Epilog: Schach Matt

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Hanni saß zurückgelehnt in einem der blauen Polsterstühle im Bundestag, der in Kürze ganz offiziell in Reichstag umbenannt werden würde. Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte an die Decke, wo sich das Glas zu einem Tunnel formte, der dann in die Kuppel überging. Eine Kuppel, die bereits von Weitem sichtbar war. Die in die ganze Stadt hinaus strahlte.

So wie das Zeichen, das sie in wenigen Minuten setzen würde. Es war ein mächtiges Zeichen, ein Zeichen, das niemand erwartete. Niemand außer Albert, der neben ihr saß und ein paar eingeweihte Schlüsselpersonen. Personen, von denen ihr Albert versichert hatte, dass sie vertrauenswürdig waren.

Hanni ließ ihren Blick schweifen, während der Kanzler noch nichts ahnend am Rednerpult stand und seine Aufbruchsrede hielt, von der er nicht ahnte, dass es seine Abschiedsrede war.

Hanni lächelte. Wer hätte das gedacht? Vor wenigen Monaten hatte sie sich in ihrem Zimmer verkrochen und versucht, so klein und unsichtbar wie möglich zu sein. Nun brannte sie darauf, an dieses Rednerpult zu treten und endlich die Welt zu verändern. Zu verbessern.

Vor einer halben Stunde hatte sie die formelle Krönungsurkunde unterzeichnet, unter tosendem Applaus und bösen Zwischenrufen im Bundestag. Sie hatte den Eid geschworen, dieses Land als sein Oberhaupt zu beschützen, mit allem zu verteidigen und erneut florieren zu lassen. Und sie hatte den Mut dazu, genau das zu tun. Zum ersten Mal in ihrem Leben spürte sie, dass sie für etwas brannte. So richtig, mit Haut und Haaren und Fingernägeln. Auch, wenn sie diesen Weg niemals freiwillig eingeschlagen hätte, so war er der richtige für sie. Denn sie war die Richtige für diese Rolle! Sie war keine Marionette, wollte keine Puppe sein. Sie wollte die Zügel selbst in der Hand haben. Zusammen mit Albert.

„Mach dich bereit, er wird seine Rede gleich beenden", flüsterte er ihr zu. Unauffällig nahm er ihre schwitzige Hand unter dem Sitzungstisch in seine und drückte sie sachte. Sie lächelte und nickte. Dann strich sie sich ihren dunkelblauen Anzug ein letztes Mal glatt. Und während der Kanzler unter Applaus und Buh-Rufen seine Rede beendete, stand Hanni auf und lief mit mittelhohen, cremefarbenen Pumps über den Marmorboden des Plenarsaals. Klack, klack. Klack, klack.

Sie blieb vor dem Rednerpult stehen, atmete tief ein und ließ den Blick schweifen. Der Plenarsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt, Menschen standen auf der Besucherterrasse und an der hinteren Wand des Saals. Alle starrten sie an, schenkten ihr ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Ihr, die nun die Zügel in der Hand hatte. Ihr, die man soeben alle Spielkarten übergeben hatte. Ihr, der man eine penibel vorbereitete Rede auf das Rednerpult gelegt hatte. Ihr, die die Marionettenfäden nun kappen würde.

In genau dieser Sekunde.

„Liebe Damen und Herren", ihre Stimme war klar, deutlich und laut, so wie sie es von Konstantin gelernt hatte. „Nun spreche ich zum ersten Mal als Ihre Kaiserin zu Ihnen." Sie legte eine kurze Pause ein, sammelte all die wichtigen Worte in ihrem Kopf und brachte sie in die richtige Reihenfolge. Denn sie hatte es nicht gewagt, auch nur ein Wort davon aufzuschreiben „Vor wenigen Minuten habe ich in Ihrem Beisein einen Eid geschworen. Einen Eid, der uns alle zusammenhält und der uns in eine freudige, in eine bessere Zukunft führen soll. Der Kriege verhindert, Armut bekämpft, Sicherheiten schafft, neue Hoffnung spendet und dieses Land endlich wieder lebenswert macht. Und Sie alle sind nun Zeuge, wie ich mit meiner Arbeit beginne." Sie atmete tief ein.

„Der Kanzler hat Ihnen allen die Vertrauensfrage gestellt, die die meisten von Ihnen nach Protokoll verneint haben. An mich, als das neue Staatsoberhaupt, hat er den Antrag gestellt, den Bundestag aufzulösen. Ich komme seinem Antrag nach und löse den Bundestag binnen 21 Tagen auf." Applaus füllte den Plenarsaal, sie blickte den Kanzler an, der ihr mit funkelnden Augen zunickte. Weiter, weiter!, gab er als unsichtbare Regieanweisung. Hanni lächelte befreit.

„Zweitens ordne ich nach Ablauf der Frist eine sofortige Neuwahl an." Erneuter Applaus, sie holte tief Luft.

„Drittens", sie blickte den Kanzler an, er zog seine Augenbrauen zusammen. „Drittens ordne ich die sofortige Festnahme von Kanzler Joseph Friedrich von Bismarck und Franz Friedrich Prinz von Hohenzollern an." Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge, geschockte Gesichter blickten ihr entgegen. „Der Vorwurf lautet Hochverrat gegen den Bund sowie Anstiftung zum Mord."

Erneut drehte sie sich leicht nach rechts und blickte den alten Mann an. Sein Mund stand offen. Ehrliches, tief empfundenes Erstaunen lag in seinen Gesichtszügen. Er war so überrascht, dass er erstarrte und die Polizisten und die Direktorin des Bundesinlandsgeheimdienstes nicht auf sich zukommen sah. Kathrin Burgenhain forderte ihn ruppig auf, aufzustehen. Ein Polizist fixierte seine Hände. Als er zusammen mit Franz Friedrich durch die Seitentür abgeführt wurde, dreht sich Burgenhain zu ihr um und nickte ihr zu.

„Sie werden schnell bemerken, meine Damen und Herren, dass wir zusammen in diesem Land eine ganze Menge bewegen müssen. Wir müssen aufräumen mit Korruption, Patriachat und Willkür. Wir müssen abreißen, was uns zurückhält, was uns hindert. Und wir müssen wieder aufbauen, was uns wichtig ist. Es wird sehr turbulent, meine Damen und Herren, ich mache Ihnen an dieser Stelle keine Illusionen. Stellen Sie sich auf eine neue, arbeitsreiche Amtsperiode ein. Und lassen Sie sich in Ihrem Wahlbezirk wirklich nur wiederwählen, wenn Sie dazu auch bereit sind. Denn sonst werde ich Ihnen die Hölle heiß machen." Damit beendete sie ihre Rede. Sie blickte in die noch immer vor Überraschung erstarrte Menge und fing unendlich viele Blicke ein. Dann drehte sie sich um, lief mit klappernden Absätzen zurück zu ihrem Sitz und nahm neben Albert Platz.

Er nahm ihre Hand und lächelte.

„Schach Matt", sagte er. 

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now