalt zwischen dem Kopfteil des Bettes und der Wand. Da hingen sie, die beiden Spielkarten. Noch immer fest fixiert mit einem alten Kaugummi.

„Es gibt einen Sicherheitsraum im Keller des Schlosses", sagte der Kanzler weiter. „Die Sicherheitskräfte werden Sie nach unten begleiten. Sobald sich die Situation beruhigt hat, melde ich mich wieder."

„Okay."

„Sollte Ihnen etwas ungewöhnliches auffallen, melden Sie sich augenblicklich bei mir."

„Alles klar."

„Bis dann." Bevor sie ihm antworten konnte, brach die Verbindung ab. Hanni zog in Windeseile einen Morgenmantel über ihren Schlafanzug und schlüpfte in ein Paar Hausschuhe. Dann trat sie erneut zur Tür, öffnete sie und ließ sich von vier wartenden Sicherheitskräften umkreisen und durch das dunkle Schloss in den Keller begleiten.

Mit ihrem Fingerabdruck öffnete sie den von außen wie eine Besenkammer aussehenden Sicherheitsraum und versiegelte ihn schließlich wieder von Innen. Sie konnte die schweren Stahlbolzen hören, die sich in die Wand schoben. Zusammen mit den Sicherheitskräften nahm sie an einem großen Tisch platz und wartete.

Es dauerte Stunden, bis sich etwas tat. Stunden der ruhelosen Ungewissheit, der Aufregung und auch der gefühlten Tatenlosigkeit. Beinahe ununterbrochen schaute Hanni auf ihren Smartcontroller und hoffte auf einen Anruf des Kanzlers. Doch es tat sich nichts. Ihm ging es doch noch gut? Er schaffte es doch, diesen hinterhältigen Abschlag abzuwehren? Die Wogen würden sich doch wieder glätten?

Stunde um Stunde saß Hanni in dem kleinen Raum, der mit sterilem Neonlicht geflutet war. Umgeben von vier schwer bewaffneten Sicherheitskräften. Dennoch fühlte sie sich hilflos, in ihrem Schlafanzug und dem Morgenmantel, mit den Pantoffeln. Die Gedanken rasten nur so durch ihren Kopf, malten die schrecklichsten Szenarien aus. Ließen ihre Hände schwitzen, ihren Magen rumoren und ihren Rücken zu einem runden Bogen verhärten. Irgendwann legte sie ihre Arme und Oberkörper auf den funktional unbequemen Tisch und versenkte ihren Kopf darin. Sie schloss die Augen und versuchte einzuschlafen, doch so richtig wollte das nicht gelingen.

Doch irgendwann, da musste sie in das Reich der wirren Träume hinübergeglitten sein, denn sie schreckte aus dem Schlaf auf, als es plötzlich kräftig an die Tür klopfte. Die Sicherheitskräfte sprangen auf, genauso alarmiert wie sie.

„Ich bin es, Josef Friedrich von Bismarck." Einer der Männer kontrollierten das neben der Tür eingelassene Videopad.

„Codewort?", rief er mit lauter, harscher Stimme.

„Herzbube", antwortete die Stimme des Kanzlers. Der Mann nickte Hanni zu. Sie stand mit zittrigen Beinen auf, öffnete mit ihrem Fingerabdruck die Tür. Der Kanzler trat ein, mitsamt einem schwer bewaffneten Sicherheitsmann auf den Fersen. Er sah müde aus, seine Haare waren zerzaust und sein altmodischer Anzug staubig. „Angriff abgewendet", sagte er, trat an den Tisch und ließ sich völlig entkräftet auf einen der Stühle fallen. „Was für eine Nacht." Er kramte in seiner Tasche, legte einen Geräusch-Canceller auf den Tisch und bat die Sicherheitskräfte, vor der Tür zu warten. Dann begann er zu erzählen.

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now