Kapitel 22: Dealer

24 7 6
                                    

Hanni war so gefrustet von ihren erfolglosen Bemühungen um Plan A, dass sie am folgenden Freitagabend mit vollem Anlauf wieder zu Plan B zurücksprang. Mit immer routinierteren Handgriffen bereitete sie sich vor und verließ schließlich ungesehen das Schloss. Als sie hastig durch die spärlich erleuchteten Gassen ging, sog sie gierig die Luft der Freiheit ein, auch wenn sie nach Smog und Urin roch. Mit noch immer mächtig klopfendem Herzen aber einem breiten Lächeln auf den Lippen stieg sie schließlich in Konstantins zerbeulten Kleinwagen ein.

An der Partylocation angekommen, nahm Hanni wie auf den anderen Partys zuvor Konstantins Hand und ließ sich von ihm durch das zerfallene Gebäude führen. Es war zu einer Routine geworden. Sie fühlte sich wie Bonnie, Konstantin war Clyde. Während er nach vorne blickte und ihren einen Weg durch die Menschen bahnte, konnte sich Hanni in Ruhe umsehen. Sie scannte alle düsteren Ecken, alle alleinstehenden Sessel, alle Sofas oder Schreibtischstühle. Immer waren ihre Blicke auf der Suche nach Tomeks großer, korpulenter Statue, die ihn in einer Masse partywütiger junger Leute meist herausstechen ließ. Mit jedem Zimmer, das sie hinter sich ließen, schrumpfte Hannis Hoffnung etwas mehr und ihre Finger wurden schwitziger.

Doch dann, im Herzstück dieser Partylocation, dem offenen Wohn-Ess-Bereich, da entdeckte sie ihn plötzlich. Er saß ganz allein auf einem Sofa, hatte seine Schuhe ausgezogen und seine Beine auf der Sitzfläche ausgestreckt. Auf seinen Oberschenkeln lag das Smartpad, ganz so, als war er der frühere Eigentümer dieses Herrenhauses, der einfach auf dem Sofa sitzengeblieben war, als alles den Bach herunterging.

Hannis Puls begann zu rasen. Sie zog an Konstantins Hand und er drehte sich verwundert zu ihr um.

„Ich muss kurz jemandem Hallo sagen", raunte sie ihm über die Musik hinweg ins Ohr, dann pirschte sie sich schon durch die Menge zu Tomek. So schnell, dass er ihr nicht folgen konnte. Auf den letzten Metern stockte ihr der Atem, Freude und Nervosität ließen sie kaum Luft holen. So blieb sie zwei Meter von ihm entfernt stehen und wartete, bis sein Blick sie registrierte. Für einen Moment musterte Tomek sie nur, legte seinen Kopf schief. Er tastete ihre Gesichtszüge mit seinen Augen ab, besonders dort, wo sich ihre Gesichtslinie mit den Pads mischten. Er fuhr über ihren Körper, von Kopf bis Fuß. Dann, als er sicher war, verzogen sich seine schmalen, spröden Lippen zu einem Lächeln. Unauffällig griff Hanni in ihre Tasche und schaltete den Geräusch-Canceller ein.

„Ich glaube es nicht! Wenn das nicht Honey ist!" Er legte sein Smartpad zur Seite, erhob sich von seinem verlotterten Thron und schloss Hanni in eine feste Umarmung.

„Hör mir zu, ich habe nicht viel Zeit", flüsterte sie in sein Ohr, während er sie hielt. Er ließ sie los und blickte sie an, das Lächeln auf seinem Gesicht war verschwunden.

„Geht es dir gut?" Sie nickte knapp.

„Ja, mir geht es gut. Aber da gibt es etwas, das mich beängstigt. Ich brauche deine Hilfe." Tomek nickte langsam, abschätzend. „Ich muss dich wieder sehen, wenn ich allein bin." Tomek warf einen Blick über ihre Schultern, suchte den Raum ab nach jemandem, der zu ihr gehören könnte. Als er niemanden fand, sagte er:

„Das klingt beinahe nach einer Drohung."

„Ja, das ist es", antwortete sie, doch sie lächelte.

„Ich bin nächsten Donnerstag frei."

„0:50 Uhr, in der Mitte der Wotan-Wimmer-Gasse in der Nähe von Bellevue?" Wieder nickte er.

„Ich werde da sein. Aber stell dich darauf ein, dass du mir erst einmal deine Abwesenheit erklärst. Ich suche seit Wochen nach dir! Bis ich dich dann auf meiner Fernsehwand wiedergefunden habe. Völlig auf Hochglanz poliert." Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm.

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now