Kapitel 12: Zwickmühle

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Nachdem sie für einige Sekunde völlig erstarrt war, erschrak Hanni so sehr, dass sie rücklings von der Fensterbank fiel und sich auf dem harten Dielenfußboden wiederfand. Sie fluchte ganz undamenhaft, rappelte sich im Schutz des Vorhangs wieder auf, rieb sich den schmerzenden Rücken und brauste in halsbrecherischem Tempo zurück zu ihrem Zimmer.

Sie nahm kein Frühstück zu sich, an diesem Morgen. Lehnte sich eine Weile an ihre Zimmertür, schloss die Augen und fluchte über ihre eigene Dummheit. Über ihre unendliche, abgrundtiefe, unverzeihliche Dummheit. Denn plötzlich war all das Selbstbewusstsein, dass ihr Konstantin so mühevoll antrainiert hatte, verpufft. Sie stand angelehnt an ihre hölzerne Zimmertür und konnte sich nicht mehr dazu bewegen, den Raum zu verlassen, um in das Schulungszimmer überzusiedeln.

Die Zeit verstrich, ihre Knie waren weich, und mehrere Minuten nachdem sie eigentlich im Schulungszimmer gewesen sein sollte, konnte sie sich schließlich dazu bewegen. Sie war mit ihm und einer Handvoll anderer Menschen auf unbestimmte Zeit auf einer Burg eingeschlossen – sie würde ihm nicht aus dem Weg gehen können. Egal wie sie es drehte und wendete. Sie musste diesen peinlichen Moment hinter sich lassen und weiter nach vorne schauen. Also zwang sie sich mühevoll, sich ihrem Schicksal zu stellen.

Doch als sie mit schwitzigen Händen die Zimmertür öffnete, fand sie nicht Albert, sondern Franz Friedrich.

„Johanna!", sagte er. „Ich habe Sie schon erwartet." Sie starte ihn irritiert an, blinzelte einmal, zweimal.

„Was machen Sie hier?"

„Ich wollte Sie am Frühstückstisch bereits abfangen, aber Sie sind nicht zum Frühstück erschienen."

„Ja, ähm", räusperte sie sich. „Ich hatte keinen Hunger heute. Zu viel gegessen beim Abendessen."

„Setzen wir uns doch", sagte er und winkte sie zum Tisch. „Es gibt wichtige Dinge zu besprechen." Hanni wischte die feuchten Hände an ihrer Hose ab und setzte sich gegenüber von Franz Friedrich auf einen der Stühle, die bereits ihren Hinternabdruck tragen mussten, so viel Zeit wie sie auf ihnen verbrachte.

„Was ist geschehen?", fragte sie, war alarmiert.

„Bisher noch nichts. Aber die Lage spitzt sich zu. Das außenrechte Bündnis im Bundestag hat sich zerstritten, eine Splittergruppe hat sich abgesetzt. Genau die Menschen, die wir unter Beobachtung gesetzt haben. Wir vermuten, dass sie in Kürze agieren. Auch die Bundeswehr weiß das, es kommt langsam Bewegung in die Reihen. Es scheint, als wollen sie den Rechten zuvorkommen, warten aber noch auf den besten Moment." Er blickte sie an, hielt einen Moment inne, lächelte dann. „Also liegt es an uns, den Joker aus der Tasche zu ziehen. Aus diesem Grund werden Sie in einer Woche nach Berlin zurückkehren und einige Zimmer in Schloss Bellevue beziehen." Hanni schluckte, wusste nicht, ob sie sich freuen sollte, oder doch besser weinen. „Dann beginnen wir mit der Öffentlichkeitsarbeit und der Bundeskanzler läutet die nächsten Schritte von Operation Pik Dame ein."

„Wirklich?", fragte Hanni, die Stimme pipsig. Ganz anders als die Stimmlage, die sie mit Konstantin für diese Fälle eingeübt hatte.

„Ja. Das Ziel ist nahe, Johanna." Er lächelte, tätschelte ihre Hand, die mit der schwitzigen Unterseite auf dem Holztisch lag und dort vermutlich einen Abdruck hinterlassen würde. „Aus diesem Grund wird Sie weder Albert noch Herr Müller heute unterrichten. Denn wir müssen darüber sprechen was passiert, sobald die Kufen Ihrer Drohne in den Kies hinter Schloss Bellevue eintauchen." Hanni nickte. Franz Friedrich klappte eine Mappe auf, die neben ihm lag, und kramte einige Blätter Papier hervor. Er musterte sie für einige Minuten genau, dann räusperte er sich.

„Beginnen wir."

Und dann erklärte er ihr den Plan für die nächsten Wochen. Unter dem Deckmantel der Dunkelheit würde sie nach Berlin reisen und in Bellevue einziehen. Parallel würde der Kanzler damit beginnen, die wichtigsten Schlüsselpersonen über Hannis Existenz einzuweihen. Mit dem Bundespräsidenten würde er schließlich gemeinsam vor den Bundestag treten und die Pläne der Öffentlichkeit vorstellen, die Bundesrepublik Deutschland in eine parlamentarische Monarchie umzuwandeln. Mit einer starken Frau an der Spitze, mit einer Person, die für Deutschland stand und an der sich Deutschland wieder orientieren konnte. Die das Land aus seiner Starre erlöste, Hebel in Bewegung setzte, die lange nicht bedient worden waren.

Nach der Rede im Bundestag würde der Kanzler die Medienkampagne starten, das Staatsfernsehn würde die unzähligen Interviews und Video-Clips zeigen, die Konstantin in mühevoller Arbeit mit ihr vorbereitet hatte. Ihr Bild würde auf jedem Smartpad erscheinen, auf Werbewänden, auf den Fernsehwänden zuhause: Allen Menschen in Deutschland würde ihr Gesicht innerhalb kürzester Zeit bekannt vorkommen.

Hanni wusste all das, Konstantin hatte mit ihr den Medienplan minuziös durchgesprochen. Aber nun von Franz Friedrich zu hören, dass der Start unmittelbar bevorstand, jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Es war so unwirklich, unreal. Als war es ein Plan, eine Operation, die in letzter Sekunde doch noch abgesagt werden würde. Noch immer konnte sie es nicht begreifen.

Nach der Veröffentlichung würden einige Wochen ins Land ziehen, Wochen, in denen sie tiefer in die Amtsgeschäfte eigearbeitet werden würde, in denen sie wichtige Spieler kennenlernen würde. In denen der Kanzler hinter den Kulissen die Grundlagen für eine parlamentarische Monarchie ausarbeiten und alles Administrative vorbereiten würde: darunter nicht weniger als eine neue Verfassung.

Dann, am Tag X, würde der Bundespräsident abdanken und ihr sein Amt als höchstes Staatsorgan übergeben. Der Kanzler würde die Vertrauensfrage stellen, der Bundestag würde aufgelöst werden und sie würde die Neuwahlen einleiten. Und dann... dann würde sie eine neue Zeit einläuten. Geschichte schreiben. Leben verändern.

Ihr Magen rumorte bei dem Gedanken.

„Keine Sorge", sagte Franz Friedrich, musterte ihr blass gewordenes Gesicht. „Johanna, Sie dürfen nicht vergessen, dass Sie in den letzten Monaten ideal vorbereitet wurden. Sie haben viel gelernt und werden noch viel lernen. Und Sie dürfen nie vergessen, dass Sie diese Herausforderung nicht allein annehmen. Der Kanzler steht fest an Ihrer Seite, genau wie Adalbert und ich. Wir werden Sie stützen und gemeinsam an der Zukunft arbeiten." Hanni nickte, fuhr sich mit der Hand über den Magen.

„Okay", sagte sie mit dünner Stimme. „Dann wird es jetzt erst." Franz Friedrich lachte.

„Das ist es schon lange." Er stand auf. „Kommen Sie, liebe Johanna, gehen wir erstmal etwas essen."

Gemeinsam stiegen sie die unebenen Stufen der Treppe nach unten in den Speisesaal. Ihre Gedanken drehten sich um die nächsten Wochen, sie sah ihr eigenes Bild über Fernsehwände flackern, über Smartpads, sah ihren digitalen Avatar damenhaft winken. Sie war so vertieft in die Bilder dessen, was kommen würde, dass sie sich völlig erschrak, als sie Albert in einem gewohnt hässlichen Pullunder am Essenstisch sitzen sah. Ihre Augen weiteten sich, er fing ihren Blick kurz auf, dann wanderten seine Augen zurück zum gut gefüllten Teller. Hanni spürte die Röte in ihren Wangen kurz aufflackern, atmete tief ein und aus und setzte sich hastig an den Tisch. Sie beschäftigte sich damit, auch ihren Teller gut gefüllt aussehen zu lassen, während Franz Friedrich das Gespräch eröffnete und die unangenehme Stille mit Worten füllte.

Einige Minuten war sie damit beschäftigt, sich vom Schock seiner Anwesenheit zu erholen, dann stieg sie vorsichtig mit in das Gespräch ein. Und Wort für Wort kehrte wieder distanzierte Normalität ein, in ihre Beziehung.

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Hallo ihr Lieben!

Danke, dass ihr da seid und meine Geschichte lest, votet und auch kommentiert... das bedeutet mir sehr viel ❤️.
Ich habe jetzt beinahe jeden Tag ein Kapitel veröffentlicht, jetzt bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich nochmal „umdenken" und etwas umschreiben muss. Das heißt es könnte ein paar Tage länger dauern, bis das nächste Kapitel kommt. Aber ihr könnt gespannt sein...

Liebe Grüße ❤️

Operation Pik Dame | ✔️Where stories live. Discover now