Kapitel 48

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POV - Alicia Morgan

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, meine Hände waren schwitzig und ich spürte förmlich das Zucken meiner Pupillen. Ich hörte das Rauschen meines Blutes und meine Hände zitterten noch immer in ungesunder Intensität. Das alles versuchte ich krampfhaft zu unterdrücken, während ich mit Lauren sprach. Besser gesagt, während ich Lauren den Schlüssel gab um mich unwiderruflich vernichten zu können. Warum ich das tat? Das wusste ich selbst nicht, denn mein Kopf machte mir die Gefahr in die ich mich damit so eben begeben hatte mehr als nur deutlich. Alles in mir wollte flüchten, denn jetzt gab es kein zurück mehr. Ich versuchte mich durch unauffälliges, flaches durchatmen zu beruhigen. Ich hatte immer noch die Kontrolle wenn ich es wollte. Oder etwa nicht? Lauren hatte gefragt, sie hatte das alles wissen wollen. Doch das es nun in ihrer Hand lag darüber zu entscheiden, ob dass für sie weiterging gefiel mir gar nicht. Ich hatte Lauren Entscheidungsgewalt eingeräumt und mich ihr damit zu einem gewissen Grad ausgeliefert. Immer noch sah ich sie aufmerksam an, versuchte ihre Gedanken zu deuten oder wenigstens in ihrem Gesicht ihre Emotionen ablesen zu können, doch Lauren saß verhältnismäßig unbewegt vor mir. Sie sah mir ebenfalls in die Augen und das einzige was ich mit Sicherheit sagen konnte war der Umstand, dass all diese Informationen in ihr arbeiteten. Noch nie hatte ich jemandem davon erzählt, nicht einmal Sarah. Sie wusste von Afghanistan und all den Verlusten, aber sie wusste nichts von Emma und selbst Sarah hatte Zeit gebraucht um das zu verdauen. Laurens Augenlieder flackerten aufgeregt, während sie nun zum sprechen ansetzte.
>>Ich kann das und ich will das Alicia, ich will dich! Ich gehöre dir, seit der ersten Sekunde in der du mich angesehen hast und alles in mir von dir gefesselt war. Ich werde dir niemals nicht verfallen sein. Ich werde nicht gehen<<, sprach Lauren nun langsam und deutlich, womit sie mich wieder völlig in ihren Bann zog.
Für einen kurzen Moment blieb mir meine Stimme im Hals stecken und als ich den Mund öffnete um auch nur irgendetwas zu sagen kam nichts heraus.
Ich schluckte. Wo war die kontrollierte, selbstbewusste, unerschütterliche Alicia Morgan auf einmal? Ich räusperte mich.
>>Lauren... ist das etwas, was du so schnell entscheiden kannst und willst?<<, fragte ich vorsichtig, denn ich brauchte absolute Sicherheit. Sollte Lauren sich nicht mit Leib und Seele für mich entscheiden, dann war jetzt der Moment gekommen mich in ein weit entferntes Land abzusetzen, denn dann war es nur eine Frage der Zeit bis sie vermutlich reden würde.
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Laurens Lippen, dass eine Mischung aus Überlegenheit und Traurigkeit zu sein schien.
>>Alicia, ich habe mich vor Wochen dafür entschieden dir alles von mir zu geben. Ich will ehrlich mit dir sein, alles was du mir so eben erzählt hast war heftig, aber es ist deine Vergangenheit und sie gehört zu dir wie meine zu mir gehört. Sie macht dich zu der Frau die mir jetzt gegenübersitzt und der ich mein Leben ohne nachzudenken in die Hände legen würde. Vielleicht ist das die dümmste Entscheidung meines Lebens, vielleicht aber auch die Beste. Ich weiß nur mit absoluter Sicherheit, dass ich dich will. So sehr wie sonst nichts in meinem Leben. Versprich mir nur eins, verlass mich niemals ohne dich zu verabschieden.<<, sprach Lauren und eine vereinzelte Träne kullerte über ihre Wange. Das alles schien sie doch mehr mitzunehmen, als ich zunächst gedacht hatte.
Ich hob meine Hand und strich ihr sanft mit meinem Daumen die Träne vom Gesicht, während ich ihr durchdringend in die Augen sah. Lauren hatte offensichtlich geahnt, dass diese Situation einen massiven Fluchtinstinkt in mir auslöste und gleichzeitig wollte sie dieses letzte bisschen Sicherheit, dass sie mir abverlangen konnte.
>>Das verspreche ich dir<<, erwiderte ich leise und nickte zustimmend. Laurens Lippen verzogen sich zu einem sanften und zufriedenen Lächeln.
Jetzt konnte ich nicht mehr einfach so davon laufen. Ich hatte ihr mein Wort gegeben und das war das einzige woran ich mich bisher in meinem Leben immer gehalten hatte.
Wir sahen uns einfach nur schweigend an und ließen all das auf uns wirken.
Mein Körper hatte sich inzwischen beruhigt, aber in meinem Kopf rasten die Gedanken. Sie überschlugen sich, sodass ich keinen klaren fassen konnte. Dieses Verhältnis mit Lauren hatte eine ganz neue Ebene erreicht in diesem Moment. Ich konnte sie nicht mehr klein halten oder schlichtweg als mein Objekt der Begierde betrachten. Ich hatte mich verpflichtet und Lauren ebenso. Wir hatten eine gemeinsame Verbindung geschaffen, aus der wir uns nicht ohne Verlust lösen würden können. Es war wie ein Blutschwur, etwas, dass nicht ohne den Verlust aller Dinge für die man stand gebrochen werden konnte. Fühlte sich so Liebe an?
Eine kleine Unendlichkeit saßen wir einfach nur gemeinsam schweigend auf der Couch, lauschten dem Prasseln des Feuers und tranken unseren Tee. Irgendwann lehnte sich Lauren an mich und wenig später lag sie mit ihrem Kopf auf meiner Brust und hatte ihre Arme um meinen Körper geschlungen. Nur das Geräusch ihres regelmäßigen, tiefen Atmens erfüllte den Raum während ich sie einfach festhielt. Lauren war müde und wer konnte es ihr nach der letzten Nacht auch verdenken?
Doch ich konnte nicht schlafen. Nicht jetzt, nicht nach diesem Gespräch. Zum ersten Mal schoss mir die Frage durch den Kopf was eigentlich mit Emmas Familie war.
Die Überreste die ich von ihr zusammengesammelt hatte, waren verbrannt wurden und die Asche ihrer Familie übergeben worden. Ich hatte mich an dem Tag krankgemeldet und die unpersönlichste Trauerbriefvorlage aus dem System heruntergeladen, ausgefüllt, unterschrieben und in die Post geworfen. Wie es nun mal meine Pflicht als Offizierin der Einheit gewesen war.
Kurz darauf hatte ich die Armee verlassen und war aus Schweden verschwunden. Schuldete ich ihrer Familie ehrliche Anteilnahme? Hätte ich wenigstens zur Beisetzung gehen sollen, wie der Rest der Einheit? Sicher war mein Fehlen nicht unbemerkt geblieben, aber was hätte ich schon sagen sollen? Es tat mir leid für Emma, aber nicht um Emma.
Ich versuchte die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Lauren schlief seelenruhig auf meiner Brust und ihr Geruch war ungemein beruhigend. Ich umschloss mit meinen Armen ihren Körper noch etwas fester. Ab jetzt steckten wir beide zu 100% da drinnen. Niemand von uns beiden konnte noch einfach so gehen.
Das Prasseln des Feuers und die Körperwärme die Lauren ausstrahlte sorgten dafür, dass auch meine Augen immer schwerer wurden. Die letzten Monate waren zu aufregend gewesen und von zu wenig Schlaf geprägt.
Irgendwann musste ich ebenfalls eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war es bereits stockdunkel. Die Überreste des Holzes im Ofen glühten nur noch schwach und warfen einen minimalen Lichtschimmer ins Zimmer. Lauren lag immer noch auf mir, doch inzwischen war auch sie wieder aufgewacht, denn ich spürte wie sie mit ihrem Zeigefinger Kreise auf meinem Bauch zeichnete.
In diesem Moment fühlte sich die Welt zum ersten Mal seit zehn Jahren vollkommen an. Es war, als wäre alles endlich so wie es immer hätte sein sollen. Als hätte das letzte Teil, das Puzzle endlich vervollständigt. Als wäre die Platte an der schönsten Stelle gesprungen und wir würden immer wieder diesen einen Moment hören. Es war richtig so. Lauren war richtig. Auch wenn es das Gesetz vielleicht anders sah, sie war alles was ich gebraucht hatte um endlich heilen zu können. Vor ein paar Monaten hatte ich das für völlig utopisch gehalten, dass mir überhaupt irgendein Mensch jemals so nah kommen könnte. Das ich mich jemals auf eine Frau würde in so einer Weise einlassen können. Und doch war es passiert. Der Zufall war schon eine wahnwitzige Idee des Lebens.
Noch immer fuhren Laurens Finger sanft über meinen Oberkörper, sie hatte noch nicht bemerkt, dass ich wach war. Doch in diesem Moment gab mein Magen ein lautes Knurren von sich. Lauren schreckte auf und sah mich überrascht an, bevor sie leise begann zu lachen.
>>Guten Morgen Miss Morgan, mir scheint Sie haben Hunger?<<, fragte sie spielerisch, was nun auch mich lachen ließ.
>>Das haben Sie scharf geschlussfolgert, Miss Fallmont<<, erwiderte ich ebenso gekünstelt, wobei ich ein erneutes leises Knurren meines Bauches nicht verhindern konnte. Lauren lachte erneut und ließ ihren Kopff wieder auf meinen Oberkörper sinken, während meine Finger fast wie ferngesteuert durch ihr Haar fuhren. Wir hatten nicht wirklich viel gegessen außer den paar Pancakes zum Frühstück und das war gefühlt schon eine Ewigkeit her.
Doch ich hatte überhaupt keine Lust zu kochen. Ich war zum ersten Mal seit Monaten wirklich müde und erschöpft. Es schien, als habe mein Körper jetzt beschlossen all den Schlaf und die Entspannung nachholen zu wollen, die ich ihm die letzten Jahre versagt hatte.
>>Was hältst du davon, wenn wir Pizza bestellen?<<, murmelte ich leise, während mir allein beim Gedanken an knusprigen Teig mit einer dicken Schicht Käse darauf das Wasser im Mund zusammenlief.
Lauren hob wieder den Kopf und ihre Augen leuchteten geradezu vor Begeisterung.
>>Das klingt unglaublich fabelhaft, ehrlicherweise bin ich kurz vorm verhungern.<<, antwortete sie, wobei sie versuchte den letzten Teil ihres Satzes besonders dramatisch klingen zu lassen.
Ich musste schmunzeln.
>>Na das können wir ja auf keinen Fall riskieren, hier, das ist mein Italiener des Vertrauens - wirf einfach in den Warenkorb worauf auch immer du Hunger hast<<, erwiderte ich und reichte Lauren dabei mein Handy auf welchem ich bereits die Liefer-App geöffnet hatte und das Restaurant herausgesucht.
Begeistert nahm mir Lauren das Handy aus der Hand und begann durch das breite Angebot zu scrollen, während sie weiter halb auf mir lag.
Die Dynamik zwischen uns hatte sich verändert. Vor einigen Stunden waren wir noch wesentlich distanzierter gewesen, zumindest auf einer emotionalen Ebene. Doch jetzt fühlte sich all das so natürlich an, als ob es schon immer hätte so sein sollen. Was ein wenig Ehrlichkeit doch bewirken konnte.
Lauren reichte mir nun mein Handy zurück und nachdem ich mich für eine Pizza Funghi entschieden hatte, drückte ich auch schon auf bestellen. Als ich aufblickte trafen meine Augen direkt auf die von Lauren, die mich interessiert musterten. Für einige Momente sahen wir uns nur stumm an und es fühlte sich wie der tiefste Blick in unsere Seelen an. Als wären Laurens Augen ein Portal in eine neue Welt. Eine bessere Welt. Ein Ort, an dem auf einmal alles so leicht war. Seit Lauren in meinem Leben war, fühlte sich alles irgendwie leichter an. Wie ironisch, wenn man bedachte, dass wir uns fortwährend vor allem und jedem verstecken mussten - und doch war es als würden wir nicht mehr einen beschwerlichen Weg gehen sondern einfach nur schweben.
>>Danke, dass du so ehrlich zu mir warst...<<, kam es nun leise von Lauren, was mich aus meinen Gedanken riss. Wie konnte ein Mensch für eigentlich so wenig nur so wertschätzend sein? Lauren war etwas besonderes und auch wenn ich die letzten Monate versucht hatte mich tunlichst vom Gegenteil zu überzeugen, so konnte ich es nun nicht mehr leugnen.
Ich nickte sanft zur Bestätigung ihrer Worte und in diesem Moment fühlte sich zum ersten Mal alles in Ordnung an. In diesem Moment, schien niemand uns etwas anhaben zu können.

Dominate meWhere stories live. Discover now