Kapitel 10: Bluff

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So ging der Winter mit immer lauter werdendem Vogelgezwitscher und immer kräftiger werdendem Grün langsam in den Frühling über. Wenn die Sonne mit ihrer neu gewonnenen Kraft durch die kleinen Fenster von Burg Eltz einfiel und in ihrem Schulungszimmer Hannis Rücken trafen, hinterließ sie ein wohliges Gefühl. Sie schenkten ihr etwas Wärme in ihrem eher tristen Alltag.

Hanni verbrachte beinahe den ganzen Tag in diesem Zimmer, arbeitete krampfhaft daran, das ganze Wissen zu behalten, das Albert Tag für Tag in ihren Kopf trichterte. Immer wieder berichteten auch Franz Friedrich Hanni von der politischen Lage im Land. Regelmäßig erhielten sie von einer speziell gesicherten Drohne handgeschriebene Berichte, die im Detail die unterschiedlichen Umsturzpläne schilderte, die der Inlandsgeheimdienst aufdecken konnte. Noch immer sah der Geheimdienst das Militär vorne an der Spitze der Aktivitäten, dicht gefolgt von den Ultrarechten. Die Zeit wurde knapper, die Tage weniger, der Zeitpunkt für Hannis Krönung rückte näher. Als sie das realisierte, begann ihr Magen-Darm-Trakt wieder zu rumoren und bereitete ihr einige Tage Probleme. Die Hoffnung, die sie hatte, alles besser machen zu können und der Aufwind, den sie gespürt hatte, wich für einige Zeit der Angst und dem schieren Respekt vor der Aufgabe. An manchen Tagen war sie hin- und hergerissen zwischen großartigen Zielen und tiefen Abgründen.

Neben ihrer Ausbildung und den regelmäßigen Besuchen im Beautysalon stieß nun auch Franz Friedrich weitere Vorbereitungen an. Er lockerte seine Regel der zugelassenen Personen auf der Burg und hatte ein Team organisiert, welches die Öffentlichkeitsarbeit vorbereiten sollte. Nach mehreren Wochen in der völligen Isolation war Hanni etwas aufgeregt, als sie am letzten Dienstag im März allein die Treppen zum Schulungsraum hinauflief und am Tisch platznahm. Während Franz Friedrich seine Gäste am Tor abholen würde, wartete Hanni ungeduldig. Sie hörte die Schritte auf der Treppe und auf dem Gang schon lange bevor sie sie erreichten, setzte sich aufrecht hin und blickte zur Tür.

Und obwohl sie gut auf die Neuankömmlinge auf der Burg vorbereitet war, so klappte Hannis Kinnlatte beinahe herunter, als die Tür aufging und ein überwältigend attraktiver Mann eintrat. Er war ein wenig größer als Hanni, vielleicht 1,85 groß, trug einen präzise geschneiderten, marineblauen Anzug und eine blaue Krawatte auf weißem Hemd. Seine Haare waren braun und standen beinahe kunstvoll in alle Richtungen ab. Als sie bei seinen Augen angekommen war bemerkte sie, dass sie angesichts ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit schelmisch funkelten.

„Prinzessin Johanna, es freut mich Ihnen heute Herrn Konstantin Müller vorstellen zu dürfen." Hanni stand von ihrem Stuhl auf, die Stuhlbeine schabten geräuschvoll über den Dielenboden. Er lächelte sie charmant an und trat auf sie zu. „Wie Sie wissen, ist Herr Müller unser Mann für die Öffentlichkeitsarbeit. Was genau Sie erwartet, erzählt er Ihnen am besten selbst", sagte Franz Friedrich und wedelte dem gutaussehenden Fremden mit der Hand zu.

„Guten Tag, Prinzessin", sagte der Fremde und hielt ihr ganz unzeremoniell die Hand entgegen. Hanni griff schnell zu, bevor er es sich anders überlegte, und war überrascht von seinem festen Händedruck.

„Guten Tag", entgegnete sie mit einem vorsichtigen Lächeln.

„Ich werde Sie nun auf Ihrem Weg in die Öffentlichkeit begleiten. Es gibt sehr viel zu tun, unendlich viel vorzubereiten. Wir müssen Sie in den 3-D-Scanner einlesen, brauchen Fotos von Ihnen, Videos, Interviews, Statements und einen lupenreinen Lebenslauf. Natürlich haben wir mit dem Prinzen von Hohenzollern bereits eine Strategie vorbereitet, aber es obliegt Ihnen, diese nun mit Leben zu füllen." Hanni nickte. In der Werbebranche kannte sie sich aus, hatte dort einiges mitbekommen, als sie als Grafikdesignerin gearbeitet hatte. Kampagnen, Logos, Visuals: Alles Mittel, um den Menschen eine heile Welt vorzugaukeln, ein kleines Stückchen Luxus zu verkaufen, das eigentlich zu viel verlangt war.

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