Kapitel 24: Aussetzen

20 7 7
                                    

Nach dem nächtlichen Treffen mit Tomek und der damit verbundenen Gewissheit, dass er sich um ihr Problem kümmern würde, wurde Hanni etwas ruhiger. Sie schlief besser und fühlte sich nicht mehr immer und überall beobachtet. Hanni hatte das Gefühl, dass sie einen Schritt in die richtige Richtung gegangen war. Dass sie nicht untätig zusah, sondern dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand genommen hatte. Und das gab ihr wieder etwas Zuversicht. Zwar hatte sie die Frage und ihr damit verbundenes Problem noch immer nicht lösen können, aber allein der Gedanke, dass es nun in Tomeks Händen lag, erleichterte den Druck auf ihrem Herzen etwas.

So hangelte sie sich von Tag zu Tag, lernte und führte Gespräche, las Berichte in ihrer Tagesmappe und genoss, wann immer es möglich war, die Zweisamkeit mit Konstantin. Es war wie eine Ablenkung, wie eine Stopp-Taste in ihrem geschäftigen aber grauen Alltag. Eine Ausrede, nicht alle Dokumente durchsehen zu müssen. Und auch, wenn sie sich nicht völlig gehen lassen konnte, so fühlte sie sich für einen Moment leichter und freier. Fühlte sich einem Menschen nahe, fühlte sich nahbar. Denn auch, wenn sie hinter den Mauern von Bellevue sicher war, so war sie unnahbar abgeschottet. Beinahe wie in ihrem alten, kleinen Mikroapartment. 

Bereits wenn er den Raum betrat, lächelte Konstantin so hoffnungsvoll, dass sich die Grübchen in seine Wangen einzeichneten. Manchmal, da blieb er zum Abendessen und sie schmuggelte ihn heimlich in ihr Schlafzimmer. Dann fühlte sie sich nicht wie eine angehende Kaiserin, sondern wie eine aufsässige Teenagerin. Nur wenn Konstantin sich wieder anzog, ihr ein letztes, verschmitztes Lächeln schenkte und den Raum auf leisen Sohlen wieder verließ, kehrte die Einsamkeit klangheimlich zurück.

Dann lag sie rücklings im Bett und starrte an die Decke. Wie aus einem Hologramm-Projektor sah sie Bilder von Tomek, wie er auf einer willkürlich gewählten Party auf dem Sofa saß und wild auf seinem Smartpad herumtippte. Wie er Konstantins Name eingab, sich in seine Profile hackte, seine Nachrichten las, seine Geheimnisse aufdeckte. Sofern er welche hatte.

Dann gab er Alberts Namen ein, wühlte auch dort im Urschleim von Alberts Existenz. Deckte Facette für Facette seiner Persönlichkeit auf. Eine Persönlichkeit, von der Hanni lediglich die oberste, die härteste Schale kannte. Die Schale, die in hässliche Pullunder eingehüllt war. Was Tomek wohl finden würde?

Hanni war sich sicher, dass Albert mehr wusste, als er sie wissen ließ. Zu sehr schottete er sich ab, zu sorgfältig versuchte er sie zu meiden, wenn es brenzlig wurde. Oder persönlich. In diesen einsamen Stunden in ihrem abgeschotteten Schlafzimmer fragte sich Hanni, wie es wohl sein würde, wenn sie sein Geheimnis gelüftet hatte. Wenn sie mit Tomeks Hilfe hinter seine harte Schale blicken konnte. Sie wusste, dass er fließend Sarkasmus sprach. Hatte er dahinter etwa jede Menge verschmitzten Humor versteckt? Möglicherweise auch ein Fünkchen Lebensfreude? Sowas wie Leidenschaft? Eine Gänsehaut überzog Hannis Arme bei diesem Gedanken.

Der Hologramm-Projektor in ihrem Gehirn produzierte Bilder von Albert, wie er die Bürotür hinter sich schloss und sie mit flinken Fingern verriegelte. Wie er sie amüsiert musterte und sie verschmitzt anlächelte. Wie er einen leichten, unverwerflichen Witz machte und die Tagesmappe achtlos auf den Schreibtisch warf. Wie er sie mit intensivem Blick ansah. Dann mit der Hand durch seine Haare fuhr und sie unfreiwillig verwuschelte. Ganz so, wie damals, in der Küche auf Burg Eltz.

Aber so schnell die Bilder kamen, so schnell versuchte sie sie wieder aus ihrem Kopf zu vertreiben. Denn das letzte, was sie wollte, war rot anzulaufen, wenn er das nächste Mal das Büro betrat und sie einen Augenblick zu lange ansah. Wenn er sie das nächste Mal harmlos musterte.

Nein, sie zwang sich zurück zu den Gedanken an Tomek. Und fragte sich Tag für Tag, wie er vorankam und wann er sie kontaktieren würde.

Aber er tat es nicht.

So vergingen die Tage, dann die Wochen. Und je mehr Zeit verrann, je mehr sich die Verhandlungen für die neue Verfassung dem Ende näherte, je unruhiger und nervöser wurde Hanni wieder. Ihre Krönung rückte unaufhaltsam näher, war langsam in greifbarer Nähe. Dennoch hatte sie noch immer nichts von Tomek gehört. Ob er vielleicht erwischt wurde?, fragte sie sich immer häufiger. Saß er in irgendeinem Gefängnis und war das der Grund, warum er sie nicht kontaktieren konnte? Fing jemand seine Kontaktversuche zu ihr ab? Schaffte er es nicht zu ihr hindurch?

Je länger sie darüber nachdachte, je plausibler wurde es für sie, dass ihn irgendetwas oder irgendjemand am Kontakt zu ihr hinderte. Sie musste einschreiten. Musste mehr erfahren. Musste wieder tätig werden. Konnte nicht untätig zusehen.   

Eines Abends, als Konstantin neben ihr lag und er ihr von einer wilden Party erzählte, die er kürzlich besucht hatte, da ergriff Hanni die Chance, auf die sie gewartet hatte.

„Wir waren schon lange nicht mehr gemeinsam draußen", sagte sie ganz beiläufig und er zuckte mit den Schultern.

„Du hast schon lange nicht mehr danach gefragt", antwortete er.

„Ich wurde...", sie lächelte ihn an, harmlos, unschuldig „...etwas abgelenkt in der Zwischenzeit." Er lachte und schüttelt mit dem Kopf.

„Wann möchtest du ausgehen?" Hanni überlegte kurz, ging in Gedanken ihren immer voller werden Terminkalender durch. „Wie wäre Freitagnacht? In guter alter Tradition?" Konstatin starrte kurz an die Decke, schien das gleiche zu tun.

„Ich habe am Freitagabend einen Termin. Ich muss sehen, ob ich ihn verschieben kann." Er nahm ihre Hand. „Aber lass es uns erstmal festhalten. Wenn du nichts von mir hörst, sehen wir uns am Treffpunkt." Hanni nickte und als Konstantin auf dem Bett aufstand und sich langsam anzog, spürte sie, wie ein Teil der Vorfreude auf das kleine Abenteuer zurückkehrte und ihre Magengegend kribbeln ließ. Wie sich die Aufregung bildete, die sie vor jedem Abenteuer ereilte. Wie sie langsam das Gefühl zurück erlangte, die Kontrolle über ihre verzwickte Situation zurückzugewinnen.

Tomek hatte sie gewarnt, das Schloss erneut zu verlassen. Hatte gesagt, dass es viel zu gefährlich war. Möglicherweise hatte er Recht. Aber Hanni hatte keine andere Wahl, sie musste sich seinem Rat widersetzen. Schließlich musste sie das unmögliche wagen: Tomek erneut in der grauen Masse Berlins wiederzufinden.

-----------------------------------------------

Oh Ohhh....

Ich weiß nicht, wie es euch geht, meine Lieben, aber ich habe irgendwie ein schlechtes Bauchgefühl. Denkt ihr, Hanni sollte es nochmal wagen, das Schloss zu verlassen? Sind ihre Feinde ihr schon auf den Fersen?

Ich glaube hier wäre der perfekte Zeitpunkt für eine laaaaange Pause :).

...

...

...

...

Gut nur, dass ich selbst wissen will, wie es weiter geht. Deswegen kommt wie gewohnt Übermorgen das nächste Kapitel. Ihr könnt gespannt sein... Ich sag nur #Feuerwerk!

Operation Pik Dame | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt