Kapitel 19: Spieler

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Hannis Plan war tief und fest in ihrem Gehirn verankert. Sie war sich so sicher, war vollends davon überzeugt. Hatte auch keine Angst davor, dass der Plan scheitern würde oder dass sie sich in Gefahr begab. Nein, tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie auf dem richtigen Weg war. Endlich. Sie würde nicht mehr tatenlos zusehen. Sie würde ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen.

Dennoch ließ sich Hanni etwas Zeit, wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Wollte keine Pferde scheu machen. Sie wollte denen, die sie zweifelsohne beobachteten nicht den Eindruck vermitteln, dass sie etwas plante. Schließlich fühlte sie sich für den Moment sicher, versteckt und verschlossen hinter den Türen von Schloss Bellevue. Und nach dem misslungenen Putschversuch war auf dem politischen Parkett vorübergehend wieder etwas Ruhe eingekehrt.

Zunächst bat Hanni den Kanzler bei ihrem nächsten Treffen, das Training mit Konstantin wieder aufzunehmen. Er stimmte dem zu und sorgte dafür, dass Konstantins Gegenwart umgehend einen Platz in ihrem lückenlosen Kalender fand. Und auch, wenn sie sich für wenige Wochen nicht gesehen hatten, so fielen sie vom ersten Augenblick in ihre komfortable Routine zurück. Dann und wann überzogen sie ihre Termine oder nutzten die Zeit während den Terminen, um eine kleine Runde im gut gesicherten Schlosspark spazieren zu gehen.

Und auch, wenn Hanni sich immer wieder daran erinnerte, dass sie sich gedulden musste und nichts überstürzen sollte, so setzte sich von Zeit zu Zeit kleine Impulse. Sie gab Konstantin etwas zum Nachdenken. Zeichnete das zarte Bild eines Vogels im Käfig. Klagte in leisen, vorsichtigen Tönen dann und wann davon, dass sie die Mauern und Stahltüren um sie herum zu stören begannen.

Einmal, bei einem sonnigen Mittagessen auf einer Bank im Park, das Konstantin für sie arrangiert hatte, bedankte sie sich so herzlich für das Fünkchen Freiheit, dass er sie lange traurig anschaute und schließlich seine Hand auf ihren Oberschenkel legte.

„Halte durch. Du weißt, es ist nur eine Frage der Zeit, bevor du wieder in die Welt treten kannst."

Manchmal, da nahm er ihre Kommentare spielerisch auf, bezeichnete Schloss Bellevue als Dornröschenschloss 2.0 und fragte sie, ob es Berty bereits geschafft hatte, die Treppenstufen zu Dornröschens Gemach zu erklimmen. Mal bezeichnete er sie als Rapunzel und riet ihr, sich vom Spezialisten ihre Haare noch etwas länger wachsen zu lassen. Meistens lachte Hanni darüber, zügelte sich aber um bedrückt zu wirken. Sie wurde ungeduldiger, mit jedem Tag, der verging. Denn noch immer hatte ihr Konstantin keinen Ausweg angeboten und sie hatte so sehr auf ihn gehofft.

Beinahe an jedem Abend holte sie die Karten aus ihrem Versteck und fuhr darüber. Wer schickt euch? Und warum?, fragte sie sich immer wieder. Doch die Karten waren verstummt, offenbarten keinen Inhalt mehr als den, den sie schon seit Wochen kannte.

So beschloss sie eines Nachts, weit nach Mitternacht, dass sie ihren Plan verschärfen musste. Sie konnte den nächsten Tag und ihr nächstes Meeting kaum erwarten. In den beiden Stunden mit Albert, die man an diesem Vormittag für sie eingeplant hatte, wippte sie von der einen Pobacke auf die andere. Selbst seiner sonst so distanzierten Miene konnte Hanni ansehen, dass ihm ihre Nervosität aufgefallen war. Sie versuchte ihn am Ende der Zeit so schnell loszuwerden, wie sie nur konnte, um ihm jede Möglichkeit zu rauben, sie darauf anzusprechen.

Denn als Konstantin mit seinem gewohnten, breiten Siegerlächeln an ihrem Schreibtisch platznahm und nach ihrem ausgiebigen Smalltalk zum Geschäft übergehen wollte, da schaltete sie sicherheitshalber den versteckten Geräusch-Canceller auf ihrem Schoß ein und räusperte sich.

„Konstantin, ich brauche deine Hilfe. Du musst einen Weg finden, wie ich dieses Schloss verlassen kann. Ich brauche frische Luft. Etwas Realität. Ein paar Stunden Abstand. Eine laute Party, die mich daran erinnert, dass ich noch am Leben bin." Er schaute sie nachdenklich an, musterte sie genau. Schließlich nickte er. „Ich weiß, ich kann theoretisch Kommen und Gehen wann ich möchte. Theoretisch." Sie senkte ihren Kopf. „Es muss geheim bleiben, dass ich das Schloss verlasse. Meiner Sicherheit wegen." ... und damit weder der Kanzler, noch die Mitarbeitenden, noch die vermaledeiten Hohenzollern etwas davon erfahren!, fügte sie in Gedanken hinzu.

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now