Kapitel 13: Schwarzer Peter

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Die letzte Woche auf Burg Eltz war für Hanni bittersüß. Sie starrte so oft es nur möglich war hinaus in das Grün hinaus. Sie setzte sich nach dem Mittagessen wieder häufiger auf die Terrasse, trank dort einen Kaffee und lauschte dem Vogelgezwitscher, das beinahe gänzlich aus der Stadt verschwunden war. Dann und wann berührte sie die Steine der Burg, fühlte ihre raue, ungewohnte Oberfläche unter ihren Händen. Sie würde die alten Mauern hier vermissen. So sehr sie hier die Einsamkeit auch spürte, so sehr hatte sie die Ruhe genossen. Den Abstand zur lauten, düsteren, glatten und verspiegelten Stadt. Hanni nahm sich vor, zurückzukehren. Irgendwann, vielleicht mal im Sommer. Wenn das Grün noch intensiver war und der ewige Wind etwas nachlassen würde.

Niemand außer Franz Friedrich und Albert wusste, dass Hanni am Ende dieser Woche abreisen würde und sie war angehalten, sich so unauffällig wie nur möglich zu verhalten. Der Drohnenflug würde unter der höchsten Sicherheitsstufe stattfinden und sie würde einfach aus dem Burgtor hinausspazieren, als ob nichts gewesen sein.

Auch Albert ging in seinen letzten Unterrichtstunden mit ihr nicht darauf ein, er erwähnte es mit keinem Wort. Er war zurückgekehrt zu seiner kühlen, spröden Effizienz, in der er gänzlich auf Smalltalk verzichtete und versuchte, Hannis Kopf mit so vielen Fakten wie nur möglich zu füllen. Hanni hatte sich eine ganze Nacht lang vor der ersten Stunde nach ihrem Stalker-Unfall gefürchtet, hatte einen trockenen Spruch oder einen Tadel erwartet, aber er hatte den Vorfall einfach übergangen. Ganz so, als ob es ihn nicht gegeben hatte. Als ob sie ihm nicht nachgeschlichen wäre, wie ein liebestoller Teenager. Als ob sie ihn nicht gemusterte hätte wie ein Stück Torte. Dann war sie zu guter Letzt auch noch von der Fensterbank gefallen! Bereits bei dem Gedanken daran lief sie noch immer rot an. Und sie war sich sicher, dass er sie gesehen hatte. Viel zu lange hatte er ihren vor Schock erstarrten Blick gehalten. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme jedes Mal, wenn sie an seinen intensiven Blick dachte. So anders als sonst, kraftvoller, echter, gefährlicher. Ohne seine lächerliche Hornbrille und mit strubbeligen Haaren war er ein anderer Mann. Er war nicht mehr die Marionette von Franz Friedrich und dem gesamten Hause Hohenzollern. 

Dass er den Vorfall ignorierte, erleichterte Hanni. So konnte sie der Konfrontation entkommen, musste nicht erklären, was sie nicht erklären konnte. Aber dennoch, ein klitzekleiner Teil in ihr war enttäuscht, dass er den Vorfall nicht ansprach. Dass er alles, was außerhalb des Unterrichts mit ihr zu tun hatte, völlig abblockte. Dass sie nichts über ihn wusste, sein komplettes Wesen nicht verstehen konnte. Dass er auf der persönlichen Ebene überhaupt keine Angriffsfläche bot. Und das, obwohl man ihr vorgeschlagen hatte, ihn zu heiraten! Er wich ihr aus, mit allem was er tat. Das ärgerte sie. Denn auch, wenn sie ihn absolut nicht mochte, so wollte sie, dass er sie wahrnahm. Das ergab überhaupt keinen Sinn, dessen war Hanni sich bewusst. Jeden Abend verfluchte sie sich für diese Gefühle. Aber es half nichts, sie blieben. Auch in der letzten Woche auf Burg Eltz.

Ihre Abreise von Konstantin zu verbergen, bereitete ihr in den letzten Tagen ebenfalls Kopfzerbrechen. Denn er war es, mit dem sie außerhalb der Unterrichte am meisten kommunizierte. Auch wenn er sie niemals nach Details ihres weiteren Plans fragte, so fühlte sie sich unaufrichtig ihm gegenüber, dass sie den großen und wichtigen Termin ihrer Abreise verschwieg. Schließlich wusste sie nicht, wie sich ihre gerade erst aufkeimende Freundschaft danach weiterentwickeln würde.

„Wann immer du auf der Suche nach der besten Party des Landes bist, dann wende dich an mich, den Partyminister", hatte er ihr gesagt und sie hatte gelacht. Sie konnte ihr gerade volljährig gewordenes Ich mit ihm tanzen sehen, in einem Club. Ausgelassen und mit strahlenden Augen, ausreichend alkoholisiert. Aber nun war sie beinahe 30 und stand kurz davor, die Regierung eines am Abgrund stehenden Landes zu übernehmen! Da wirkte die Suche nach der besten Party irgendwie deplatziert. Zumindest für den Moment. Sie hoffte, dass die guten Gespräche über Alles und Nichts blieben, die sie auf der Bank der sonnigen Terrasse führten. Dass er sie weiterhin mit lustigen Geschichten über alle möglichen Politiker unterhalten konnte. Dass er auch über ihre weniger zahlreichen Geschichten lachte und dann und wann den Kopf aufmerksam schieflegte, wenn sie erzählte. Es tat gut, so mit ihm zu sprechen. Sie fühlte sich von ihm gesehen, er schätzte sie für die Person, die sie war. Nicht die Rolle, die sie einnehmen würde. Und das gab ihr jede Menge Selbstbewusstsein.

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now